Berlinale-Tagebuch: ‚I am Michael‘ und ‚Are You Here‘

Der Freitag: Justin Kellys Geschichte eines schwulen Mannes, der zum Kämpfer gegen die Rechte von Homosexuellen wird. Und Matthew Weiners sympathische Bromance-Story "Are You Here".

Mit der Weltpremiere von Kenneth Branaghs “Cinderella”, mit Cate Blanchett in der Rolle der bösen Stiefmutter, gab es am Freitag ein märchenhaftes Happy End auf der Berlinale. Die erste “Cinderella”-Verfilmung von Disney wurde übrigens bei der ersten Berlinale 1951 mit einem Goldenen Bären als bester Musikfilm ausgezeichnet – und hat nun den Weg zurück ins Festivalprogramm gefunden. 

Nach 10 Tagen voller Dramen wie “Queen of Earth”,”Victoria” “Nasty Baby”, politischen Filmen wie “Taxi”, “Elser” “El Club”, “Tell Spring Not To Come This Year”  und beeindruckenden Dokumentationen wie “Die Wiederständigen: Also machen wir das weiter”, “Montage of Heck” oder “The Look Of Silence”, freut man sich bei Cinderella einfach mal ein wenig genießen zu können. Wenn das Berlinale-Programm ein hoch kompliziertes Sterne-Menü ist, mit dem man sich richtig auseinandersetzen muss, um es in seiner vollen Größe zu verstehen, ist Cinderella das Schokoladensoufflé, auf das sich alle einigen können.

“I Am Michael” – James Franco in seiner besten Rolle 

“I Am Michael”, der auf dem diesjährigen Sundance Festival seine Weltpremiere gefeiert hat, ist wahrscheinlich einer der stärksten leisen Filme der diesjährigen Berlinale. Im Biopic von Regisseur Justin Kelly spielt James Franco (der auf jeden Fall schon mal einen Bären für seinen Berlinale-Enthusiasmus verdient hat) den homosexuellen Aktivisten Michael Glatze, der sich nach einem Identitätskonflikt in einen die Schwulenrechte verachtenden, christlichen Prediger verwandelt und eine ganze Bewegung verrät.

Der Film beruht auf der wahren Geschichte von Michael Glatze, die in dem New-York-Times-Essay “My Ex Gay Friend” von seinem ehemaligen Partner Benoit Denizet-Lewis verarbeitet wurde. Diesen Essay las Gus Van Sant (der Executive Producer des Films) und schickte ihn an Regisseur Kelly weiter, der sich mit großer Feinfühligkeit dieser Geschichte annimmt.  Benoit, der im Film Bennett heißt, wird  beeindruckend verständnisvoll, aber dennoch mit der Entscheidung seines Partners kämpfend, von Zachary Quinto dargestellt. Bennett kann, wie die gesamte Community, die plötzlich eine ihrer Leitfiguren verliert, nicht verstehen, warum Michael der vorher mit aller Kraft für die Aufklärung und LGBT-Rechte gekämpft hat, plötzlich die Wahrheit und Erkenntnis in der Bibel sucht.

James Franco spielt den selbstüberzeugten Michael mit unglaublicher Stärke, in der selbst die Zerstörung des eigenen Lebenswerkes auf eigenartige Weise nachvollziehbar wird, obwohl man die plötzlich verschobene Weltanschauung trotzdem nie ganz verstehen kann. Beeindruckend ist auch, wie man den gleichen Enthusiasmus und die Überzeugungskraft, die Michael als Redaktionsmitglied des Schwulenmagazins XY an den Tag legt, am Ende in einer Szene sieht. Darin versucht er einen schwulen Jungen davon zu überzeugen, dass schwul sein falsch und eine Frage des Entscheidungswillens ist. James Franco schafft es, einem das Unverständliche nahe zu bringen. Und zeigt, was die verzweifelte Sehnsucht sich selbst endlich zu finden, mit einem Menschen machen kann. “I Am Michael” ist wirklich großes Kino. 

“Are You Here” – Matthew Weiner zeigt eine Ode auf die “Bromance”

Bei der Vorstellungskonferenz der diesjährigen Berlinale-Jury hatte Matthew Weiner noch rumgewitzelt, dass er als TV-Mann und Erfinder von Serien, wie „The Sopranos“ oder „Mad Men“ das intellektuelle Niveau des Festivals dieses Jahr eindeutig senkt. So ist es jetzt allerdings, Gott Sei Dank, nicht gekommen. Mit “Are You Here” einer Tragikomödie über Freundschaft, zu viel Drogenkonsum und die große Frage nach dem Sinn des Lebens, schafft Weiner einen Film, der die Leichtigkeit einer TV-Serie hat. Und bei der man sich wünscht, es würde nach dem Film noch mit ein paar Episoden weitergehen.

“Bromance” ist das Wort, das wohl am besten zu “Are You Here” passt, denn Weiners neuer Film ist eine Ode an die kumpelhafte Freundschaft und Liebe. Die Story folgt den beiden Stoner-Freunden Steve (Owen Wilson) und Ben (Zach Galifianakis) die unterschiedlicher nicht sein könnten. Steve ist ein meilenweit von sich entfernter strahlender Wettermoderator, der immer mit den gleichen Sprüchen Frauen aufreißt und dabei gerne seine Kreditkarte überzieht. Ben, in seiner eigenen Welt feststeckend gespielt von Galifianakis, ist der bipolar gestörte Stoner-Sohn eines reichen Mannes, der versucht einen Roman zu schreiben und seine utopischen Weltveränderungsvorstellungen an den Mann zu bringen.

Die Geschichte nimmt schließlich an Fahrt auf, als der Vater von Ben verstirbt und ihm, statt seiner Karriere orientierten Schwester (super gespielt von Amy Poehler), einen Großteil des Vermögens hinterlässt. Das hört sich zunächst vielleicht erstmal nach der typischen, konstruierten Hollywoodgeschichte an, wird aber dann zu einem echten Charakterstück, wenn man die Tragik der einzelnen Personen sieht, die sich hinter den offensichtlichen Witzen verstecken. Besonders Owen Wilson überzeugt hier als selbstverliebtes Arschloch, dass sich auf Sinnsuche befindet, ohne es sich selbst eingestehen zu wollen. Der Witz von Matthew Weiners Film steckt vor allem in den sehr gut ausgearbeiteten Dialogen aber auch in der Kamera, die in den richtigen Momenten still steht und die absurden Entscheidungen und Kämpfe mit sich selbst von Ben und Steve in ihrer vollen Größe zeigt. So sieht man einen sich während einer manischen Episode nackt ausziehenden und über die Felder wegrennenden Ben, der sich immer weiter  von der Kamera entfernt, die in diesem Momente der klassischen Comedy-Versuchung widersteht voll drauf zu gehen.  

“Are You Here” mag auf den ersten Blick wirken wie eine klassische Indie-Komödie, aber dahinter steckt eindeutig mehr als nur das. Owen Wilsons Charakter erinnert einen in den besten Momenten auch an den suizidgefährdeten “Francis” aus Wes Andersons Film “Darjeeling Limited”, der sich auch verloren hat, ohne es zu bemerken. Bei “Are You Here” wird einem klar, dass sich die schmerzhafte Wahrheit bei Matthew Weiner besonders gut hinter den Handlungen der Figuren versteckt, die auf den ersten Blick komisch wirken, aber doch auch immer eine große Tragik haben. Am Ende  hätte man sich allerdings genauso viel Ausarbeitung der gesamten Story gewünscht, wie anscheinend in das Set-Design des Films investiert wurde, in dem sich großartige Bilder verstecken. Die Ironie steckt bei Weiner, wie auch schon bei seinen Fernsehserien, eben immer im Detail. So heißt die Steves Fernsehstation “Eyewitness News”, und in der verranzten Stoner-Bude von Ben sieht man an der Klotür ein Bild von Einstein kleben, das mit einem Heiligenschein aus Dollarscheinen versehen ist. Während sich Ben in einer seiner endlosen Lebenserklärungstheorien verrennt.

Am Ende ist “Are You Here” ähnlich wie “Cinderella” eine gute Entspannung, wenn man zehn Tage anstrengendes Festivalprogramm hinter sich gebracht hat. Und wenn man es wie Matthew Weiner schafft einen ganzen Berlinale-Saal zum Lachen zu bringen, hat man auf jeden Fall irgendetwas richtig gemacht, auch wenn wahrscheinlich alle Filmkritiker ein wenig in ihr Popcorn weinen und die fehlende Tiefe des Films bejammern werden. Es ist okay im Kino einfach mal Spaß zu haben.

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