„Jazz ist zu durcheinander“

WESTBAM HEISST EIGENTLICH MAXIMILIAN LENZ, wurde 1965 in Münster geboren und arbeitet seit den 80er-Jahren als DJ, Veranstalter und Labelmacher. 1988 fuhr er im Auftrag des Goethe-Instituts zu den Olympischen Sommerspielen nach Seoul; seitdem hat er zehn Platten veröffentlicht, zusammen mit seinem Freund und musikalischen Partner Klaus Jankuhn die Hymnen für die Mayday-Raves produziert und zusammen mit Dr. Motte die für die Love Parade. Auf seinem neuen Album „Götterstraße“ singen neben Iggy Pop und Richard Butler auch Inga Humpe, Hugh Cornwall von The Stranglers, Bernard Sumner von New Order und Kanye West. Westbam lebt seit 1984 in Berlin und arbeitet in seinem großen Studio voller Plattenregale und verstaubter Instrumente. Er wohnt mit seiner Familie, zu der auch zwei Kinder gehören, im ehemaligen Ostteil der Stadt.

Haben Sie eigentlich ein Preußen-Münster-Tattoo, so wie alle Münsteraner?

Nee, aber in meiner frühesten Jugend war ich mal kurz Schalke-Fan. Bevor das mit der Musik losging, war sozusagen Fallrückzieher mein Ding.

Sie tragen das Westfälische sogar im Künstlernamen. Ist Ihnen Ihre Herkunft wichtig?

Na ja, es macht kulturell schon einen Unterschied, ob man beispielsweise in Würzburg aufwächst oder in Münster, als Kind der britisch besetzen Zone. Weil man als Münsteraner Jugendlicher ja in dem festen Bewusstsein lebte, dass die Engländer die Musik komplett erfunden hatten.

Kann ich als ehemalige Osnabrückerin bestätigen. Die Limeys waren cool.

Genau, diese Verachtung für das Amerikanische, die Begeisterung für alles Britische, das lernt man in dieser Gegend. Obwohl ich auch krasse Erlebnisse mit denen hatte, als ich als 15-Jähriger mit Spikey-Haaren und Bondage-Jeans vor der Kneipe stand und plötzlich ein Engländer wollte, dass ich zehn Songs von den Specials aufzähle. Nach dreien hatte ich schon die erste Ohrfeige weg

Wieso? Sie konnten ja wohl noch zehn Stücke zusammenkriegen?

Na ja, aber die wollten halt einfach Ärger. Und damals konnte ich das zwar, aber jetzt gerade fallen mir nur Stücke von Madness ein, verdammt Mir war übrigens damals auch nicht bewusst, dass Ska 60er-Jahre-Musik ist -ich dachte, die Engländer hätten das auch gerade für mich erfunden!

Wie ging es musikalisch mit Ihnen weiter? Wir waren immer die Punks, die schon Elektronik hörten, Throbbing Gristle, Fad Gadget, D.A.F. oder Der Plan. Nicht so sehr die Gröl-Punks.

Warum kamen Sie 1984 nach Berlin?

Weil ich Bundeswehrflüchtling war. Außerdem war Berlin für Punkrocker natürlich das Mekka. Hinzu kam, dass ich in Berlin das erste Publikum hatte, das DJing als Kunst begriff! In Münster waren die Leute tendenziell irritiert, wenn man zwei Platten mixte. Die blieben dann im Odeon auf der Tanzfläche stehen und sagten: Moment, das ist ja gar nicht mehr mein Lied, der hat mich reingelegt! Im Metropol in Berlin dagegen warteten sie regelrecht darauf, dass der DJ anfängt zu mixen und den neuen Beat reinbringt.

Haben Sie Musikvorlieben, die Sie für Ihre Arbeit nicht benutzen können?

Ich kann ja alles benutzen. Manchmal höre ich uralte Sachen, zum Beispiel gerade Dub, King Tubby. Auf meiner neuen Platte sind zwei King-Tubby-Geräusche drauf. Für mich ist Dub eh die Erfindung von DJ-Musik, weil diese Typen angefangen haben, auf die B-Seiten einfach das gleiche Lied in einer anderen Form draufzumachen. Und andere Richtungen?

Jazz zum Beispiel kenne ich nur aus dem Radio. Für mich ist Jazz eine Jugenderinnerung an meinen Onkel, der eine riesige Jazzplatten-Sammlung hatte und immer in seinem Sessel saß und die verrücktesten Saxofonsoli durch seinen Bart vor sich hin summte.

Verrückte Soli kommen bei Ihnen eher selten vor

Ja, im Grunde meines Herzens bin ich ein einfacher Mensch, der einfache Musik mag, mir ist Jazz zu durcheinander. Je älter ich werde, desto lieber mag ich ordentliche Musik.

Und Klassik?

Stresst mich auch, Brahms oder Mozart nerven mich fürchterlich. Viel zu viele Noten! Bach dagegen ist wunderbar, herrlich stumpf. Wenn ich sagen soll, was die vollendete Stimme Gottes ist, dann ist das Bach. Da bilde ich mir ein, die musikalischen Wendungen zu verstehen.

Macht Ihnen Texten auch Spaß?

Absolut. Ich würde gern endlich mal über Texte reden! Nie spricht mich einer drauf an!

Gemacht. Worum geht es in „Oldschool Baby“?

Das ist ein Lied über die Suche nach Heimat und nach Vertrautheit in der „alten Schule“. Insofern über moderne Zeiten. Ein Beispiel: Mein Sohn, mit seinen acht Jahren, seufzte neulich, als wir an seiner ehemaligen Kita vorbeigingen: „Ach, die gute alte Kindergartenzeit!“

Auf der neuen Platte haben die Gastsänger selbst getextet. Haben Sie denen gesagt, worum es gehen soll?

Dafür ist meine Hochachtung vor Iggy Pop zu groß. Aber das erste Stück von Richard Butler heißt „You Need The Drugs“, und ich dachte: Mit so einem Titel kann ich endlich mal über Texte diskutieren. Ging auch gleich los, mit „You’re poisoning the minds of our kids!“ und so.

Ist das denn wirklich ein Pro-Drogensong?

Wenn man sich damit beschäftigt, sieht man, dass er zwar mit Drogen zu tun hat, aber eher dagegen ist. Er erzählt von einer kaputten Nachtleben-Beziehung.

Merken Sie als DJ Ihr Alter?

Ich spiele noch einmal pro Woche, damit ist mein Bedarf an Nightlife ziemlich durch. Es spielt eine Rolle, dass ich Familie habe. Die Verantwortung für die Kinder gehört zum Leben.

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