Amüsant verspielt

Von Das Bierbeben und Phantom Ghost erscheinen parallel neue Alben.

Tocotronic arbeiten gerade mit dem Produzenten Moses Schneider an einem neuen Album, das Anfang nächsten Jahres erscheinen soll. Doch die Band ist bekannt für ihren kreativen Überschuss, und so ist es nicht verwunderlich, dass in diesen Tagen Alben von gleich zwei Nebenprojekten erscheinen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: „Thrown Out Of Drama School“ von Phantom Ghost ist ein heiterer Liederreigen, der dem Beat-Literaten Brion Gysin ebenso huldigt wie den Melodien von Noel Coward und Stephen Sondheim. Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow und Thies Mynther haben dafür eine geradezu asketische Form gewählt – Stimme und Klavier, mehr braucht es nicht.

Bassist Jan Müller geht mit „Das Bierbeben“derweil einen ganz anderen, eher dunklen Weg. Doch das Ergebnis ist genauso gelungen, hier ist es die raue Energie von Punk-Samples und Computer-Beats, die auf bilderreich apokalyptische Texte trifft, von Julia Wilson mit zauberhafter Mädchenstimme gesungen.

Doch der Reihe nach. Zuerst einmal möchten wir von Dirk von Lowtzow wissen, warum das Electro-Pop-Duo Phantom Ghost so überraschend die Kabel aus der Steckdose gezogen hat: „Die Idee der Reduzierung auf Stimme und Klavier ist uns bei einem Konzert gekommen. Wir haben das ein oder zweimal ausprobiert, und es hat wahnsinnig gut funktioniert. Deshalb haben wir die alten Stücke umarrangiert und dazu passende neue Songs geschrieben.“ Einer der Schlüssel zu „Thron’« Out Of Drama School“ ist „The Process (After Brion Gysin)“, eine Art Kurzfassung des gleichnamigen Romans, der von einer Reise durch die Sahara handelt, die sich zu einem halluzinatorischen Trip entwickelt. „Der Text des Songs besteht überwiegend aus Sätzen des Romans und dem immer wiederkehrenden Wort inschalla‘ – ,so Gott will‘. Dieser Ausdruck spielt auch in Gysins Roman eine wichtige Rolle“, erklärt von Lowtzow, der diesen Kehrreim mit der Melodie des Slade-Hits „My Oh My“ singt.

„Thies und ich mögen es, wenn Dinge nicht so perfekt zueinander passen. Ich kann aber nicht sagen, ob das Humor ist oder der Wille au irritieren. Sicherlich beides, mit der Coverversion von Right Said Freds „You’re My Mate“ findet sich noch ein zweites plakatives Beispiel für die „fröhliche Wissenschaft“ von Phantom Ghost.

Es geht überhaupt amüsant und verspielt zu auf diesem Kammer-Pop-Album. Das letzte Werk, „Three“, stand noch unter dem Einfluss der exzentrischen Incredible String Band, nun spielen Komödie und Musical wichtige Rollen: „Themen, die künstlich, kitschig, campy, unmännlich, unauthentisch sind, interessieren uns besonders“, behauptet der Sänger, und erzählt von Thies Mynthers momentaner Begeisterung für die Musik von Stephen Sondheim. Der 79-jähnge mehrfache Grammy-Gewinner schrieb unter anderem das von Tim Burton verfilmte Splatter-Musical „Sweeny Todd“.

„Throum Out Of Drama School“ entgeht der Schwermutsfalle des romantischen Lieds mit bravouröser Klangvielfalt. Viele halten es deshalb für das bisher beste Phantom Ghost-Album.

Auch Das Bierbeben haben ihr bisher bestes Album abgeliefert. Und wieder ist der Tausendsassa und langjährige Tocotronic-Freund Thies Mynther mit von der Partie. Als Rasmus Engler und Jan Müller 2001 aut die Idee kamen, zwei, drei elektronische Stücke aufzunehmen, fiel ihnen sofort der experimentierfreudige Keyboarder ein. Mynther hat die Band zwar im letzten Jahr verlassen. Doch auch das neue Album wurde von ihm produziert, und zusammen mit Jan Müller hat er auch alle Songs geschrieben.

Die früher so rotzige Deutsch-Punk-Attitüde haben Das Bierbeben zurückgenommen. Inzwischen dient das Genre in erster Linie als Quelle von Samples, die allerdings kaum noch zu identifizieren sind: „Wir wollen nichts wiederholen, was es schon gab. Eine Punkband zu sein interessiert uns nicht“, sagt Müller. Ist ein Name wie Das Bierbeben dann nicht eine Last? „Doch“, lacht er, „aber die muss man tragen.“ Und so hören wir „Wie ein Vogel“, eine poetisch-dialektische Meditation über Freiheit, spüren die apokalyptische Wucht von „Nihilit“ oder versinken in der von Kurt Kusenberg inspirierten, ausgesprochen Club-kompatiblen Kurzgeschichte „Der König“. Woher kommt diese düster apokalyptische Stimmung? „Ich war mit Todesfällen konfrontiert, und die Texte waren einfach die Ausdrucksform, die in dieser Zeit für mich auf der Hand lag. Zunächst war die Platte sogar noch düsterer, aber wir konnten das dann brechen, mit ein paar weniger negativen Songs.“

Die Coverversion des Franz-Josef-Degenhardt-Liedes „Hochzeit“ ist aus anderen Gründen überraschend: Was hat ein alter Achtundsechziger wie „Väterchen Franz“ hier verloren?“Ich sehe da keinen Widerspruch“, findet Müller. „Es gibt ja von ihm ja auch Lieder wie ,Wenn der Senator erzählt‘, die haben schon eine wahnsinnige Aggression. Sein Album, Spiel nicht mit den Schmuddelkindern‘ stand in der schmalen Plattensammlung meiner Eltern. Es könnte natürlich sein, dass man die so schön findet, weil sie einem so vertraut ist. Aber ich denke, das ist einfach eine ganz tolle Platte.“ Stimmt. Und das gilt auch für die Alben von Phantom Ghost und Das Bierbeben.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates