Bloß keine Hits mehr

Da steht Billy Joel nun in seiner Unterwäsche vor uns, und er schämt sich ein bisschen. Stellen Sie sich das jetzt bitte nicht vor es ist nur das Sinnbild, das der Songschreiber gern benutzt, wenn es um das neue Box-Set „My Lives“ geht, auf dem 66 rare Songs versammelt sind: Demos und Alternativ-Versionen bekannter Stücke, B-Seiten, Live-Mitschnitte, Soundtrack-Beiträge.

Joel macht keinen Hehl aus seiner Ablehnung der vier CDs (die Bonus-DVD von einem Konzert in Frankfurt ’93 findet er in Ordnung): „Columbia Records wollte all die Songs veröffentlichen, die ich nie veröffentlichen wollte. Da die Musik nicht mir gehört, hatte ich nur die Wahl, ob ich mich noch einmischen wollte oder nicht. Sie haben mir eine Menge Songs geschickt. Ich habe keine ausgewählt, ich habe nur manche rausgewählt. Aber ich fühle mich immer noch nicht wohl damit – mit diesem Zeug, das einst im Schneideraum liegengeblieben ist. Ich klemme mir am liebsten die Ohren unter die Arme, wenn ich das höre. Aber ich weiß, daß die Leute sich für sowas interessieren. Mich selbst fasziniert das bei anderen Musikern auch. Aber von mir selbst so ein Zeug vorgesetzt zu bekommen – furchtbar. Man hört mich in meiner Unterwäsche!“

Die ersten Aufnahmen stammen von 1965, als der 16jährige Billy mit The Lost Souls beginnt, Musik zu machen. Immerhin: Darüber kann Joel heute lachen. „Keine Ahnung, wo die diese miesen Aufnahmen aufgetrieben haben! Das kommt mir wie ein anderer Mensch vor, auch wenn ich mich dann doch darin wiedererkenne. Deshalb heißt das Box-Set auch ,My Lives‘. Ich hatte neun Leben, wie eine Katze. Ich wundere mich immer wieder darüber, wenn ich alte Bilder sehe diese lustigen Haare, diese komischen Songs.“

Mit der Beat-Band The Hassles geht es weiter, dann versucht er sich mit Attila an Hardrock. Vor allem aber betet Joel, daß sich bald Erfolg einstellt. „Ich habe damals nur gehofft, daß ich mal meinen Lebensunterhalt als Musiker verdienen könnte. Und dann wurde da dieser Billy-Joel-Rockstar draus. Das begreife ich immer noch nicht ganz. Ich finde es irgendwie lustig, weil es so gar nicht zu mir paßt. Aber ich beschwere mich nicht. Es ist der beste Job, den ich je hatte.“

Bevor er immerhin bereits mit 11 sein Debüt „Cold Spring Harbor“ (71) veröffentlicht, hat er Häuser gestrichen, in diversen Gärten, Fabriken und auf einem Austernboot gearbeitet, an Tankstellen gezapft und sogar Rockkritiken geschrieben. Damit muß er übrigens aufhören, weil er keine Verrisse übers Herz bringt. Noch bevor er bei Columbia unterschreibt, kommt 1972 der große Moment: „Ich weiß noch, daß ich in Greenwich Village aufgetreten bin und gerade genug verdient habe, um die Miete zu bezahlen und auch noch meine Freunde zum Abendessen einladen zu können – da dachte ich: Jetzt hab ich’s! Ich bin ein professioneller Musiker. Das war für mich wichtiger als der Grammy oder Goldene Schallplatten oder alles andere.“

Seit zwölf Jahren hat Billy Joel kein Pop-Album mehr veröffentlicht. Da er vorher mehr als 100 Millionen Platten verkauft hat, versteht er schon, daß sein Label ein wenig indigniert ist. Sein Klassik-Werk „Fantasies for“ Delusions“ konnte 2001 die Bedürfnisse nicht recht befriedigen, aber Joel läßt keine Einwände gelten: „Die Leute sind immer traurig, weil es da keine Worte gibt. Dann denkt euch doch was dazu aus! Ich kann mir schließlich auch Beethoven anhören und mir genau vorstellen, was er fühlte – ohne daß ich dazu Texte brauche. Diese Leidenschaft, diese Revolution, diese großen Ideen, auch diese Traurigkeit das alles braucht keine Worte.“

