Bei seinem Liederabend fordert Elvis Costello Konzentration und Kenntnisse des Publikums; Der „Alternative Country“-Boom hat East Nashville populär gemacht. Eine Ortsbesichtigung.

Hamburg, Schauspielhaus. Er kommt geschäftig und in gedecktem Tuch als Bankier und wird gehen als gefeierter Buffo: unser liebster Entertainer, mit den Jahren immer gefallsüchtiger geworden, ein Diener (aber stets auch ein sanfter Provokateur!) des Publikums. Mit „Accidents Will Happen“ beginnt er den Liederabend, schrammelt überraschend „45“ von der vorletzten Platte, dann „Rodung Dead Horse“ und „Shot With His Own Gun“. Und gerade freute man sich über die Evergreens, da kündigt Elvis die Songs von „Norm „an, die sehr leise seien und von der Liebe handelten, und sehr leise singt er sie ja auch auf dem Album. Der treue Knappe Steve Nieve begleitet Elvis am Piano, während er diese intimen Lieder singt, die doch eher allerweltsmäßig die Wonnen und Schrecken der Liebe behandeln, obwohl der Dichter -wie man hörte, wie man auch zu spüren glaubt – verliebt sein soll. Manche lange Weile schleicht sich in den Vortrag.

Aber Costello weiß natürlich, wie er das Publikum jahrmarktshaft bannen kann, spielt den alten Schwank „God’s Comic“, macht einen Witz oder zwei über Japan, baut Nieve und sich selbst ein und animiert zum Mitsingen. Eben noch von Bob Dylan ignoriert und gequält, dürfen wir jetzt die Stimme erheben! Und wollen doch gar nicht Im Potpourri gibt es „This House Is Empty Now“, laut und getragen, „Indoor Fireworks“, „The Long Honeymoon“, „Man Out Of Time“ und „In The Darkest Place“, noch einmal Bacharach. Dann gehen die Freunde, die sich ein ums andere Mal altväterlich die Hand schütteln, zunächst ab.

Doch nun beginnt das Konzert erst! Mit „Deep Dark Truthful Mirror“, in das Elvis das sehr alte „You Really Got A Hold On Me“ einflicht, in das die Hamburger eher unwillig einfallen. „(What’s So Funny ‚Bout) Peace, Love And Understanding“, „Shipbuilding“, wieder „North“. Ein tolles „Watching The Detectives“ mit verzerrter Gitarre. Schon früh hatte eine Frau, gut vernehmbar, „I Want You“ gefordert, nun erfüllt Elvis ihr (und uns) den Wunsch. Endlich „Almost Blue“, der Rest von „North“, „I Still Have That Other Girl“ (nun ohne Mikrofon) und – nicht ganz unerwartet – „Couldn’t Call It Unexpected No. 4“. Das Publikum summt, ein wenig erschöpft nach 30 Stücken.

Costello verbeugt sich, dankt Nieve, verbeugt sich. Denkbar, dass die Fans im Fauteuil den Künstler so glücklich machen wie er sie.

Sie kennen doch diesen alten Witz über Nashville? Den mit dem Songschreiber in jedem Kellner-Kostüm? Nun, der Witz ist wie gesagt – ziemlich alt. Der neue geht so: Die Songschreiber haben ihre Läden inzwischen übernommen.

„Wir sind hier so reich geworden, dass wir allein schon wegen der Steuer was tun mussten“, sagt Greg Trooper trocken. Er lacht nicht. Sollte aber auch ein Witz sein. Seine Gattin Ciaire Mullally, eine ehemalige Musicbiz-Rechtsanwältin. fuhrt die Geschäfte in „Bobbie’s Diary Dip“ an der Charlotte Avenue, wo jung und alt gern Eis und Burger verspeist. Bobbie’s sei „the quintessential warm weadier dining experience“ verkündet Molly Nagel von Sugar Hill Records im Nashville-Guide des „Harp Magazine“. Doch wohl nicht nur, weil Trooper mit seinem letzten Album bei ihrem Label debütierte? Jedenfalls wird es heute nicht ganz so essenziell. Dauerregen verhindert auch das sonntägliche Frei-Konzert mit Paul Burch auf der kleinen Terrasse. Die Jukebox tröstet mit Elvis, CCR, Otis Redding.

Um wirklich hip zu sein, liegt das renovierte Retro-Schmuckkästchen mit dem, American Graffiti“-Flair einfach auch viel zu weit im Westen der Stadt. 20 Autominuten ostwärts, auf der anderen Seite des Cumberland River, manövriert Paul Burch drei Tage später einen Kinderwagen durch den „Red Wagon“. Der Songwriter, einst mit Lambchop aktiv und gerade mit seinem fünften Solo-Album auf einer England-Tour mit Bluegrass-Ikone Ralph Stanley unterwegs, schiebt samt Sohn Henry (Not-)Dienst im Restaurant seiner Frau Meg. Sonst, so Burch, bewege er sich „eher hinter den Kulissen“. Büroarbeit, mal Gemüse einkaufen. „Das hier ist nämlich anstrengend“, lacht Burch. „Da hätte ich ja keine Zeit mehr, Songs zu schreiben.“ Einen davon, „Your Red Wagon“ von seinem I996er-Solo-Debüt „Pan-American Flash“, nahm Meg vor einem Jahr gleich für ihr erstes Gastro-Baby in Beschlag. Mit seinem hellen, modernen Interieur ist der gut besuchte Lunch-Treffpunkt an der Woodland Street in East Nashville in etwa so weit entfernt von einem schummrigen Wfestem Saloon wie Loretta Lynn von Shania Twain. An den farbigen Wänden leuchtet fotorealistische Pop-Art der befreundeten Malerin Kelly Williams. Stammgäste wie Ben Folds erfreuen sich an der vegetarischen „Zen Bowl“: Reis, Tagesgemüse, schwarze Bohnen.

