Birgit Fuß fragt sich durch: Im Trauermonat November hat ausgerechnet Wüstling Warren Zevon den besten Rat parat

Was lehrt uns die Endlichkeit?

Die Tage werden kürzer, die Nächte schwärzer, die Stimmung steigt nicht gerade. Und dann gibt es ausgerechnet im November so schöne Gedenktage wie Volkstrauertag und Totensonntag – die deprimierendsten unter den Feiertagen, und man kriegt nicht mal frei. Angeordnete Trauer, ob für Kriegsopfer oder andere Gestorbene, finde ich etwas seltsam, denn eigentlich können sich Staat und Kirche darauf verlassen, dass Menschen das Trauern sicher nicht vergessen werden.

Wenn im Spätherbst die letzten Blätter fallen, liegen die Gedanken an den ewigen Kreislauf ohnehin nahe. Viele Philosophen haben sich schon zum Leben und Sterben geäußert, und es gibt massenhaft sinnvolle Ratschläge, wie man mit beidem am besten umgeht. Doch im Zweifelsfall würde ich mich immer für ein Zitat von Warren Zevon entscheiden. Der Songwriter bekam mit 55 die Diagnose Lungenkrebs, vor Schreck fing er nach siebzehn trockenen Jahren erst mal wieder an zu saufen. Im Oktober 2002 war er zu Gast in der „Late Show With David Letterman“. Der Moderator fragte ihn, ob er irgendwas über Leben und Tod gelernt habe, seit er unheilbar krank sei. Zevon antwortete: „Enjoy every sandwich!“

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Und er tat genau das – aus den letzten Monaten seines Leben holte er das Beste heraus. Seine Stimme war schon angekratzt, doch sein zwölftes und letztes Studioalbum klingt dadurch nur noch viel dringlicher. „The Wind“ beginnt mit diesen Zeilen: „Some days I feel like my shadow’s casting me/ Some days the sun don’t shine/ Sometimes I wonder what tomorrow’s gonna bring/ When I think about my dirty life and times.“ Es wird nicht mehr viel Morgen geben, deshalb geht die Sonne in diesen Liedern besonders berührend unter. Zur Seite stehen ihm die alten Weggefährten Jorge Calderón und David Lindley, dazu Bruce Springsteen und Jackson Browne, Tom Petty und Emmylou Harris. „Numb As A Statue“, „The Rest Of The Night“, „Please Stay“: Lieder über die Vergänglichkeit und das, was bleibt. Er covert auch Bob Dylans „Knocking On Heaven’s Door“. Und mit Liebeserklärungen wie „She’s Too Good For Me“ oder „El amor de mi vida“ wendet sich Zevon an Verflossene und Vergrätzte, seine Art der Entschuldigung für vergangene Missetaten. Nun sind Trennungen freilich etwas anderes als der Tod – nach jeder noch so miesen Scheidung gibt es zumindest theoretisch Hoffnung.

„The Wind“ erschien zwei Wochen vor Zevons Tod im September 2003, und der letzte Song wird für immer sein Vermächtnis bleiben. Er wusste es, das Stück heißt „Keep Me In Your Heart“: „Shadows are falling and I’m running out of breath/ Keep me in your heart for a while/ If I leave you, it doesn’t mean I love you any less/ Keep me in your heart for a while.“ Manchmal, wenn die Hinterlassene im Haus rumkramt, könne sie vielleicht an ihn denken und lächeln, stellt sich Zevon vor – er wäre dann so was wie der Knopf an ihrer Bluse, der einfach dazugehört. Unendlichkeit ohne Pathos. Für den Mann, der schon „I’ll Sleep When I’m Dead“ getextet, ein Album „Life’ll Kill Ya“ genannt und wegen seines wilden Lebensstils mehr als einmal am Abgrund gestanden hatte, war der Tod kein Unbekannter, aber zu wissen, dass es jetzt defini- tiv so weit ist: das machte selbst den härtesten Zyniker weich.

Die letzten Worte, die wir Warren Zevon singen hören: „When the winter comes, keep the fires lit/ And I will be right next to you.“

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