Berghain Variationen: Der Pianist Francesco Tristano sucht Inspiration im Techno

Francesco Tristano versucht mit seinem morgen erscheinenden Album "BachCage", den frommen Bach und den radikalen Cage zu versöhnen. Jürgen Ziemer traf für uns den jungen Pianisten.

Der in Luxemburg geborene Francesco Tristano Schlimé ist ein kultivierter Schöngeist, hoch gewachsen, elegant gekleidet. Der 29-jährige Pianist und Absolvent der New Yorker Juilliard School ist zurzeit „Artist in Residence“ bei den Hamburger Symphonikern. Doch sein Herz schlägt für Techno: Das letzte Album, „Idiosynkrasia“, hat er zusammen mit dem legendären Techno-Produzenten Carl Graig in Detroit aufgenommen, mit dem Trio Aufgang spielte er im Berliner Club Berghain. Anders wäre das klassische Establishment für Tristano wohl nicht auszuhalten: „Die Leute, die man heute im Konzertsaal trifft, sind überwiegend die gleichen wie vor 40 Jahren“, sagt er. „Wenn man das Programm nicht neu überdenkt, wird vielleicht irgendwann überhaupt keiner mehr kommen.“

Christian Kellersmann, der Chef von Universal Classics & Jazz, hat ähnliche Befürchtungen. Schon seit Jahren ärgert sich der Musik-Manager über die Gerontokratie im klassischen Musikbetrieb – die Alten sterben weg, die Jungen bleiben aus. Der ehemalige Palais-Schaumburg-Musiker setzt deshalb verstärkt auf ein junges, pop-affines Bürgertum. Für die Deutsche Grammophon hat er sich nicht nur das Club-Konzept der Yellow Lounge ausgedacht, sondern auch die Veröffentlichungsreihe „Recomposed“, in der Electro-Musiker wie Matthew Herbert klassische Werke bearbeiten.

Nun hat Kellersmann den umtriebigen Francesco Tristano an Land gezogen. Dessen erste Veröffentlichung für Deutsche Grammophon ist das Album „BachCage“. „Es war mir auf diesem  Album wichtig, dass man Bach mit dem Blick des 21. Jahrhunderts betrachtet“, so Tristano, der sich als Mediator zwischen dem frommen Bach und dem radikalen Cage sieht: „Ich möchte beides als lebendige, zeitgenössische Musik empfinden und nicht als etwas aus dem Museum.“

Moritz von Oswald, eine Hälfte des Techno-Produzenten-Duos hinter Basic Channel und Rhythm & Sound, hat hier ganz dezent den Klang des Pianos nachbearbeitet. Er wird auch dabei sein, wenn Tristano und Carl Graig am 10. März zusammen mit etwa 20 Musikern der Hamburger Sinfoniker in der Hamburger Laeiszhalle auftreten. Unter dem Titel „Technophonic“ spielen sie eigene Kompositionen zwischen Klassik und Detroit-Techno. Ein Phänomen, das sich mit der Entwicklung des Jazz vergleichen lässt, wie auch Tristano weiß: „Jazz war eine Tanzmusik, die zuerst in Clubs und Bordellen gespielt wurde, an Orten, an denen die vornehme Gesellschaft sich nicht zeigen wollte. Doch später kam der Jazz in die Carnegie Hall, wurde an Konservatorien gelehrt und zu der amerikanischen Musik überhaupt erklärt.“

Nun ist es also die an archaische Bedürfnisse rührende Maschinenmusik, die in den kulturellen Kanon integriert werden soll, weil der Klassik die Ideen ausgehen. Der britische Konzeptkünstler und Turner-Preisträger Jeremy Deller hat Techno 1997 noch als authentische Volksmusik definiert und darum die größten Hits von einer britischen Blaskappelle nachspielen lassen. Doch auch Tristanos Adaption für die E-Musik kann sich wirklich hören lassen. 

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