Berlinale-Musikfilme: Das Leben des Brian Wilson in „Love & Mercy“ – Can we fit a horse in the studio?

Im Fokus: eine Dokumentation über die grönländische Band “Sume”, “What Happened, Miss Simone?” und “Love & Mercy” – der neue Film über Brian Wilson, Gründer der Beach Boys.

Film und Musik ergänzen sich in den besten Fällen so, dass das Erlebnis am Ende so gut ist, als würde man zum ersten Mal in ein Peanutbutter-Jelly-Sandwich beißen. Somit ist es also ein großes Glück für alle Liebhaber, dass es auf der diesjährigen 65. Berlinale viele herausragende Genrefilme gibt. Neben der neuen beeindruckenden Dokumentation “Montage of Heck” über Kurt Cobain laufen im diesjährigen Programm auch noch eine neu adaptierte Version des Filmklassikers “Studio 54: The Directors Cut”, eine Dokumentation über die grönländische Band “Sume”, “What Happened, Miss Simone?” und “Love & Mercy”, der neue Film über Brian Wilson, Gründer der Beach Boys.

Love & Mercy

Bill Pohlad ist bis jetzt eher als gefeierter Produzent von preisgekrönten Filmen wie „Twelve Years A Slave“ oder Terrence Malicks „Tree of Life“ in Erscheinung getreten. Jetzt hat er mit “Love & Mercy” einen Film gedreht, der Brian Wilson, dem Gründer und Musikgenie der Beach Boys, ein großartiges Denkmal setzt.

“Love & Mercy” hat eine außergewöhnliche, aber für die Geschichte sehr fruchtbare Erzählstruktur. Pohland schildert das Leben Wilsons auf zwei Zeitebenen, in denen der Musiker von zwei verschiedenen Schauspielern dargestellt wird. Im Mittelpunkt steht der durch Erfolg, Drogen und psychische Krankheit bedingte Zusammenbruch Wilson in den Sechzigern und die anschließende Rettung des ehemaligen Genies in den 90er Jahren durch seine spätere Frau Melinda Ledbetter (Elizabeth Banks). Paul Dano spielt dabei den jungen Beach Boy, getrieben von einer großen musikalischen Vision für seien Band, und gelangweilt von der Feelgood-Musik, mit der sie am Anfang ihrer Karriere ihre großen Erfolge feiern. Wilson hat zu diesem Zeitpunkt längst Höheres im Sinn – was deutlich wird bei den Studioaufnahmen zum Album “Pet Sounds”, bei der er nur halb im Scherz die Frage stellt: ”Can we fit a horse in the studio?”

In den 90er Jahren ist der ehemalig gefeierte Musiker schließlich nur noch ein Schatten seiner selbst, der in seiner Verletzlichkeit und Verlorenheit herausragend dargestellt wird von John Cusack. Wilson befindet sich zu dieser Zeit buchstäblich entmündigt im Bann des Scharlatans Dr. Eugene Landy (Paul Giamatti), der es auf das Geld und den Ruhm des Musikers abgesehen hat. Die Rettung kommt schließlich in Form der Autoverkäuferin Melinda Ledbetter, die  Wilsons Notlage erkennt und die unter Beruhigungsmitteln und Einfluss versteckte Persönlichkeit erkennt. Das Spannende an Pohlands Erzählung ist, dass er sich von der Chronologie der Geschichte befreit und beide Lebenszeiten miteinander verwebt. Wilsons Charakter wird durch die unterschiedlichen Darstellungen von Paul Dano und John Cusack komplementiert, man bekommt das Gefühl den Menschen hinter der Musik erkennen zu können. “Love & Mercy” ist also nicht nur ein großartiger Musikfilm, sondern auch eine herausragende Charakterstudie über einen Menschen, der sich entscheidet wieder zu leben und zu lieben, oder wie es so schön im Beach-Boys-Songtext zu “I can hear music” heißt: This is the way I always dreamed it would be the way that it is – oh when you are holding me I can hear music.”

What happened, Miss Simone?

“What happened, Miss Simone?” von Regisseurin Liz Garbus ist eine sehr klassische, von Netflix mitproduzierte Dokumentation. Mit vielen Orginalaufnahmen der Jazz- und Soulsängerin sowie Interviews, in denen Freunde und Familie zu Wort kommen, zeichnet Garbus den Aufstieg, Fall und die spätere Karriere, der aus dem segregierten North Carolina stammenden Interpretin. Nina Simone wollte eigentlich die erste schwarze klassische Pianistin werden, die in der Carnegie Hall auftritt. Am Ende steht sie dort auch auf der Bühne, aber hat mit anderen Songs Erfolg, als sie es von sich selbst erwartet hat. So bewegt sich der Film immer zwischen Wunsch und Wirklichkeit und zeigt die Zerrissenheit einer starken Frau, die zu sich selbst am Härtesten ist.

Die Wucht der Dokumentation steckt vor allem in den Interviews, in denen man die Sängerin über ihr beweges Leben sprechen hört: “You see, I have to live with Nina and that is very difficult”, sagt sie in einer der ersten Szenen. Diese Herausforderung Nina Simone zu sein, geht Garbus mit großer Präzision nach und erschafft ein vielschichtiges Porträt, in dem auch der Kampf gegen Dämonen und Depressionen nicht ausgelassen wird. Besonders Simones Radikalisierung während der 70er Jahre der afroamerikanischen Freiheitsbewegung erhält viel Raum. Die Wut und Enttäuschung der Protagonistin, es auf Grund des vorherrschenden Rassismus nicht als klassische Pianistin geschafft zu haben, ist jederzeit spürbar.

Simones Karriere zerbricht schließlich an ihrem politischen Engagement. Nach dem Mord an Martin Luther King flüchtet sie sich verarmt und psychisch angeschlagen nach Liberia. Von dort geht die Reise weiter nach Zürich zum Montreux Jazz Festival, auf dem sie zum ersten Mal nach langer Zeit wieder auftritt.  Mit Hilfe ihrer Freunde findet die zu diesem Zeitpunkt als bipolar diagnostizierte Simone schließlich den Weg zurück ins Leben und auf die Bühne. Am Ende bleibt einem von dieser kraftvollen Dokumentation vor allem ein Satz im Gedächtnis, den Simone in einem der vielen Interviewausschnitte auf die Frage, was Freiheit für sie bedeutet, antwortet: “No Fear.”

“Sumé” – Mumisitsinerup Nipaa (The Sound of Revolution)

Der erste grönländische Film, der jemals auf der Berlinale gezeigt wurde, dokumentiert den Aufstieg der heimischen Rockband Sumé. Die Band hatte einst den Soundtrack für die grönländische Unanhängigkeitsbewegung der 70er Jahre geliefert. Der Film von Inuk Silis Høegh ist eine dieser wunderbaren kleinen Berlinale-Entdeckungen mit der man vorher nicht rechnet. Er besticht vor allem durch tolles, altes Super-8- Material und Interviews der ehemaligen Bandmitglieder. Sumé, das wird deutlich, sind in etwa so wichtig für die grönländische Revolution wie es in Deutschland “Ton Steine Scherben” waren. Ein großartiger kleiner Film, der zeigt, dass Musik und politische Veränderung immer zusammengehören.

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