Für Joel war Klassik die logische Weiterentwicklung. Als Kind hatte bei den Klavierstunden Muttern immer gefoppt: Er sollte Mozart spielen, aber weil er ungern Noten las, dachte er sich einfach eigene „Mozart-mäßige“ Melodien aus. Der Beginn einer Songwriter-Karriere. Heute will er sich einfach nicht mehr festlegen: „Ich schreibe alles Mögliche. Musik für Popsongs, Musik, die zum Broadway passen würde oder für Filme, was auch immer. Ich weiß es auch nicht so genau. Ich schreibe einfach. Für mich. Ich will kreativ sein und produktiv, aber ich muß dem Rest der Welt nichts mehr beweisen. Manche meiner Kollegen haben diesen Ehrgeiz. Elton John will immer modern und relevant sein und mit den Jungen konkurrieren. Bruce Springsteen will das. Elton sagt immer, ich soll endlich mein Selbstvertrauen zurückgewinnen und eine Nummer-eins-Platte machen. Aber ich denke: Er verwechselt Selbstvertrauen mit Verlangen. Ich habe kein Verlangen mehr, ein Rockstar zu sein. Es ist mir egal. Viele finden das komisch, die Plattenfirmenleute sind verwirrt und fragen dauernd, ob ich mich nicht nach einem Millionenseiler sehne. Aber ich war doch lange genug ein reicher, berühmter Rockstar, ich will lieber etwas anderes machen. What’s next? Wie skrupulos Joel auch an seinen Stücken arbeitet, beweist „My Lives“. Die ersten Versionen von „I’ve Loved These Days“ (damals: „These Rhinestone Days“) und „For The Longest Time“ (damals: „The Prime Of Your Life“) klingen ganz anders als die makellosen Hits, die am Ende herauskamen. Dabei fällt Joel die Musik immer viel leichter als das Texten. ,An Allentown‘ habe ich zum Beispiel ein paar Jahre gearbeitet. Zuerst hieß es ,Levytown‘, nach dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Schreckliche Zeilen, mir schauderte selbst. Also habe ich es erst mal weggelegt. Ich mag nicht ewig an etwas herumwerkeln, das fängt dann an, wie schlechter Käse zu riechen. Dann muß man auch mal bereit sein, etwas in die Tonne zu kloppen… Jetzt hat man genau diese Sachen wieder rausgeholt und auf das Box-Set gepackt. So kann’s gehen!“

Nun hat Billy Joel ja ein Dutzend Alben aufgenommen – man sollte meinen, er würde sofort erkennen, ob ein Stück Potential hat oder nicht. Aber nein, bei der Vorstellung lacht er mit gespielter Verzweiflung auf. „Ich weiß nie, was funktioniert und was nicht. Ich würde ein Hit-Album nicht mal erkennen, wenn es mir auf den Kopf fällt. Ich mache einfach, wozu ich Lust habe.“ Er hat auch gleich ein gutes Beispiel zur Hand. „Ich dachte damals bei „An Innocent Man“ nicht: Jetzt nehme ich mal 6oer-Jahre-inspirierte Stücke auf, das will Anfang der 80er bestimmt jeder hören. Es war einfach so: Davor hatte ich „The Nylon Curtain“ aufgenommen, ein sehr kompliziertes, komplexes Album, das Ewigkeiten gedauert hat. A labour of love, but still a labour. Also wollte ich danach etwas machen, das möglichst simpel ist und Spaß macht! Ich habe immer diesen Drang zur Veränderung, zur Variation. Wenn ich einen ruhigen Song schreibe, brauche ich gleich danach wieder einen Rock’n’Roll-Song. Dynamik. Unterschiedliche Sounds. Verschiedene Themen. Sonst langweile ich mich sofort.“

Diese kurze Aufmerksamkeitsspanne bringt ihn manchmal auch bei Konzerten in die Bredouille. „Ich vergesse dauernd Texte. Ich benutze inzwischen einen Teleprompter, nur um sicherzugehen. Meistens brauche ich ihn nicht, aber er beruhigt mich ungemein. Manchmal schweifen meine Gedanken einfach ab. Bei Liedern wie Just The Way You Are‘, die ich so oft gespielt habe, langweile ich mich bisweilen ein ‚wenig, und dann denke ich an alles Mögliche. Meistens an Essen. Vor Konzerten kann ich nämlich nichts essen, und dann bekomme ich Hunger, während ich am Klavier sitze, und ich denke an Hamburger und Club-Sandwich und daran, ob der Roomservice das bringt, bevor es wieder kalt wird. Mit Fritten und Cola Light. Dann plötzlich: Oh Gott, wo bin ich? Ich singe weiter und dann merke ich, daß der Schlagzeuger bereits viel weiter ist als ich – und schon sitze ich in der Tinte.“

Man würde solche Momente ja gern noch einmal miterleben, doch Joel tourt im nächsten Jahr wahrscheinlich wieder einmal nur in Amerika. „Danach sehen wir weiter. Nach Europa zu reisen, ist schon anstrengend ich ¿weiß nicht, ob ich das will. Aber man muß es wirklich, wirklich wollen, weil man sonst nicht gut ist. Und das wäre dem Publikum gegenüber unfair.“ Man darf diesen Billy Joel nicht unterschätzen: Es ging ihm nie um den großen Ruhm oder das große Geld. Nur um den großen Song, das große Piano, die große Kunst eben. Wehe, das wird angezweifelt! „Wenn jemand meine Lieder nicht mag, ist das in Ordnung. Aber wenn jemand meine Motive hinterfragt oder behauptet, ich täte dies oder das, um Geld zu machen oder einen Hit zu landen, stört mich das sehr. Das habe ich nie getan. Und ich will nicht, daß irgendwer das glaubt.“

Finanziell hat er längst ausgesorgt, Profilneurosen sind ihm offensichtlich fremd. Deshalb kann es sein, daß wir noch lange – „oder bis ich gestorben bin“, scherzt Joel auf ein neues Album warten müssen. Auch wenn er angeblich gerade ein paar Tage in einem Studio gebucht hat, nur zum Spaß. In den Genuß von Joels Gesang kommt momentan nur seine Familie. Seine 19jährige Tochter Alexa spielt ihm manchmal Coldplay und Fiona Apple vor, er revanchiert sich dann mit Klassik und manchmal auch mit Karaoke zu seinen eigenen Stücken: „Ich liebe es, wenn ich im Auto sitze und zufällig ein Song von mir im Radio kommt. Da drehe ich sofort auf zehn. Und ich singe lauthals mit!“

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