Balzerblues mit oOoOO, Dean Blunt and Inga Copeland und Poliça

Jens Balzer, Redakteur im Feuilleton der "Berliner Zeitung", ist einer der besten und umstrittensten Popjournalisten des Landes. Die erste Folge seiner neuen Kolumne für den ROLLING STONE widmet sich dem Hall im Pop.

Mit der Mai-Ausgabe startete die neue Kolumne „Balzerblues“, die im Halbdunkel des Popuntergrunds nach leuchtenden Pfaden sucht, neuen Trends und Entwicklungen nachspürt. Ihr Autor ist Jens Balzer, Redakteur im Feuilleton der „Berliner Zeitung“, einer der besten und umstrittensten Popjournalisten des Landes. Seine erste Kolumne für den ROLLING STONE widmet sich dem Hall im Pop. Die Kolumne gibt es natürlich immer zuerst in unserem Printmagazin – und ca. zwei Wochen nach Veröffentlichung auch online zu lesen.

Zu den prägenden Klangeffekten der popmusikalischen Gegenwart zählt zweifelsohne der Hall. Wo man hinhört, hört man es hallen: psychedelischer Hall, Geisterhall, Hippiehall und dann noch die Echos aus der neuesten Dubstep-Produktion. Wo der Hall früher zur Erzeugung eines klanglichen Raumgefühls diente, soll er heute vor allem Unschärfen und kunstvolle Undeutlichkeit stiften. Das nostalgische Zitat überkommener Stile überzieht er – wie im Genre des Hypnagogic Pop – mit künstlicher Patina; die schleppenden Rhythmen der neuen Zeitlupenmusik – etwa im Chillwave oder Witch House – wirken durch den extremen Hall noch erschöpfter und weltabgewandter. In der Hallverliebtheit der aktuellen Musik finden Müdigkeitsgesellschaft und Retromania ihren passenden akustischen Spiegel.

Zum Beispiel „Our Loving Is Hurting Us“ (TriAngle) vom kalifornischen Produzenten Chris Dexter Greenspan alias oOoOO: Darauf hört man langsame, durch kunstvollen Echo-Einsatz noch zusätzlich verschleppte Beats, unheilig leiernde Streichorchester-Samples und rückwärts laufende Chöre. Mit seinem Debütalbum „oOoOO“ ist Greenspan vor zwei Jahren zu einem der prominentesten Protagonisten des Witch-House-Genres geworden – die Zeitlupenrhythmen des älteren Südstaaten-HipHop verbanden sich hier mit der ur-europäischen Ästhetik des Gothic. Doch was weiland wie ein flüchtiger Hipsterwitz wirkte, hat sich auf erstaunliche Art ausdifferenziert: Witch-House-Sänger und -Sängerinnen wie Grimes und How To Dress Well haben die Gothic-Ästhetik unterdessen mit falsettierendem Soulgesang und R’n’B-Rhythmen gepaart. So nun auch oOoOO, der seine neue Platte mit der in Berlin lebenden französischen Sängerin ButterClock aufgenommen hat – mit lasziver Stimme legt sie sich in den hallenden Mulm und bringt die Musik zum Grooven.

Was uns zu dem aus London kommenden, ebenfalls in Berlin lebenden Duo Dean Blunt und Inga Copeland führt, das bislang unter dem Namen Hype Williams musizierte: zwei virtuose Techniker des groovenden Hallens, aber auch des verhallten Groovens. Ihre Musik kann man als vernebelt-verschleppte Variation über historisch gewordene Popmusikstile verstehen: Aus den Hall- und Echoschlieren müssen die Melodiefetzen erst hervordringen. Auf dem neuen Album „Black Is Beautiful“ (Hyperdub) wehen Eurovisionsschlager aus dem Jenseits heran, eine Mundharmonika klagt zu rhythmisch knisterndem Vinyl, gleich am Anfang ergibt sich der Beat aus einem rachitischen Husten. Faszinierend, wie die verhallten Gesänge sich mit den Echos der gesampelten Soundschnipsel verbinden: Zwischen Stimme und Instrumenten gibt es hier so wenig einen Unterschied mehr wie zwischen den Epochen und Stilen, die Copeland und Blunt in gemeinsame Schwingung versetzen.

Scheinbar konventioneller im musikalischen Ergebnis, aber erstaunlich ähnlich in den musikalischen Mitteln ist „Give You The Ghost“ (Memphis Industries), das Debütalbum der aus Minneapolis stammenden Band Poliça. Die Sängerin Channy Leaneagh (Foto) hat vorher in diversen Folkbands gespielt – bei Poliça unterzieht sie ihren Gesang einer Echo- und Autotune-Behandlung. Sie moduliert die Tonhöhen, bringt ihre Stimme zum elektronischen Stottern oder begradigt sie künstlich, wo sie im Original ins Vibrato fällt. Dazu flechten zwei Schlagzeuger sacht zitternde und scheppernde rhythmische Texturen, ein Bass und ein paar Synthie-Loops ersetzen die melodische Grundierung. Grandios, wie viel Binnenspannung die Band mit diesen minimalistischen Mitteln zu erzeugen versteht! Und Channy Leanagh verdoppelt sich, spaltet ihre Stimme, singt mit sich selber hallend im Chor und fällt sich ins Wort, dass es eine Pracht ist. Ob Poliça, oOoOO oder Blunt/Copeland: Das Hallen aller Klänge beschwört hier kein Jenseits und keine Todessehnsucht mehr, sondern eine vielstimmig plaudernde und kichernde, rundum lebensfrohe Erotik.

Diesmal vorgestellt:

oOoOO – „Our Love Is Hurting Us“ ****
>>>> Albumstream

Dean Blunt and Inga Copeland – „Black Is Beautiful“ ***1/2
>>>> Song „2“ im Stream

Poliça  – „Give You The Ghost“ ****
>>>> Albumstream

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