Alexander McQueen: Er kreuzte Punk und Plato

Britisch wie Prince Charles, wild wie die Sex Pistols. ALEXANDER MCQUEEN machte Pop zu Haute Couture. Eine große Ausstellung würdigt jetzt den genialen Modedesigner

Der britische Modedesigner Alexander McQueen wird in einem Maße verehrt, das mit seinen Leistungen  als Schneider allein nicht zu erklären ist. Weder mit seinen „Bumster“-Hosen, die er Frauen vor 20 Jahren so tief auf die Hüften schnitt, dass hinten der halbe Po rauslachte, noch damit, dass er als einer der ersten Designer einzelne Schnitt-Teile im digitalen Textilprint-Verfahren so mit Fragmenten großflächiger Motive bedruckte, dass sie zusammengenäht wirkten wie aus einem Guss. Nur zwei Beispiele aus der langen Liste von McQueens Innovationen. Dass er aber schon zu Lebzeiten als Popstar der Mode gefeiert wurde – und seit seinem Selbstmord im Februar 2010 umso mehr –, hat vor allem damit zu tun, dass er sich und sein Schaffen immer entsprechend inszeniert hat.

McQueen war der vorerst letzte Punk der Mode. Nicht weil er Schals mit Totenkopfmotiv verkaufte und seine Models mit ausgestrecktem Stinkefinger auf den Laufsteg schickte. Das machen andere Designer genauso. Sondern weil er in seiner Arbeit stets eine Punk-Sensibilität betonte und durchhielt. Seine Kollektionen mochten mit psychologischen, historischen oder wissenschaftlichen Subtexten irre komplex aufgeladen sein, in der Umsetzung und der Präsentation ging ihm nie der Fokus verloren, nie die Schärfe, die notwendig ist, um eine Idee auf den ersten Blick zu vermitteln. Wie ein Punksong mit drei Akkorden, die sofort einleuchten. „Man muss die Regeln kennen, um sie zu brechen“, sagte er einmal dem Magazin „GQ“.

Bezeichnend ist eine Anekdote aus seiner Lehrzeit zwischen 1985 und 1987 beim traditionsreichen Herrenschneider Anderson & Sheppard in der Londoner Savile Row, noch vor seinem Designstudium am Central Saint Martins College: Prince Charles hatte einen Mantel bestellt, in ihn sollte McQueen das Zwischenfutter einnähen. Der Lehrling verewigte sich auf dem Stoff heimlich mit den Worten „McQueen war hier“. Das Lebensthema war somit gesetzt: spielerisches bis respektloses Bekleckern der Tradition, bei gleichzeitigem unbedingten Willen, sich in ebendiese einzuschreiben. (Später dementierte McQueen diese Anekdote übrigens.)

Designerfiguren wie er sind rar geworden, die Sehnsucht nach ihnen ist groß. Weswegen die McQueen-Manie – seitdem er sich in seinem Kleiderschrank erhängte und seine Asche auf der Isle of Skye (woher ein Teil von McQueens Familie stammte) verstreut wurde – ungebrochen anhält. Den vorläufigen Höhepunkt bildet in diesem Frühjahr eine Ausstellung im Londoner Victoria and Albert Museum (ab 14. März), die unter gleichem Namen und ähnlichem Konzept bereits 2011 in New York zu sehen war: „Savage Beauty“. In ihr lässt sich verfolgen, wie aus dem 1969 geborenen und im Osten Londons in einfachen Verhältnissen (Vater Taxifahrer, Mutter Sozialkundelehrerin) aufgewachsenen McQueen der Hooligan of English Fashion wurde. Immer wieder wird die Rolle der Stylistin Isabella Blow für seine Karriere hervorgehoben. Interessanterweise war es aber auch David Bowie, der den jungen Designer protegierte: Der eng taillierte Mantel aus mit Brandlöchern übersäten Union Jacks, den Bowie 1997 auf dem Cover seiner „Earthling“-LP und während der gleichnamigen Tour trug, war von McQueen geschneidert. Ein Interview, das Bowie schon 1995 für das britische Magazin „Dazed & Confused“ mit dem damaligen Newcomer führte, beginnt mit der Frage „Bist du schwul und nimmst du Drogen?“, gefolgt von der Antwort „Beides, ja“ – und viel Gelächter.

Bowie blieb nicht der einzige Popstar, mit dem und für den McQueen arbeitete. 1997 hybridisierte er Björk für das Cover ihres „Homogenic“-Albums zur afrikanisch-japanischen Warrior Queen im silbernen Kimono. (Lustigerweise wird auch Björk im März mit einer Retrospektive gewürdigt: im New Yorker Museum of Modern Art.) Kooperationen wie diese hatten bei McQueen nie etwas Aufgesetztes, sie wirkten nie strategisch. Sein Leben war komplett durchwirkt von Popkultur – ob er in den Achtzigern als Club-Kid auf den Londoner „Kinky Gerlinky“-Partys tanzte, sich die Drag-Performances von Leigh Bowery anschaute oder später die Musik zu seinen Shows selbst auswählte: Nina Simone, Frankie Goes To Hollywood, Marilyn Manson, The Fall, Vangelis  – ein eigensinniger Mix.

Der Vergleich mit Vivienne Westwood drängt sich auf: Auch sie arbeitete, als Partnerin von Malcolm McLaren und Schneiderin der Sex Pistols, anfangs in unmittelbarer Nähe zur Popkultur, auch sie gilt zugleich als Provokateurin und geniale Schnittmeisterin, und auch sie hat immer wieder, in einer regelrechten Anglomanie, Kleidungsmotive aus der Historie Großbritanniens romantisiert, dekonstruiert, vulgarisiert. Viktorianische Krinoline, schottische Tartans, Union Jacks – all das gab es auch bei McQueen, besonders eindrücklich in seiner Kollektion „Highland Rape“ (Herbst/Winter 1995), die von der Niederschlagung des Jakobiten-Aufstands durch englische Regierungstruppen in der Schlacht von Culloden im Jahr 1746 handelte und vor allem aus blutrot-schwarzem Karostoff bestand.

