Beady Eye – Die vier Ausrufezeichen

Wie gut ist die größte britische Band ohne ihren Vordenker? Besser denn je, glaubt Liam Gallagher. Nach dem Abgang seines Bruders Noel hat er aus dem Rest von Oasis eine selbstbewusste Truppe geformt - denn er hat da noch eine Rechnung offen.

Entschuldigung im Voraus, aber: Wie zur verfickten Hölle soll man Liam Gallaghers Tiraden und Sprüche und Murmler anständig in fremde Sprachen übersetzen? „Fucking“ bedeutet doch „beschissen“, und das sagt Gallagher – selbst in komplett sahniger Laune, ohne Widerrede, im Kreis der lieben Freunde und mit einem handgebrühten Irish Coffee vor der Kinnlade – derart oft, dass jedes zusätzliche „shit“ oder „bastard“ einen ganz durcheinander bringt. Heißt das nicht auch „beschissen“? Oder „Arschloch“? Oder gar „ficken“?

„Als mich damals die ganzen Leute und Manager belatschert haben, ob ich die Band jetzt nicht auch verlassen will, hätte ich am liebsten gesagt:, Nein, verdammte Scheiße, ich behalte den verfickten Bandnamen! Das könnt ihr eurem Arsch da drüben gern erzählen!'“ Die Ohren zischen einem vom F des F-Wortes, Liam hat sich in Rage geredet, wegen einer völlig harmlosen Frage. Kippelt mit dem Stuhl aus der Schräglage nach vorne, den Unterkiefer wie ein Bocksgeweih Richtung Interviewer rammend. „Ein paar Tage habe ich echt mit dem Gedanken gespielt.“ Er legt die Faust auf den Tisch, rechte Hand. „Glücklicherweise hab ich’s dann nicht gemacht. Hab ich ja schon ein paar Mal gesagt: Der Name war sowieso scheiße.“

Die Frage hieß natürlich, ob Liam es je in Betracht gezogen habe, seine Band weiter Oasis zu nennen. Damals, im schicksalsschweren August 2009, als sein Bruder, Freund und Feind Noel Gallagher mit einem Backstage-Bäng aus der Gruppe ausstieg, deren Haupt-Songschreiber und inoffizieller Boss er gewesen war, rund 18 Jahre lang. Oasis ohne Noel – das ginge nicht, entschied Liam am Ende. Im Mai 2010 gab er einen neuen Namen für sich und die drei Übriggebliebenen bekannt. Beady Eye. Perlenauge, Knopfauge, klingt übersetzt auch blöd.

Jetzt, im Frühjahr 2011, stehen Beady Eye unwiderruflich vor der Tür. Das eigentlich unmögliche Quartett, das nicht als Trümmerbruch von Englands größter, wahnsinnigster und größenwahnsinnigster Band der letzten 20 Jahre gesehen werden will, sondern als neue Macht. Das erste Album mit 13 Stücken liegt zur Veröffentlichung bereit, drei davon wurden als Singles und Videos vorausgeschossen, wie immer bei solchen boxkampfähnlichen Comebacks kamen die Urteile schnell: triumphal, okay, könnte besser sein. Für den 3. März ist der Barrowland Ballroom in Glasgow gebucht, für das allererste Konzert der neuen alten Gruppe. Bei dem im Übrigen kein Oasis-Song gespielt werden wird.

Und hier sind sie nun, ladies and gentlemen, birds and geezers, zu viert, nicht zu übersehen, wie Schatten vor der Sonne: Liam Gallagher, 38, Sänger, Spielmacher, Modeschöpfer, Idol, mit kritischem, muffigem Britpop-HipHop-Blick, das personifizierte „Fuck“. Gem Archer, ausgesprochen mit G wie Gitarrist, 44. In den mittleren Neunzigern bei den Oasis-Kopisten Heavy Stereo, ab 1999 bei den echten Oasis, mit Stones-Haaren und Harmonika in der Tasche, quasi der Blues. Andy Bell, 40, früher mit der großartigen Traumrock-Gruppe Ride und den nicht ganz so großartigen Hurricane #1 unterwegs, auch Gitarrist, auch von 1999 an bei Oasis. Oxford-Manieren, feines Gesicht, vielleicht: der Dandy. Und Chris Sharrock, 46, Drummer, der mit The Icicle Works schon in der deutschen „Formel Eins“-TV-Show auftrat, als die anderen noch mit Dosen kickten. Der dann mit The La’s, World Party, und Robbie Williams spielte und erst 2008 zu Oasis kam. Kompakter, wetterfester Typ. Wenn man aus dem typischen Spät-Beatles-Schlagzeug-Break, der auch bei Oasis so oft zu hören war, einen Menschen formen würde, würde er so aussehen.

Fuck, Blues, Dandy, Beatles. Eigentlich alles, was man für eine Rock’n’Roll-Band braucht. Oder fehlt da was? Vielleicht William Shakespeare, der Dichter?

Nur Liam lässt sich an diesem miesen Londoner Morgen entschuldigen. Der Sänger komme später, sagt der Management-Mann und klappt das Handy zu. Am Abend vorher hat es schwer gescheppert: Das Interview mit Silvia Patterson für die „Q“-Titelgeschichte artete in ein neunstündiges Besäufnis aus, irgendwer sei auf ein Auto geklettert. Die anderen treffen trotzdem zur verabredeten Zeit in der Hotelbar am Regent’s Park ein. Bleich um die Augen, Gitarrenkoffer dabei. Später soll noch das Video zu „The Roller“ gedreht werden, der dritten, herrlich phlegmatisch-großkotzigen Single, zu der den Ungläubigen da draußen wieder nur einfiel, dass sie am Anfang ein bisschen wie „Instant Karma“ von John Lennon klingt.

Beady Eye lächeln auf Bildern nicht. Alte Oasis-Tradition. Vor oder nach dem Posieren sind sie aber ein richtig schöner Große-Jungs-Club, bei dem man als Außenstehender höchstens jeden zweiten Gag kapiert. Als Liam sich mit pünktlich viertelstündiger Verspätung in den Raum schiebt – er hat Schwägerin und Ex-All-Saints-Sängerin Natalie Appleton dabei und trägt einen olivfarbenen Sack-Parka, aus dessen Taschen er die Hände in den nächsten 90 Minuten nur dann ziehen wird, wenn er auf den Tisch klopfen oder die Arme dick vor der Brust verschränken will -, wird die erste Runde Irish Coffee bestellt. Archer erinnert sich an eine Begegnung mit dem Gallagher-Großvater, der auch schon früh am Tag mit dem Saufen beginnt. „Er trinkt Bier und guckt seine Kriegsfilme im, History Channel'“, sagt Liam. „Er ist 80 … ööh, ungefähr.“

Der „New Musical Express“ hat an diesem Morgen die erste echte Beady-Eye-Coverstory, mit Liam im Leopar-denanzug. „Schon gelesen“, murmelt er. „Nichts drin, wofür wir sie verklagen können. Scheiße.“ Ist er denn der Bandleader? „Was soll das heißen? Bei uns gibt’s vier Anführer! Wohin soll ich auch führen? Ich führe jeden ohne Umweg an die Bar!“

Ein empfindliches Thema. Interviews geben sie in der Regel zu viert, vielleicht in Zweierteams, nie unter vier Augen. Einzelfotos der Bandmitglieder werden vom Management nur unter der Auflage gestattet, dass Liam keinesfalls allein als Titelbild gedruckt werden darf. Es ist aussichtslos, aber die öffentliche Gallagher-Fixierung der Oasis-Jahre soll bei Beady Eye außer Kraft gesetzt werden – vielleicht auch, um die Frage nach den Führungsqualitäten des kleinen Bruders so weit wie möglich auszublenden.

Denn Liam Gallagher, 1972 in einem Vorort von Manchester als dritter von drei Söhnen eines irischen Einwanderer-Paares geboren, wurde zwar oft genug zum größten Rock’n’Roll-Frontmann aller Zeiten gewählt. Aber jahrelang sah jeder, dass Noel, Jahrgang 1967, zweitältester und zweitjüngster Gallagher-Sohn, beim Jahrhundertprojekt Oasis die treibende Kraft war. Der Musiker, der Artikulierte und konzeptuell Denkende, Despot und Motivator. Dem man problemlos zugetraut hätte, dass er auch ohne Oasis ganz groß geworden wäre – hätte er auch nur ansatzweise die spektakuläre Gesangsstimme, Coolness, radikale Präsenz und Denkmaltauglichkeit seines kleinen, ansonsten nutzlosen Bruders Liam gehabt. Eigentlich können sie nicht ohne einander.

„Bei Beady Eye hat jeder ein Mitspracherecht und nutzt es auch“, erklärt Gitarrist Andy Bell, als ob das bei Oasis nicht so gewesen wäre. „Es gibt viele kleine Neuerungen. Zum Beispiel, dass Liam im Studio die ganze Zeit dabei ist.“ Früher nahm die Band immer erst die komplette Musik auf, an einer vorläufigen Gesangsspur von Noel entlang. „Ich kam dann am Ende rein“, sagt Liam, „und sang ein Lied nach dem anderen, eine beschissen einsame Arbeit, nur ich und der Produzent.“ So wie Kylie Minogue ihre Platten macht? „Mein Arsch ist ja auch mindestens so gut wie ihrer. Aber den Spaß, mit den anderen im Studio abzuhängen, den hatte ich nie. Dieses Mal schon.“

Nur vereinzelt soll es bei Oasis Experimente mit Gruppengefühl gegeben haben. „A Bell Will Ring“ vom Album „Don’t Believe The Truth“ wurde live im Studio aufgenommen, aber es war eine Ausnahme. Komischerweise scheint sich nie einer offen beschwert zu haben. In alten Interviews sagten Bell und Gem Archer oft, wie sehr sie die Arbeit mit der Band genossen.

„Wenn der Song von Noel war und er wusste, wie er ihn haben wollte, gab es keine Diskussionen. So lief das einfach bei ihm“, sagt Archer mittlerweile. „Aber wenn heute Andy mit einem Lied ankommt und Liam drei Minuten nach Aufnahmebeginn etwas dazu einfällt, dann krempelt sich plötzlich alles um. Sachen entwickeln sich.“

„Bring The Light“ zum Beispiel, der hämmernde Tanzbuden-Twist mit der genialen Refrainzeile „Baby, come on“, den Beady Eye im November 2010 als erste Single ins Internet stellten. Eine Gallagher-Komposition, die als gemächlicher Glam-Boogie begann, eher langsam, Richtung frühe Roxy Music. Natürlich super, aber nicht super genug, meinte Liam. Er schlug vor, das Stück mehr auf alten Rock’n’Roll zu trimmen, Jerry Lee Lewis, Little Richard. Andy Bell setzte sich ans Klavier, fürs Affengriff-Stakkato reichten seine Skills. Besser, aber noch zu historisch. Gem Archer spielte einen Punk-Bass drüber. Liam hatte Ike-&-Tina-Turner-artigen Backgroundgesang im Ohr. Perfekt. Ein großer Tag sei das gewesen.

„Jonathan, der Toningenieur, rief ein paar Mädchen an“, sagt Liam. „Sie kamen vorbei, erledigten ihre Arbeit, verpissten sich wieder. Hab sie nie mehr gesehen. Great girls.“ Dann wird er wahrhaftig. „Das hat mich an unserer alten Band gestört, und das liebe ich an unserer beschissenen neuen Band: Alles wird ausprobiert. Dauert manchmal nur zwei Sekunden. Aber hinterher kann man ruhig schlafen.“

Chris Sharrock nickt gemütlich, er sagt eigentlich nichts.

Sharrock ist auch der Einzige, der keinen Song fürs erste Album „Different Gear, Still Speeding“ komponiert hat. Liam, Archer und Bell gehörten ja schon bei Oasis zu den regelmäßigen Stückeschreibern, seit Liams legendä-rem Kinderreim „Little James“, mit dem er 2000 auf dem vierten Album „Standing On The Shoulder Of Giants“ das Monopol von Chefautor Noel brechen durfte (nur Ex-Gitarrist Bonehead bekam schon 1995 bei einem obskuren Bonus-Track zumindest einen Mitarbeiter-Credit). Was neu ist bei Beady Eye: Obwohl hinter jedem Song ein bestimmter Kopf steht, werden die Stücke durchweg als Koproduktionen deklariert. Alle Verlagseinnahmen werden durch drei geteilt.

Wie die Platte denn nun geworden ist? Wie das Duell gegen eine der gloriosesten jüngsten Rock’n’Roll-Vergangenheiten ausgeht? Ganz ehrlich: Wüsste man es nicht besser, würde man aus „Different Gear, Still Speeding“ schlicht ein neues Oasis-Album heraushören. Mit aller Harmonie und Angeberei, mit Lärm und Melancholie, britischer Selbstvergewisserung, Seligkeit und mutwilliger, erfolgreicher Verklärung des Banalen. Und, ganz einfach: wegen Liam Galla-ghers Gesang. Erst wenn man sich tie-fer in die Innereien begibt, findet man die Unterschiede. Die Sixties-Nostalgie, die bei Oasis als sonnenvergilbte Grundstimmung mitleuchtete, kommt bei Beady Eye viel buchstäblicher heraus, mit indischem Schnarren, Mellotron, Merseybeat-Melodien. Die kleinen idiosynkratischen Momente, überraschenden Wendungen oder lyrischen Schnippchen, für die auch ein schwach gelaunter Noel ab und zu gut war, fehlen allerdings. Es ist kein Dichter mehr im Haus.

Aber auch die selbst erklärte Stärke dieses Vom-Kampf-zur-Kunst-Teams hört und spürt man tatsächlich. Sogar die biederen Lieder werden mit solcher Verve gespielt, so hingebungsvoll mit Klangfarben angemalt, als hätte der Chefdesigner von Liams unerwartetem, Anfang 2009 gestartetem Modelabel Pretty Green jedem Song sein eigenes, straßen- und cafégerechtes, tanz- und protztaugliches Mod-Outfit geschneidert. Beady Eye sind keine Walze wie Oasis in ihren besten Tagen, sondern ein schnittiger Scooter. Und „The Roller“ ist Liams beste Single seit „Lyla“ von 2005.

Man spürt beim Hören der Platte, dass es dieses Mal um etwas geht. Um wesentlich mehr als in den letzten Jahren mit Noel, in denen es für die Band eh nichts mehr zu erreichen gab. Man merkt den Eifer, den sie selbst nie zugeben würden, wegen der Coolness. Auch alte Oasis-Tradition. „Ich lehne es grundsätzlich ab, mich selbst herauszufordern“, sagte Ex-Mastermind Noel noch stolz im Making-of-Film zur letzten gemeinsamen Platte „Dig Out Your Soul“ von 2008. „Ich mache nur das, was minimal nötig ist.“

Was das bei ihm 2009 und 2010 genau war, in den vielen Monaten, in denen der Rest seiner ehemaligen Band schon auf Hochtouren an der Zukunft arbeitete, das weiß keiner außerhalb des inneren Kreises. Ende März 2010 spielte Noel Gallagher – anders als Beady Eye – immerhin schon zwei Post-Oasis-Konzerte, Krebshilfe-Charity-Auftritte in der Royal Albert Hall, kokett eröffnet mit „(It’s Good) To Be Free“, danach 16 weitere Oasis-Stücke. Und Gem Archer als Stargast.

„Im Moment sitzt Noel zu Hause und wechselt Windeln“, lacht Alan McGee extrem schottisch ins Telefon. McGee, leicht irrer Gründer der Plattenfirma Creation Records (bei der übrigens auch die früheren Bands von Andy Bell und Gem Archer unter Vertrag waren), gab Oasis 1993 den ersten Vertrag, schnupfte in den Mega-Jahren von denselben Spiegeln wie sie und ist noch heute mit Noel Gallagher befreundet. Einem Interview für diesen Artikel stimmt McGee überschwänglich zu. Schwelgt dann ausgiebig in Neunziger-Erinnerungen und plaudert wenig Gegenwärtiges aus. Noel sei vergangenen Oktober zum dritten Mal Vater geworden, damit habe er doch erst mal genug zu tun.

Im Sommer 2010 allerdings hatte McGee eine CD von seinem Freund bekommen: zehn oder elf Demos, neue Stücke für eine neue Platte. „Ich stehe bei ihm im Vertrauen und darf nicht viel verraten“, sagt er, „nur so viel: Mindestens drei dieser Songs sind absolute Sensationen. In dieser Verfassung könnte Noel zum größten Solokünstler der Welt werden. Paul McCartney und Neil Young werden nicht mehr ewig unter uns sein. Er kann ihr Erbe antreten. Und so, wie ich seinen Ehrgeiz kenne, will er das auch.“

McGee hat sich vor zwei Jahren aus dem Musikgeschäft zurückgezogen, hat zum Zeitpunkt des Gesprächs erst zwei Beady-Eye-Songs gehört. Auch die findet er gut. „Ich freue mich für Liam! Die Leute in England sind sehr gespannt auf die Band. Ob sie so groß wie Oasis werden können? Keine Ahnung. Wundern würde es mich nicht.“ Die Trennung der Brüder sei „ein Schock, aber keine Überraschung“ für ihn gewesen. „Aber es tut beiden gut, mal ihr eigenes Ding zu drehen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie bald wieder zusammenkommen.“

Das soll ja schon vorgekommen sein. Abgesehen von den üblichen Wort- und Faustkämpfen zwischen den Brüdern, die der Oasis-Geschichte ihre Slapstick-Elemente schenkten, hatte Noel die Band mehrmals während laufender Tourneen verlassen, immer nur vorübergehend. Über das, was am 28. August 2009 im Backstagebereich des „Rock En Seine“-Festivals bei Paris wirklich vorfiel, gibt es bis jetzt keine zuverlässigen Aussagen: Liam soll vor Wut eine von Noels Gitarren zerschlagen haben, einem wilden Gerücht nach nur deshalb, weil er davor sein eigenes Instrument unter den Tritten des großen Bruders zersplittern sah (wie gesagt, Slapstick). Noel reiste ab, ließ den Auftritt platzen, verbreitete über die Homepage seinen endgültigen Rückzug. Arbeit mit Liam nicht mehr möglich. Als ob man dem eigenen bösen Ich einfach kündigen könnte.

Liam, im Parkasack auf dem Kippelstuhl, beim zweiten Schnapskaffee angelangt, den er aber kaum mehr anrührt, kann nicht ganz überspielen, wie nahe ihm das Thema geht. „Immer wieder fragen mich Leute, ob ich nicht irgendwas vermisse“, muffelt er, zum ersten Mal spürbar um die richtigen Worte ringend. „Aber Oasis ist nur ein verfickter Name. Wie ein Ballon, in den man reinbläst. Was Oasis für mich war, das ist sowieso alles in mir drin. Jetzt stecke ich es eben woanders rein.“ Hat eine Zäsur dieser Größenordnung denn keine Bedeutung für ihn? Zwingt das nicht zu der Art von Selbstreflexion, die man sonst gern vor sich herschiebt? „Aber das war gut so! Es musste doch mal was passieren!“ Andy Bell will etwas sagen, aber Liam ist lauter. „Unbewusst habe ich es kommen sehen, die anderen auch. Und, ganz ehrlich, ich bin froh, dass es passiert ist. Irgendjemand musste uns doch aus dem Elend erlösen.“ Wenn er ernst wird, kommt ihm kein „fuck“ über die Lippen.

„So ist das Leben, oder nicht?“, sagt Gem Archer sanft in die ungewohnte Stille, die das Wort „Elend“ in den Raum gefegt hat. „Oasis hätten noch 25 Jahre weitermachen können. Trotzdem wusste man nie, ob sie die nächsten fünf Minuten überstehen.“ „Keiner ist gestorben“, fasst Liam zusammen. „Es ist ein Neustart, sonst nichts.“

Es darf einfach kein Zufall gewesen sein, dass die damals noch namenlosen Beady Eye im November 2009 ihre erste Demo-Session ausgerechnet mit dem Stück „Beatles And Stones“ begannen. Der galoppierende, voll jungenhafter Leck-mich-Laune steckende Song – über den die Ungläubigen sagen, er lehne sich auffällig an „My Generation“ von The Who an – kommt jedenfalls in der Zeile zum Höhepunkt, die die wiedergeborene Band am besten zusammenfasst: „I’m gonna stand the test of time like Beatles and Stones“. Bei ihnen soll alles „classic“ sein.