Folds hat es kürzlich schon nach East Nashville gezogen. Grant Lee Phillips könnte folgen. „Das würde meiner Musik bestimmt gut tun, es gibt nicht so viele Ablenkungen hier wie in L.A.“, sagt der Ex-Kopf von Grant Lee Buftalo. bevor er sich mit Freundin Denise auf den Weg zum Flughafen macht. Die hat bereits ein Haus vor Ort ins Auge gefasst, derweil Phillips „noch ein bisschen Magengrummeln deswegen“ hat. Will jedenfalls sein Gastgeber Duane Jarvis beobachtet haben. Mit Gattin Denise betreibt er drei Blocks westlich vom „Red Wagon“ im zweiten Stock ihres liebevoll restaurierten Hauses von 1918 das „Cats‘ Pajamas“, ein JBed & Breakfast“ mit Sonderkonditionen für Musiker und Sympathisanten. Neben dem Sofa vor dem Kamin liegt eine kleine, aber feine Musikbuch-Bibliothek aus, im Flur leuchtet Jarvis‘ Goldene für „Car Wheels On A Gravel Road“. Der langjährige Gitarrist und Co-Autor von Lucinda Williams ist längst solo unterwegs, aber auch in der Gruppe des Soul-Shouters Ellis Hooks. Im nahen „Tone Chaparral“-Studio produzierte Jarvis gerade das kommende Album von Markus Rill. „Markus ist vermutlich amerikanischer als wir alle zusammen“, sagt Jarvis und lacht, will das aber als Kompliment an den Songschreiber aus Würzburg verstanden wissen, den er zufällig auf seiner letzten Deutschland-Tour kennen gelernt hatte.

Das „Red Wagon“ und „Cats‘ Pajamas“ sind nur zwei, wenn auch wesentliche Fixpunkte der Renaissance eines Viertels, das in Nashville lange, so Duane Jarvis, „als eine Art Niemandsland betrachtet wurde, wie das Ende der Welt“. Als er vor acht Jahren als einer der ersten kam, „fragten sie alle: Was willst du bloß da drüben?“ Doch Jarvis, der zuvor elf Jahre L.A. überstanden hatte, gefiel es gleich, nicht nur wegen der – für US-Verhältnisse – alten Architektur und der billigen Miete. „Es hatte für mich einfach Soul. Weil hier Leute mit ganz unterschiedlichem Background zusammenkommen. Arbeiterklasse und Künstler, Arme und Architekten, schwarz und weiß.“

„Funky“ ist ein Attribut, das oft fällt, wenn East Nashville charakterisiert wird. Paul Burch, der Mitte der 90er aus Mississippi über Indiana nach Nashville kam, „weil ich lernen wollte, wie man Country-Musik spielt“, um dann festzustellen, dass „das Nashville meiner Vorstellung gar nicht mehr existierte“, spricht sogar davon, dass es gut sei da zu leben, „wo’s dieses Stück Mystik noch gibt, weil es dir erlaubt, ein bisschen extravaganter und exzentrischer zu sein“. Was einfacher zu sein scheint in einem Teil von Nashville, der „schon Teil von Nashville“ sei, „aber eben auch der Teil, der vom Rest der Stadt lange ignoriert wurde“. Wo Guy Clark in den 70ern seine Zelte aufschlug, im Revier der einsamen Songwriter-Wölfe, wo der junge Rodney Crowell Townes Van Zandt kennenlernte. Crowell nennt East Nashville heute lachend „unsere Reeperbahn“. Und erzählt dann von einem Freund, der dort lebt „und sich auch beklagt. Es ist schwarz und weiß – einerseits großartig, andererseits nicht, wenn Leute in sein Haus einbrechen. Kriminalität halt“.

