Bamboo Artist: Berliner Skandal-Label zerlegt sich selbst

Massenabgang bei Bamboo Artists: Ex-Mitarbeiter berichten von toxischem Umfeld unter Gründer Kirschner. Jetzt verlassen die erfolgreichsten Acts das Label.

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Ehemalige Mitarbeitende und Künstler belasten Gründer und Übervater Leander Kirschner schwer.Es war eine Neugründung mit Turbo-Entwicklung: Das erst 2021 ins Leben gerufene Musiklabel Bamboo Artists mit Sitz in Berlin galt schon bald als Kronjuwel der Branche.

Zentrale Figur war und ist der 32-jährige Gründer und Boss Leander Kirschner. Er gilt als genialer Entwickler von jüngeren, deutschen Erfolgs-Acts wie Ski Aggu, 01099 oder Zartmann.

Das war allerdings gestern. Inzwischen haben sich die zentralen Aushängeschilder vom Label distanziert, Teile der Belegschaft kündigten. 01099 aus Dresden haben bereits die Gründung ihrer eigenen Firma in der Fachpresse bekannt gegeben.

Toxisches Arbeitsumfeld bei Bamboo Artists

Der Grund: Bei Bamboo soll ein grenzwertiges Arbeitsumfeld und ein grenzüberschreitender Führungsstil Kirschners bestanden haben. ROLLING STONE Online sind diese Verhältnisse durch Hintergrundgespräche seit einigen Monaten bekannt. Auch in der Berliner Szene war Bamboo ein Dauerthema. Nun haben zwei Journalistinnen vom Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ den Fall nach akribischer Recherche öffentlich gemacht. Sie sprachen dafür mit diversen Ex-Mitarbeitern und Musikern.

Im Jargon der Branche galt Bamboo Artists als „führendes unabhängiges Musiklabel Europas“. Intern gab es Chaos und Überforderung. Berichtet wird von überlangen Arbeitswochen, massiver Kritik und ständigem Bereitschaftsdruck – gerne nachts oder im Urlaub. Einzelne schildern körperliche und psychische Belastungen bis hin zu Zusammenbrüchen.

Eskalation bei Ski Aggu-Produktion

Turbulenzen habe es etwa bei einem Kreativ-Camp in der Mittelmeer-Region am Rande einer Ski Aggu-Produktion zu „Palermo“ gegeben. Kirschner sei dabei laut Aussagen wegen Kleinigkeiten ausgerastet. Er habe mehrfach seine Kollegen herabgewürdigt.Das Team verfasste daraufhin einen Brief an die Geschäftsführung mit der Forderung, Kirschner vorerst von der Belegschaft fernzuhalten. Im Sommer 2026 kam es laut „Spiegel“ bei einem Meeting über die Label-Internationalisierung zu weiterem Zoff. Kirschner soll im verschärften Aggro-Stil gewütet haben. Wie von der Tarantel gestochen, soll er lamentierend den Raum verlassen haben.

Manche Ex-Mitarbeiter berichten von nachhaltigen psychischen Folgen. Auch körperliche Symptome sollen nicht ausgeblieben sein. Als noch junges Label beschäftigte Bamboo vielfach junge Menschen, die oftmals ihren ersten Karriere-Schritt machten – ohne die Resilienz der sprichwörtlichen „alten Hasen“. Laut Informationen von ROLLING STONE suchten sich zuerst die kopfstarken, selbstbewussten Angestellten einen neuen Job. Einige Posten blieben daraufhin unbesetzt, was die Arbeitsbelastung im Dienste der erfolgreichen Bamboo-Bands und Solisten nochmal erhöhte.

Kirschner tritt zurück – Label vor dem Aus?

Ende November kündigte Kirschner laut Branchen-Meldungen seinen Rücktritt als CEO an. Er wolle mehr Zeit für seine Familie haben, hieß es im offiziellen Jargon. Laut Insidern befindet sich Bamboo Artist nun in einer „strukturellen und kulturellen Neuausrichtung“. Offenbar wird ohne Übervater Kirschner geplant. In Windeseile haben Ski Aggu und 01099 den Laden bereits verlassen, was Bamboo notgedrungen auch bestätigte. Zartmann, ein gefeierter Howard Carpendale für Unter-25-Jährige, ist auf der Label-Website noch gelistet.

An Berliner Theken wird bereits getratscht, dass sein Management eine Trennung forciere. Bislang gibt es noch kein Statement von Boss Kirschner. Man ist jedoch kein erleuchteter Prophet, wenn man Bamboo Artists eine eher düstere Zukunft prognostiziert. Statt Weltmarkt-Plänen mit Dependancen in New York und London müssen nun Scherben aufgekehrt werden. Noch im Frühjahr 2025 hatte Kirschner in einem Podcast des Musikbiz-Dienstes „ThemaTakt“ seine Arbeit bei Bamboo in leuchtenden Farben gezeichnet – eine Saga, die nach Veröffentlichung der „Spiegel-Recherche“ umgeschrieben werden muss.

Ralf Niemczyk schreibt freiberuflich unter anderem für ROLLING STONE. Weitere Artikel und das Autorenprofil gibt es hier.