Der entscheidende Unterschied zu Westwood aber: Sie hat nie ihre Unabhängigkeit aufgegeben, kein Investor könnte ihr in den kreativen Prozess reinfunken. McQueen verkaufte 2001 über 50 Prozent seiner Marke an die Gucci-Gruppe, für angeblich 54 Millionen Dollar. Der mallorquinische Designer Miguel Adrover, in den 90er Jahren ein enger Vertrauter McQueens, erinnert sich: „Nachdem er den Vertrag mit diesen Leuten unterschrieben hatte, wuchs der Druck, was ihn nicht unbedingt zu einem glücklicheren Menschen machte.“ Das lässt an Indie-Musiker denken, die, frisch beim Major-Label unter Vertrag und den Vorschuss schon halb verjubelt, merken, dass sie die kommerziellen Erwartungen des neuen Hausherren nie erfüllen werden. Diese Deutung impliziert aber, dass McQueen fortan zu Kompromissen gezwungen war (und dadurch womöglich noch tiefer in die Depression rutschte). Das erscheint doch zu einseitig, wenn man bedenkt, mit welcher Emphase er die Möglichkeiten ausschöpfte, die ihm die neue Gucci-Struktur bot.

McQueens Modenschauen, von Anfang an theatralisch, wurden mit dem Gucci-Deal zu gigantisch aufwendigen, an Pop und dessen Inszenierungstechniken geschulten Spektakeln. Etwa die „Plato’s Atlantis“-Schau (Frühjahr/Sommer 2010), in der zwei auf dem Laufsteg platzierte Kamera-Roboter die Models auf Schienen verfolgten und Bilder aus dem Publikum live auf eine haushohe Leinwand übertrugen, sodass auch jeder sehen konnte, wie die berühmte „Vogue“-Stylistin Grace Coddington am Ende der Show, völlig fasziniert von den schlangenartig geschuppten, ozeanisch schillernden, von Darwins Evolutionstheorie in-spirierten Kleidern, ungläubig den Kopf schüttelte. Die an Hufe erinnernden „Armadillo“-Heels aus der Kollektion wurden parallel von Lady Gaga in deren „Bad Romance“-Video getragen, während die gleichnamige Single ihre Weltpremiere als Soundtrack zur Show feierte. Eine weitere Zusammenarbeit McQueens mit einem Popstar. Eineinhalb Jahre später klebte sich Lady Gaga im Zuge ihres Albums „Born This Way“ dann ähnliche Mutationshöcker auf die Stirn, wie die Models in der „Plato’s Atlantis“-Show sie getragen hatten.

Dass im September 2010 auch die Gedenkfeier für McQueen in der Londoner St. Paul’s Cathedral zu einem Spektakel wurde, erscheint fast logisch. Björk sang den bestürzend traurigen Selbstmördersong „Gloomy Sunday“ in einem Original-McQueen-Engelskostüm aus Straußenfedern und perforierten Holzlamellen, und die Liste der Trauergäste las sich geradezu staatstragend: von Kate Moss über Anna Wintour bis hin zu Naomi Campbell und Daphne Guinness. Nur wenige Monate später, im Frühjahr 2011, heiratete Kate Middleton den britischen Thronfolger, Prince William, in einem Brautkleid von McQueen. Entworfen hatte es Sarah Burton, seit den späten Neunzigern die rechte Hand des Designers. Sie wurde nach seinem Tod von der Gucci-Gruppe zu seiner Nachfolgerin bestimmt und führt seine Linie bislang ohne größere Unfälle weiter, allerdings auch ohne besondere Neuerungen.

Das Haus McQueen lebt heute vom Mythos seines Schöpfers, den eine große Retrospektive im Viktoria & Albert natürlich ebenso nährt wie freundliche Erwähnungen in Rap-Lyrics: In „Anaconda“, einem der großen Hits 2014, pries Nicki Minaj ihren „big dope dealer“, der in einem Palast lebt und die Kunst des Schenkens beherrscht: „(He) bought me Alexander McQueen, he was keeping me stylish/ Now that’s real, real, real.“

Wie immer bei einem Modelabel, das nach dem Ausscheiden oder dem Tod seines Gründers weitergeführt wird, drängt sich die Frage auf: Wie hätte McQueen das gefallen? Dass sein Label die englische Königin in spe einkleidet, hätte er vermutlich als subversiven Triumph gefeiert und – Punk eben! – gleichzeitig gemotzt, dass eine königliche Hochzeit nun mal wenig Spielraum für Regelbruch lässt. Tatsächlich sah das Brautkleid für McQueens Verhältnisse, trotz aufwendigster Stickereien, recht ordinär aus. Ähnlich bei Nicki Minaj: HipHop war nie McQueens Terrain, und die Nachricht, dass sein Name in diesem Kontext, wo oft Kaufkraft schon für Stilbewusstsein gehalten wird, gedroppt wird, hätte ihn womöglich gelangweilt. Doch von einer Figur wie Nicki Minaj wäre er mit Sicherheit fasziniert gewesen, nicht zuletzt wegen ihres selbstbewusst inszenierten Hinterns. Für den hätte McQueen, so viel Spekulation sei erlaubt, seinen raffinierten „Bumster“-Schnitt aus den 90er-Jahren umgearbeitet. Und ihm mit zusätzlich eingenähten Polstern noch eine Extraportion Drama verliehen.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates