Top Ten Club

Was ist eigentlich in den Charts los? Und wer deutet all die Phänomene? Ralf Niemczyk wundert sich über einen Hit von Alex Clare

Die guten alten Single-Charts sind ein merkwürdiger Moloch. Ein Messgerät, das immer absurder geworden ist. All die Marketingwunder, Konzeptideen und Castingtypen bilden ihren eigenen Kulturkosmos; weitgehend abgetrennt von der übrigen Popmusik. Verlangte einst der Underground nach Deutung, so finden sich die wahren Rätsel unseres Jahrzehnts ausgerechnet im Mainstream. Zuweilen wird die schnell drehende Zunft sogar zum Hort für Querschläger: etwa die Nummer-eins-Platzierung von Alex Clares „Too Close“. Der Song des rotblonden Bartträgers mit Tweedkappe war zunächst ein reines Download-Phänomen. CDs gab’s keine. Ein Frühlings-Hit aus dem Netz. iTunes und Konsorten lassen schön grüßen. Okay: Sein schmachtender Gesang zu asymmetrischen Dubstep-Breaks bildete den Soundtrack einer Microsoft-Kampagne. Doch das allein sorgt nicht für bezahltes Runterladen. Schließlich passen die harschen Rhythmus-Wechsel des 25-Jährigen so gar nicht ins Gute-Laune-Raster der Olly Murs‘ („Heart Skips A Beat“) oder Michel Telós („Ai Se Eu Te Pego!“) dieser Welt. Stattdessen haben wir es mit einem gestandenen Typen aus der Londoner Singer/Songwriter-Szenerie zu tun, der mit Bebop und Soul groß geworden ist. Bereits 2010 hat er für sein Album „Lateness Of An Hour“ mit den US-Bassmeistern Diplo und Switch zusammengearbeitet.

Bricht sich hier eine britische Indie-Variante von Skrillex ihren Weg? Sind wir auf der Spur der berühmten geänderten Hörgewohnheiten? Dass Clare eine Zeit lang mit Amy Winehouse liiert war, erfahren wir dagegen erst jetzt, wo die Musik gesprochen hat. Als Fußnote einer Raketenkarriere. Es zeichnet den gediegenen Stil von Alex Clare ebenso aus, dass er nach seinem Platz-eins-Sturm in einer Frankfurter Hotelbar einen 18 Jahre alten Whiskey orderte. Alles klar, Alex Clare!

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