Das Mystische braucht Geschichte. Und die hat East Nashville. Denn auch das zieht die Leute dorthin: Ein Stück greifbare Geschichte in einer Stadt, die mit ihrer Musik-Historie nicht nur touristisch wuchern kann – und doch mit den Platitüden des New Country davor so schnell und so weit wie möglich davonzulaufen scheint. Denn im Prinzip – und paradoxerweise – ist East Nashville doch nur zu seinen Ursprüngen zurückgekehrt. Anfang des 20. Jahrhunderts war dieser Teil der Stadt der erste Vorort von Downtown Nashville; wer es sich leisten konnte, zog in den als „ländlich-idyllisch“ gepriesenen Suburb jenseits des Flusses. Aus dieser Zeit stammen die Villen und Landhäuser, die jetzt wieder zu Objekten der Begierde einer renovierungsfreudigen Boheme avancierten. So sie stehengeblieben sind. Etliche Feuer wüteten hier, das ganz große im Jahre 1916 radierte ganze Straßenzüge aus. 1998 setzte dann ein Hurrikan dem Stadtteil besonders zu; einige der vielen Kirchen sind immer noch nicht richtig geflickt, viele Bäume gingen verloren.

Doch nicht nur Naturgewalten brachten East Nashville auf die schiefe Bahn. Fataler noch, weil es das schlechte Image des Stadtteils bis heute prägt, wirkten die Regierungsprogramme des „urban renewal“. Wie in anderen US-Städten produzierte der flugs zusammengezimmerte Sozial-Wohnungsbau auch in Nashville ein belastetes Inner City-Ghetto. Die Ausläufer davon lassen sich heute auch nur ein paar Blocks vom „Red Wagon“ entfernt zwischen der 5. und 6. Straße beobachten, wo die Hilfebedürftigen – zumeist Afro-Amerikaner – im East Park Community Center eine Anlaufstelle haben. Doch im Prinzip ist der historische „Edgefield“-Distrikt zwischen Woodland auf der Nord- und Shelby Avenue auf der Süd-Seite noch eine relativ wohlhabende Enklave.

Nur wenige Straßenzüge weiter geht es wirklich ans Eingemachte. Auf den Weg dorthin, in die „projects“, macht sich regelmäßig Doug Hoekstra. Der Songschreiber macht ausnahmsweise nicht in Gastronomie, sondern recherchiert und schreibt für ein Hillszentrum Anträge, um bei privaten Stiftungen und Unternehmen ein paar Dollar mehr für die rauszuholen, die hier im Durchschnitt kaum 4000 Dollar verdienen. Imjaht „Und es wird schlimmer“, sagt Hoekstra. „Weil die Wirtschaft hier ohnehin schlecht ist und dann auch noch Sozialprogramme gestrichen wurden, um den Krieg bezahlen zu können.“ Alphabetisierungsprogramme für die Ärmsten der Stadt sollen die Spirale aus Drogen und Gewalt entschleunigen. Doch selbst ein konservativer Neigungen unverdächtiger Liberaler wie Duane Jarvis sagt angesichts der höchsten Kriminalitätsrate von Nashville fast direkt vor der Haustür: „Ein bisschen mehr Polizei-Präsenz hier könnte schon nicht schaden.“ Er lacht Noch.

und Ronda Landers ihren Garagen-R&B nicht nur für gleichgeschlechtlich Gepolte runterpoltern. Vorbei auch noch an zwei Aushängeschildern der neuen Ess-Kultur in East Nashville, dem Chapel Bistro und dem Rose Pepper, finden wir über die Eastland Wie ein gelungenes ttrban renewal aussehen kann, ist nördlich der Woodland Street und noch etwas tiefer im Osten zu begutachten. Vorbei an der Lipstick Lounge an der 14. Straße, einer Lesben-Bar, wo jeden Freitagabend die Eigentümerinnen Jonda Valentine Avenue den Weg zum „Family Wash“. Nomen est omen: Vis ä vis eine verfallene Tankstelle, erstand das Bar-Restaurant mit der kleinen Eckbühne und der großen Bierauswahl (ca. 60 Sorten) aus den Ruinen eines Waschcenters. Noch immer glänzen voluminöse Abluftrohre unter der hohen Decke. Die Wände zieren Original-Poster aus Bill Grahams Winterland, Konzertplakate für Pink Floyd und Otis Redding. Eintritt wird grundsätzlich nicht genommen, hier geht immer noch der gute, alte Hut rum.

Eine Reanimierung ä la Family Wash ist charakteristisch für das pragmatische „Aus alt mach neu“ des jungen East Nashville. So war es auch, als Roger Moutenot seine Woodland Studios, in denen er ein bisschen Country, vor allem aber – La Tengo und Josh Rouse produziert hatte, verlor – wegen eines schweren Hurrikan-Schadens, aber auch, weil sich das Gebäude im hart umkämpften Studiomarkt von Nashville nicht rentierte. Schließlich stand der ganze Komplex zum Verkauf. „Wir fürchteten, Wal-Marts würde es kaufen, abreißen und den nächsten Supermarkt eröffnen.“

Auftritt Gillian Welch. Die Songschreiberin investierte die Extra-Dollar, die sie als „Associate Music Producer“ des knapp acht Millionen Mal verkauften „0 Brother, fVhere Art TAoM?“-Soundtracks verdient hatte, in den Kauf des Woodland Studios. Moutenot ist froh: „Ihre Liebe zur Geschichte der Musik, die ja auch ihre Musik selbst reflektiert, ist so groß, dass Gillian dachte: Ich liebe diesen Raum, ich habe das Geld, ich werde das bewahren. Und sie hat das Richtige getan.“

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