Auf die Ohren hören

Jörg Gülden outet sich als Boy-group-Lover der ersten Stunde

Amerika, du hast es besser! Denn in deinen Gefilden hat man mit Pop, speziell dem von Boy- und Girl Groups, keine solch vorurteilsbefrachtete Probleme wie im Lande der gestrengen Germanen. Bei denen wird jeder Musikjournalist, der die Namen ‚N Sync oder Britney Spears nur laut zu denken wagt, an den Pranger gestellt. Bei dir hingegen hievt „die Bibel der Rockmusik“ die Backstreet Boys anno 2000 gleich zweimal auf ihren Titel, einmal sogar mit dem Zusatz „Artists of the Year“ (1.). Hat Obelix mit seinem „die spinnen, die Amis“ etwa auch in diesem Falle Recht?

Nein, hat er nicht! Denn die Amis können dank all ihrer Cornershop-, Barbershop- und Doo-Wop-Groups auf eine lange Boygroup-Historie zurückblicken. Wir hingegen halt nur auf das Medium Terzett. Ach, wie medioker und unglamourös… Ich weiß noch, wie im Herbst ’66 die Monkees die Bildfläche betraten – gleich mit Hammernummern a la „Last Train To Clarksville“ und „I’m A Believer“. Doch meine sachkundigen Kumpels im Hamburger Star Club nölten nur „Retorten-Kapelle“. Heute wissen sie, dass unter den Monkees-Aspiranten u. a. Stephen Stilk, Danny Hutton (später Three Dog Night) und der geniale Soundtrack-Guru Paul Williams waren – und löhnen für die Original-Colgems-Alben der vier aus der Retorte mal locker 300 Märker pro Stück.

„You can’t judge a book by just lookin‘ at the cover“; ein Stück Popmusik definitiv aber auch nicht, nur weil du dessen Macher auf dem Cover der „Bravo“ entdeckt hast. Das hab ich gelernt, und -zugegebender Lernprozess war lang, aber lohnend. Denn so haben sich nach den Monkees, die ich damals eher halsstarrig ins Herz geschlossen und verteidigt hatte, gänzlich unkonditioniert von Radio-Hitparaden und „Bravo“-Hype-Kampagnen z. B. die Rubettes für immer in meine Top 20 gespielt. Ihr „I Can Do It“ ist für mich ein Pop-Klassiker; für viele andere ist er’s nur deshalb nicht, weil die Band leider The Rubettes hieß.

Meinen letzten dummen Fehler, Musik dank medialer Fremdbestimmung ungehört für Abfall zu erklären, hab ich während meiner Zeit beim Radio gemacht. Da legte mir ein Redakteur ein Sendeprotokoll vor, und unter den Titeln entdeckte ich doch tatsächlich einen von The Osmonds! „The Osmonds“, brüllte ich ins Telefon, „hast du’n Rad ab? Willst du deine Hörer mit so einem Teenie-Gesülze auf immer verabschieden?“ Worauf der Redakteur cool konterte: „Hast du ,Crazy Horses‘ von den Osmonds denn je gehört?“ – Hab ich zu später Stunde klammheimlich nachgeholt: sensationell, saugeil, ein Ohrwurm.

„You can’t judge a book (record)…“ Ergo nagelt die verdammten „mainstream“-, „progressive“-, „teenie“und „adult“-Schubladen zu, hört Musik bitte nur noch mit den Ohren! Denn der stiere Blick auf „cheese cake photos“ (die early Beatles waren diesbezüglich Trendsetter) der Backstreet Boys kann die Sicht auf ihre wahren Qualitäten nur trüben. Not to forget: Die „bösen“ Stones waren früher ja mal „Bravo“-Stammgäste.~

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