Andere gehen mit 61 Jahren in Pension, John Mayall geht auf Tour. Wir fuhren zwei Tage int Bus mit und zogen den Hut

Ob in Europa oder Asien: Er lebt stets neun Stunden zurück. Mayall, in Kalifornien zu Hause, mag seine innere Uhr einfach nicht umstellen. Was bedeutet: Frühstück am späten Nachmittag. Und wenn nach dem Soundcheck seine Band im Catering-Raum sitzt und zu Abend ißt, kommt Mayall mit dem Doggy Bag, stellt sein Menü zusammen und läßt es sich einpacken. Mayall ißt nicht vor der Show – nach seiner Zeitrechnung ist ja nicht Essenszeit Kurz vor Mitternacht macht er sich dann im Hotel über den Vorrat her. Und wenn seine Fans längst in den Federn liegen, genießt er seinen freien „Nachmittag“. Morgens geht er ins Bett.

Auf Tournee folgt Mayall einem ausgeklügelten Zeitplan. Klappt etwas nicht, wird er ungehalten: Als er sein Konzert in der Hamburger „Fabrik“ samt Zugaben beendet hat, geht das Saallicht nicht an. „They’re so stupid“, murmelt er entnervt, denn das Publikum erwartet nun natürlich mehr. Dabei hatte Mayall bereits, ganz gegen seine Gewohnheit eine zweite Zugäbe gegeben. Also trottet Mayall mitsamt Band seelenruhig auf die Bühne – und beginnt mit dem Abbau der Backline.

Denn das ist Mayalls zweite Marotte: überall mit Hand anlegen. Er schleppt seine Verstärker selbst, stopft Stative und Mikros in einen dunkelgrünen Seesack, stellt alles allabendlich akkurat zum Abtransport an den Bühnenrand. Und Mayall baut nicht nur ab, er baut auch selber wieder auf – mit der immer gleichen Routine, die selbst der schnöseligste Newcomer sofort den Roadies überläßt, sobald er sich welche leisten kann.

Der silberne Nightliner ist auf Deutschlands Autobahnen schon länger unterwegs: Zuletzt schlief Jule Neigeis Crew in seinen Betten (während die Sängerin im Benz vorwegfuhr). John Mayall fährt mit seiner Mannschaft Nach dem Gig setzt er sich zu seiner Band aufs halbrunde Sofa im hinteren Teil des Busses: Dann wird der letzte Auftritt durchdiskutiert, zuweilen auch noch etwas auf der Gitarre ausprobiert. Im Anschluß zieht er sich in den Mittelteil zurück, dort wo die Kojen sind, liest und notiert Ideen in ein schwarzes Büchlein, das er immer bei sich trägt Mayall schläft diesmal im Hotel „Hafen Hamburg“ – seinem Lieblingshotel in der Hansestadt mit Blick über den Hafen.

Am nächsten Nachmittag um vier Uhr füllt sich das Gefährt mit den abgedunkelten Scheiben allmählich wieder: Bandmitglieder, Crew und Busfahrer finden sich ein – Mayall, mit eigenem Busschlüssel ausgestattet, ist schon da.

Auf dem Weg zum nächsten Konzert nach Kiel das gewohnte Ritual: Gespräch mit der Band, zwischendurch ein Kaffee und eine Banane, dann die obligatorische Lesepause. In der Kieler „Traumfabrik“ angekommen, beginnt der Aufbau. Steht das Equipment, geht es zum Essen. Mayall läßt sich’s wieder einpacken: Es gibt Steak, Kartoffeln mit Quark, dazu Bohnen mit Speck. Auch am Obstbüffet bedient sich Mayall ausgiebig.

Nach dem Auftritt ist der Schlüssel für die Garderoben nicht aufzutreiben. John Mayall nimmt’s gelassen: „Wir haben ja eh keine Zeit“ Denn auch hier sind zwei Zugaben fällig. Zwei Dutzend Autogrammjäger warten vor der Bühne. Doch auch von ihnen läßt sich Mayall seinen Zeitplan nicht durcheinanderbringen. Erst baut er in Ruhe ab, dann nimmt er sich die Zeit für seine Fans: Autogramme gibt er gern, aber erst, wenn’s in sein akribisch durchgeplantes Zeitkorsett paßt Denn das ist sein Konzept: wie weiland Thomas Mann nach einem ausgeklügelten Zeitplan zu leben und zu arbeiten – mit eingeplanten Ruhepausen. John Mayall ist 61 Jahre alt Ein Wunder geradezu, daß er die ganze Nacht durchhält aber für den Mann aus dem Lautet Canyon scheint ja jetzt die Mittagssonne unterm Sternenzelt.

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