Birgit Fuß fragt sich durch: Darf man Ryan Adams verzeihen?

Sechs beachtliche Alben hat Ryan Adams 2022 veröffentlicht, er zeigt sich nüchtern und geläutert. Dürfen wir ihm verzeihen?

Ryan Adams hat im vergangenen Jahr sechs Alben veröffentlicht. Haben Sie gar nicht gemerkt? Dann geht es Ihnen wie wohl den meisten Menschen, zumindest außerhalb der USA. Dort unternahm der Singer-Songwriter kürzlich eine ausverkaufte Tournee, spielte unter anderem in der Carnegie Hall in New York und kämpfte sich so einigermaßen zurück ins Rampenlicht.

Die Alben, die 2022 erschienen, waren „Chris“, „Romeo & Juliet“ (beide im April veröffentlicht) und „FM“ (Juli), dazu die Restesammlung „Devolver“ (September) und zwei komplette Cover-Werke, die quasi Weihnachtsgeschenke waren und die man auf Adams’ Websitenkostenlos runterladen konnte: Bruce Springsteens „Nebraska“ und Bob Dylans „Blood On The Tracks“.

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Wie zuletzt meist bei Adams zünden nicht alle Stücke, aber auf jedem Werk gibt es welche, die einen mit ihrer sehnsüchtigen Schwelgerei („Romeo & Juliet“) berühren, manchmal auch mit purer Verzweiflung („Hall Of Shame“) – und eine Menge Freude an schwungvollem Softrock („Aching For More“) hat er auch immer noch. Normalerweise fänden diese beachtlichen Alben in Deutschland sofort zumindest einen Vertrieb, wenn nicht ein ordentliches Label. Aber seit einigen Jahren ist bei Adams nichts mehr normal, und daran ist er natürlich selbst schuld.

In „About Time“ singt er: „Carrying a lot around with me these days/ I’m bad with question marks/ Ten tons and piling up/ Feels like an accident/ Like I just walked out of frame/ Can’t find my way back/ Back into the pitch.“ Wie kommt man zurück ins Spielfeld mit so viel Gepäck? Zur Erinnerung: Adams war 2019 in die Schlagzeilen geraten, weil er mit einer 15-Jährigen, die sich als volljährig ausgegeben hatte, Sexnachrichten ausgetauscht und sie wohl virtuell bedrängt hatte (getroffen hat er sie nie). Auch seine Ex-Frau Mandy Moore und Kollegin Phoebe Bridgers berichteten von psychischem Missbrauch und anderem Fehlverhalten.

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Was Adams angerichtet hat, war letztlich offensichtlich nicht justiziabel – es gab keine Strafanzeigen, das FBI stellte die Untersuchung ein. Doch alle Freunde, so schien es, waren weg – nur Produzent Don Was hält weiter zu ihm. Allerdings hat Adams sich selbst auch keinen Gefallen getan, indem er es nicht geschafft hat, wenigstens ein sinnvolles Interview zu dem Thema zu geben. Stattdessen schrieb er viel zu spät einen öffentlichen Brief, in dem er anerkannte, dass er keine Entschuldigung erwarten dürfe – und es gelang ihm, nüchtern zu werden und es vorerst zu bleiben.

Ich respektiere alle, die Ryan Adams kein Geld mehr gönnen, weil er sich so mies verhalten hat. Ich erlaube mir aber gleichzeitig den Wunsch, weiterhin seine Stimme zu hören. Den Menschen muss ich nicht mögen, um seine Songs zu schätzen. Ich verstehe es außerdem nicht als Verrat an den beteiligten Frauen – Bridgers und Moore kommen gut zurecht, ohne dass ich meine Solidarität zeigen muss, indem ich Adams boykottiere. Das bringt ja niemandem etwas. Vielleicht können wir in solch ambivalenten Fällen auch unterschiedliche Haltungen dazu zulassen.

Und wir müssen Ryan Adams ja nicht gleich verzeihen, aber wir könnten ihm die Chance geben zu beweisen, dass er wirklich versucht, ein besserer Mann zu werden.

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