„Wir sagen ja nicht:, Jetzt nehmen wir mal ein Album im Sixties-Stil auf!‘ So einen Scheiß macht nur Lenny Kravitz“, erklärt Liam. „Es geht nur darum: Jeder Hörer soll sich wünschen, selbst in dieser Band zu sein, ob er die Platte in 30 Jahren auflegt oder nächsten März.“ Fürs Cover probierten sie zuerst neue Designer aus, zeitgenössische Vorschläge. War alles Mist. Sie behielten lieber die manierierten weißen Rahmen, das stilisierte alte Columbia-Logo. Und legten ein Foto aus den Zwanzigern darunter. Man sieht ein Mädchen namens Doreen beim Ritt auf dem Alligator.

Gewissermaßen zieht das die Linie vom Beady-Eye-Debüt zurück zur ersten Oasis-Platte „Definitely Maybe“ von 1994. Auch die war von den jungen Musikern vom Start weg als Klassiker konzipiert, von den Songtexten bis zu den ikonischen Fotos. Ein Privileg der versierten, rundum popinformierten Neunziger-Generation, mit dem man als geschickter Künstler sicherstellen konnte, die Früchte des Ruhms möglichst schnell zu ernten, als lebende Legende. Umso überraschender, dass Oasis dennoch als Stimme der politischen Befreiung galten, zumindest einen Sommer lang, als Wellenbrecher für den jungen Tony Blair, der im Mai 1995 zum Klang der ersten Nummer eins „Some Might Say“ („Some might say we will find a brighter day“) bei den britischen Lokalwahlen den Konservativen über 2.000 Sitze abjagte.

Die Illusion verflog schnell, und auch Beady Eye werden im Jahr 2011 – trotz Londoner Studentenunruhen, Steuerwucher und Sozialschikanen unter einem Premierminister, der damit hausieren geht, die Smiths zu lieben – kaum von den Weltläuften inspiriert. Mehr von Lorbeerträumen und dem ewigen, manchmal ermüdenden Tanz um den Popkanon. Über weite Strecken spiele die Band jetzt besser als Oasis, wird Liam in der „NME“-Coverstory zitiert. Und am Ende der Hotelbarrunde malt er sich die Debütkonzerte in Glasgow schon als wilden Triumph aus, vielleicht in klassischen Schwarzweißbildern: „Hoffentlich stehen vor den Türen noch mehr Leute als drinnen. Es wird gewaltig. Es wird purer, verdammter Rock’n’Roll!“

Als das Interview sich in Privatgespräche aufzulösen beginnt, steht das fünfte Mitglied im Türrahmen. Jeff Wootton, ein Arctic-Monkeys-ähnliches Bürschchen, Tour-Gitarrist der Gorillaz. Er wird bei Beady-Eye-Auftritten Bass spielen – aber ob er schon Presseauskünfte geben darf? „Da muss ich erst mal fragen …“ Liam nickt großzügig, kein Problem. Sollte er wirklich nicht der Bandleader sein, hat er seine Leute auch so gut im Griff. Der kleine Wootton ist dann aber so aufgeregt, dass er auf alle Fragen nur antworten kann, wie aufregend er alles findet. Guter Junge.

Dann geht es für ein letztes Gruppenbild vor die Tür, in den ekelhaften Mikro-Nieselregen. In der Straße neben dem Hotel hat der Fotograf eine hübsche Hauswand entdeckt, und als die vier von Beady Eye über die schmale Harewood Avenue huschen wollen – da passiert es.

Fast. Der rote Doppeldeckerbus bremst knapp, die anderen hüpfen zur Seite, Liam reckt dem erschrockenen Fahrer das Kinn entgegen, ze-tert, gibt ihm den V-Fingergruß mit Handrücken nach außen. Mit dem die Bogenschützen der englischen Armee im 15. Jahrhundert angeblich den französischen Gegnern höhnend zeigten, dass ihre Schussfinger intakt waren. Das wäre was gewesen, wenn der Ex-Oasis-Sänger von einem britischen Wahrzeichen überfahren worden wäre. Und auch diese Handbewegung heißt ja nichts anderes als „Fuck you“.

Liam Gallagher hat sich viele Wege antrainiert, um der Welt zu signalisieren, dass sie ihn mal lieber nicht für zu blöd halten sollte. Die Band Beady Eye ist einer davon.

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