Alles schön bunt hier

Die Lust an schrillen Gimmicks lebt Regisseur Baz Luhrmann im Musical „Moulin Rouge" wieder aus

Baz Luhrmann, der Derwisch und Dandy hinter „Romeo & Julia“ und „Moulin Rouge“, hat ein Problem. Platzmangel. Ständig und überall. Seine Filme sind vollgestopft mit Ideen, Farbflashs, Details, Tonspuren, kreativen Fetzen. Als hätte er eine Story mehrfach verfilmt und am Ende die Celluloidstreifen übereinander kopiert. Auch in seinen Räumen in Manhattans unanständig hippem Mercer Hotel, wo er dieser Tage über einer Inszenierung von JLa Boheme“ für die Oper brütet, ist kein Sofazipfelchen mehr frei. Skizzen, CD-Türme und Bücherberge, Videos, Polaroids und ein wahres Computernetzwerk umgeben den 37-jährigen mit dem bereits leicht angegrauten Haarschopf.

Input gleich Output, mindestens. Wie eine Fleisch gewordene Chaostheorie feuert Baz Monologe ab, die bei den Soundtrack-Sekundanten Bowie und Beck beginnen, die Pariser Bohemien-Szene der Vierziger streifen und in der Sixtinischen Kapelle enden. Dann muss er Luft holen.

Aber auch Geschwindigkeit löst Luhrmanns Problem nicht: Er könne ja schon rein zeitlich schlecht bei Millionen Leuten an der Haustür klingeln, sagt er bedauernd, und jedem erklären, was es mit „Moulin Rouge“ auf sich hat. Denn natürlich weiß er, dass die meisten von uns Musicals gering schätzen. Er spürt, dass eigentlich alle Nicole Kidman für einen kalten Fisch halten.

Baz, bitte: „Ich besuchte eines Abends die Moulin Rouge-Revue, um Latoya Jackson im Ringkampf mit einer Python zu sehen, doch leider hatte sie frei. Immerhin entdeckte ich die mäßigen Bilder von Toulouse-Lautrec und erfuhr, dass er eine Art Andy Warhol der 1890er war. Er machte junge Künstler publik wie Popstars – und führte sie zum Ausleben seiner Wünsche schönen Frauen zu.“ Da enden die vagen Parallelen auch schon. Denn wo „Moulin Rouge“ in der Tat Ende des 19. Jahrhunderts

spielt und einen von Lautrec (John Leguizamo) geförderten Schreiber (Ewan McGregor) beim Werben, Gewinnen und ferlieren einer Star-Tänzerin (Nicole Kidman) zeigt, ist hier sonst alles erlaubt, nur kein Stillstand, Naturalismus, Historienschinken.

Oder gar ein nennenswerter Plot. „Nenn es von mir aus Musical, Oper oder MTV-Kino“, so Luhrmann weiter, „richtig ist nur, dass ich seit meiner Kindheit die Musik als Sprache des Kinos liebe. Im Prinzip haben mich ,Strictly Ballroom‘ und ,Romeo & Julia‘ nur darauf vorbereitet, Musik als Code des Kinos nun in aller Konsequenz zu nutzen. Der Filminhalt ist absichtlich naiv gehalten – eine Liebesgeschichte mit tragischem Ausgang, der Rest ist schnell erzählt. Schließlich brauchte ich alle verfugbare Leinwandzeit, um Komplexität im Sound und der Inszenierung zu schaffen.“

Das sieht dann so aus, auch wenn man es in diesem Fall wirklich gesehen haben muss, um es zu glauben: Da steht etwa Ewan McGregor verwirrt im Mondlicht vor einer ultra-artifiziellen Paris-Kulisse vor seiner Herzdame. Ringt erfolglos um Worte. Und singt plötzlich los. Elton Johns „Ybur Song“. Die Crescendi krachen, die Kamera kreist, ein Opernsänger mischt sich ein, Nicole guckt ernstlich verliebt, und die Kamera rast in den Himmel zu einem Mann im Mond, der uns zublinzelt.

250 Musikstücke wurden für diese Produktion eingespielt, scheinbar das Zehnfache an Szenenbildern. Pompös, prätentiös, schwül – all das und doch einer der entwaffnendsten und kompromisslosesten Filme des Jahres. So viel Herz und Eier muss man erst mal haben, das tote Genre des Musicals aus allen Zylindern mit der Moderne zu befeuern. In „Moulin Rouge“ erblickt eine absolut originäre, irritierend reizvolle Spielart der filmischen Popkultur das Licht der Leinwand. Nennen wir sie nach ihrem Schöpfer:

born to be Baz…

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates