Birgit Fuß fragt sich durch: Träumen ohne Schranken

Annäherung ist nicht mehr so leicht, wie sie einst schien. Ein alter Schlager und die eher neue Frage: Wo hört der Spaß auf?

Der sogenannte Wonnemo­nat naht, der Frühling ist schon spürbar, widmen wir uns also einem der schwierigs­ten zwischenmenschlichen The­men überhaupt: der Annäherung. (Das Wort flirten fand ich immer scheußlich, und ich weiß auch gar nicht, wie das geht.)

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1977 sang der Komponist Hans Blum unter dem Pseudonym Henry Valentino ein Lied namens „Im Wagen vor mir“. (Später haben es unter anderem Die Toten Hosen und Holy Moses gecovert.) Es han­delt von einem Mann, der hinter einer Frau in einer Ente herfährt. Er fragt sich, was sie wohl denkt und ob sie Radio hört, er findet sie süß. Sie nimmt seine Anhäng­lichkeit zunehmend als bedrohlich wahr: „Warum überholt der nicht? Der hängt nun schon ’ne halbe Stunde ständig hinter mir/ Nun dämmert’s schon, und der fährt ohne Licht.“

Er träumt derweil von ihrem Haar und freut sich, dass er es nicht eilig hat: „Ich träum so in Gedanken, ganz allein und ohne Schranken/ Und wünscht’, das schöne Mädchen wär bei mir.“ Ihr wird mulmig, sie will die nächste Abfahrt nehmen und sich verste­cken. Der Mann scheint nicht mal zu merken, dass er der Frau Angst macht, er denkt ihr fröh­lich hinterher: „Bye­bye, mein schönes Mädchen, gute Reise!“

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Es ist ein erschütterndes Lied, weil hier zwei Gedankenwelten aufeinanderprallen. Ist das nun noch arglose Schwärmerei oder bereits Belästigung? „Nur“ nervig oder sogar gefährlich? Das sind Fragen, die sich Frauen leider sehr oft stellen müssen, natürlich auch im Musikgeschäft. Ryan Adams, Mark Kozelek, Marilyn Manson, wir kennen die Namen. Doch schmierige Typen, die sich für ihre Übergriffigkeiten nicht mal schämen, gibt es – zu­mindest meiner Erfahrung nach – im Rock’n’Roll weniger, als gemeinhin angenommen wird. Jedenfalls nicht mehr als in der „normalen“ Gesellschaft. Und die Frage ist immer: Wo hört das Harmlose auf und fängt die Über­griffigkeit an?

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Einmal fragte mich bei einem Interview einer, nachdem ich Alko­hol und Koks freundlich abgelehnt hatte, ob ich denn auch keinen Sex möge? Und dann nannte er mich noch „Baby“. Ich war so angewi­dert, dass ich am liebsten gegan­gen wäre, aber mein Pflichtbe­wusstsein dachte an den Artikel, den ich abliefern wollte. (Heute würde ich gehen und dann genau das aufschreiben.)

Männer wissen oft nicht, wie sie wirken

Ein anderes Mal fragte mich jemand, den ich kaum besser kannte, ob ich mal auspro­bieren wolle, wie hart die Hotel­betten sind, und die Idee fand ich spontan gut. Es geht also nicht nur darum, was gesagt wird, sondern auch von wem, in welcher Situati­on und mit welchen Absichten.

Ein großes Problem scheint mir zu sein, dass viele Männer ihre Wirkung überhaupt nicht einschätzen können, und noch weniger die Resonanz der Frauen. Da werden in der Realität ähnlich viele Signa­le missverstanden wie im Wagen von Henry Valentino. Bloß dass es in echt nicht lustig ist, sondern tra­gisch. Und im schlimmsten Fall hat es zudem katastrophale Folgen, wenn gleichzeitig die Impulskon­trolle fehlt.


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Verbale Aussetzer und Machtspielchen oder kleinere Übergriffigkeiten kann sich eine Frau später vielleicht schönreden oder einfach unter miese Erfah­rung verbuchen und abhaken, bei einer Vergewaltigung ist das Leben nie mehr dasselbe. Und deshalb haben Frauen Angst – nicht vor Parks und Parkhäusern, sondern vor den Männern, die dort lauern könnten. Und das wiederum scha­det den vielen Männern, die ihre und unsere Grenzen gut kennen und sie spielerisch austesten kön­nen. Es bleibt kompliziert.

Ich möchte, dass keine Frau mehr Angst haben oder sich auch nur unwohl fühlen muss. Aber ich möchte gleichzeitig, dass ein Mann mir mal was Unanständiges sagen darf, wenn es gerade passt, und denken soll er sowieso, was er will. Vielleicht ganz gut, dass ich gar kein Auto habe.

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