Arctic Monkeys: Taschengeld oder Liebe

Geschichten aus Ab-18-Land: Die Arctic Monkeys sind in England die junge Band der Stunde.

Das Mädchen an der Kasse, kokett korrekt frisiert, mit Ring im Ohr. Hinter ihr das Schnapsregal, daneben das Warnschild (Tabakwaren erst für 16jährige), und man kriegt den Verdacht, daß sie für beides knapp zu jung ist. „Auszubildende“ steht auf ihrem Pullover, eine Packung Küchentücher kassiert sie unaufmerksam, denn der Blick des Mädchens geht nach rechts, wo wahrscheinlich die Uhr hängt. Freitagabend kurz vor Dienstschluß. Sie denkt an andere, entscheidendere Sachen.

Die Szene mit der kleinen Kassiererin ist nur ein Foto auf dem Cover der ersten offiziellen Single der Arctic Monkeys, „I Bet You Look Good On The Dancefloor“ – aber sie sagt verblüffenderweise fast alles über die Band, über ihr Publikum, darüber, wovon das alles handelt, was so besonders daran ist und warum diese erste Single Ende 2005 auf Platz eins in die britischen Charts crashte – was für komplett blutige Newcomer immer noch eine bemerkenswerte Sensation ist.

Es ist im Prinzip das uralte Teenage-Dilemma, über das schon Eddie Cochran im „Summertime Blues“ gesungen hat, das aber immer wieder jemand für die neue Zeit neu formulieren muß: eingequetscht zu sein zwischen jugendlichem Leichtsinn und den Anforderungen der erwachsenen Welt, zwischen Club und Schule und Job, zwischen dem Entdecker-Spaß an Alkohol und Sex auf der einen Seite und den dämlichen Ritualen auf der anderen, den Türsteher-Routinen, den Anmach-Spielen. „Oh, there ain’t no love, no Montagues or Capulets“, dichtet Arctic Monkeys-Sänger Alex Turner (19) im „Dancefloor“-Song, in Anspielung auf „Romeo und Julia“, „just banging tunes and DJ sets and dirty dancefloors and dreams of naughtyness.“ So fühlt sich das an, so gut, so übel.

Die Arctic Monkeys sind in Großbritannien zur Zeit die Band, die den jungen Leuten ganz gehört, die sie sich außerdem höchstselbst aus dem Internet gefischt haben. So uninteressant die Entstehungsgeschichte der Gruppe notgedrungen klingt (vier Schulfreunde aus Sheffield, mit gesundem Sozialleben und ohne größeren Hang zur Lyrik, die vor ein paar Jahren Gitarren zu Weihnachten bekamen), so aufregend ist das, was in kürzester Zeit mit dieser Oberschüler-Musik passierte: Freunde stellten die MP3-Demos ins Netz (die Bandmitglieder beteuern, daß sie selbst keine Ahnung von Computern haben), die Weblog-Propaganda lief wie von selbst, und als die Arctic Monkeys vergangenen August beim großen Doppel-Festival in Leeds und Reading auftraten, sangen Hunderte die Lieder mit, obwohl noch kein einziges auf Platte erschienen war. Ihr Management und das Label Domino haben große Mühe, den Fans zu erklären, daß nun die kommerzielle Phase begonnen hat und bitteschön kein Song mehr im Internet hochgeladen werden soll.

Das erste Album “ Whatever People Say l Am, That’s What I’m Not“ ist aber absolut nicht das, was man von einer spaßseligen Jungmänner-Bolzgruppe erwarten würde. Spröde, rüde, tatsächlich eher von der trickreichen schwarzen Funk-Musik beeinflußt, die einige der Mitglieder laut Aussage lieber mögen als die Britpop-Lieblinge, denen sie optisch ähnlich sehen mit ihren kaum kaschierten Hautproblemen, ihren Anoraks und Ringel-Polos. „Nein, ich weiß echt nicht, warum die Smiths beliebt waren“, sagt Schlagzeuger Matt Helders (auch 19), herzerweichend befangen. „I have no idea what was going on in them days. Dazu reicht meine Phantasie nicht ganz.“

Viermal habe der „New Musical Express“ gefragt, ob die Arctic Monkeys aufs Cover wollen, jedes Mal hätten sie abgelehnt. „Wir fanden nicht, daß wir bereit dafür waren. Als es dann doch passierte, kauften unsere Freunde das Heft, zeigten es herum und lachten uns aus. Die sorgen schon dafür, daß wir nicht eingebildet werden.“ Das Mädchen an der Kasse würde auch abwehren, wenn sie jemand fotografieren wollte. Und der zugegeben doofe Bandname war natürlich ein Witz, der sich jetzt nicht mehr rückgängig machen läßt.

Aber was sind das nur für Lieder, so wenig eingängig, so schroff auf den Gitarren geschlagen und von Sänger Alex so gebellt und gebüffelt, daß man am Anfang gar nicht hinhören mag – „Fake Tales Of San Francisco“ erzählt von den überheblichen Pub-Bands, den „weekend rockstars“, die man ertragen muß, bis in der Mitte des Songs ein Handy klingelt, die Angerufene vor die Tür des Konzertsaals rennt und dem Anrufer dankt: „Oh, you’ve saved me!°. „From The Ritz To The Rubble“ ist eine Geschichte aus den endlosen Einlaß-Schlangen, „A Certain Romance“ handelt von den Schlägertypen, die sich so aggressiv benehmen, wie man es selbst nie schaffen würde. Am besten: „When The Sun Goes Down“, in dem der Hauptdarsteller im Rotlicht-Viertel sieht, wie die armen Prostituierten mit ekelhaften Männern mitgehen und nichts dagegen tun kann, weil er zu jung ist und kein Geld hat. Martin Scorseses „Taxi Driver“, gespielt von einem tragischen Teenage-Helden. Und ohne Pistole.

Mit solchen Liedern ziehen die Arctic Monkeys die jungen Leute in England so sehr an, daß die sogar Easyjet-Maschinen bestiegen und ihnen zu den Deutschland-Konzerten nachflogen. Beim Auftritt in München versuchte Matt Helders dann sogar, für die Tribüne das Schlagzeug zu zertrümmern: „Ich sollte eh ein neues bekommen und dachte: Ich hab das noch nie probiert. Ich bin nicht so Rock’n’Roll.“ War es schwer? „Äääh, ich hab es dann doch nur umgeworfen. Es ging nicht kaputt.“

Ob man das bei uns verstehen wird, so wie die Kleinen Tokio Hotel verstehen? Immerhin gibt es eine populäre Connection zu Pulp, die ja auch aus Sheffield kommen. „Alex‘ Mutter war mal mit einem Mann zusammen, dessen Schwester einen kannte, der bei Pulp-Konzerten Tamburin spielte“, sagt Matt Helders. Ohne dabei zu lachen. Zu lachen gibt es da nichts.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates