Antikörper

Die Schriftstellerin Juli Zeh und die Band Slut haben gemeinsam eine Protest-Schallnovelle aufgenommen.

I Got A Right“ sang einst Iggy Pop und wälzte sich auf der Bühne in Glasscherben. „Ich habe ein Recht“, sagt heute Juli Zeh, „ein Recht mich selbst zu zerstören. Das ist ein Teil meiner Freiheit, das kann mir niemand absprechen.“

Es ist der heißeste Tag des Jahres, 35° Celsius in Hamburg St. Pauli. In einem unaufgeräumten Büro sitzt die Autorin mit Christian Neuburger und Rene Arbeithuber von der Band Slut um einen viel zu niedrigen Couchtisch. Alle rauchen fast ununterbrochen und erzählen dabei von „Corpus Delicti“, der CD gewordenen Verbindung aus neuen Songs von Slut und einer Art Hörspiel-Fassung des letzten Romans von Juli Zeh. Es geht um das düstere Szenario einer Gesundheitsdiktatur, irgendwann im 21. Jahrhundert. Um die Obsession der Menschheit, dass ihre Körper so perfekt sein müssten wie Maschinen. „Corpus Delicti“ beschreibt ein System, das alle und alles kontrolliert. Gesundheit ist zur höchsten Bürgerpflicht geworden. Die „Methode“ verlangt ein festes Sportpensum ebenso wie die Abgabe von Schlaf- und Ernährungsberichten.

„Es hätte auch eine Schönheitsdiktatur sein können oder eine Fitnessdiktatur“, erklärt Juli Zeh und nimmt noch einen tiefen Lungenzug. „Zwar spricht natürlich nichts dagegen, gesund sein zu wollen, der Wille zu überleben ist ja etwas biologisch Vorgegebenes. Aber die Übertreibungen, die uns heute überall begegnen, haben mit Gesundheit nichts mehr zu tun. Gesundheit ist da nur ein rhetorischer Fetisch.“ Aber warum ist das so, warum wollen immer mehr Menschen an einem Triathlon teilnehmen oder unterwerfen sich selbstquälerischen Diäten? „Wenn eine Gesellschaft ihr Selbstbild so organisiert, dass es keine gemeinsamen schöpferischen Ideen mehr gibt, wird jeder Einzelne automatisch zum Schöpfer seiner selbst. Der gestalterische Wille bezieht sich dabei meist auf das Offensichtlichste – den eigenen Körper.“

Slut haben sich ganz bewusst für die Zusammenarbeit mit der 35-jährigen Autorin entschieden, nachdem die Macher der Veranstaltungsreihe „Lesemusikzimmer“ beim Ingolstädter Quintett angefragt hatte, ob man sich eine Zusammenarbeit mit einem Literaten vorstellen könne. Die sieben Songs, die sie für das Projekt aufnahmen, erinnern mit ihren dunklen Klangfarben und Christian Neuburgers Kopfstimme ein wenig an Radiohead, allerdings ohne deren elektroavantgardistischen Theaterdonner. Auch wenn die Hörspiel-Passagen dagegen manchmal etwas gehetzt und unstrukturiert wirken, ist die so entstandene Schallnovelle eine faszinierende, intermediale Beschäftigung mit einem enorm wichtigen Thema: „Es geht um diesen Ethos des optimierten Funktionierens. Wer den verletzt, hat sofort panische Angst rauszufallen aus der Gesamtmaschinerie, und das finde ich enorm bedrohlich“, sagt Zeh, die das Projekt mit Slut als eine Art „altmodischen Protest“ sieht, „aber es geht ja nicht nur um den Körper, der überbetont wird – das Gegengewicht wird im gleichen Zug immer weniger: Wir waren mal eine Bildungsnation! Und darauf waren wir echt stolz. Seit zwei Jahrzehnten interessiert das keine Sau mehr.“

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