Bob Dylan: Das abendliche Ritual

Keine Songs von "Together Through Life" - und doch ist wieder alles neu.

Das wievielte Mal siehst du ihn jetzt? Wie oft an der Gitarre? Wie oft an der Orgel? Wie oft mit Hut? Welchen Song am häufigsten? Ob er was Neues spielt? Warst du in Berlin? Soll ja eher mäßig gewesen sein. Erfurt hatte ’ne tolle Setlist.

Bob-Dylan-Konzerte sind alljährliche Rituale wie Weihnachten oder Ostern. Nur dass man statt der Familie die altbekannten Dylan-Gesichter sieht, die die altbekannten Dylan-Fragen stellen und die altbekannten Dylan-Gespräche führen. „Together Through Life“ halt. Es ist tatsächlich immer ein bisschen wie nach Hause kommen. Selbst wenn man – wie an diesem Abend- in einem unwirtlichen Bau wie dem Zenith stehen muss und die Bühne nur auf Zehenspitzen erspähen kann, wenn man nicht mindestens einsneunzig ist. Auch hören kann man nach dem vertrauten Brimborium („Ladies and gentlemen, please welcome…“) zu Beginn nicht viel. Erst allmählich steigt „Maggie’s Farm“ aus dem Soundsumpf. Und plötzlich ist alles neu.

Der Shuffle-Rhythmus, die Phrasierung, die Stimmung. Die unauffällig in Schwarz gekleidete Band fügt sich brav, während Bob Dylan den Song an Orgel und Stimme in eine neue Form gießt. Fünf Jahre gibt er nun schon vornehmlich den organ grinder, hat alle Sounds von E-Piano bis Kirchenorgel – ausprobiert und sich von den Mitmusikern an den Rand der Bühne drängen lassen. Doch nun hat er mit einem warm wummernden Wurlitzer-Sound wieder die Kontrolle übernommen, gibt Rhythmen vor, zeigt sogar den Gitarren mit minimalen Akkordwechseln, wo’s langgeht. Schon der zweite Song offenbart sich nach einem länglichen Gitarrenpart als erste Überraschung des Abends: „Your breath is sweet/ Your eyes are like two jewels in the sky.“ Sofort erkannt: „One More Cup Of Coffee (Valley Below)“. Szenenapplaus. Ein so enthusiastisches Publikum hat man in München seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Und damals hatten sie die schlechteren Lieder. Eine regelrechte Party ist das an diesem Abend.

Dann wechselt Dylan an die Gitarre und steht- ebenso wie der Rest der Band für die nächsten dreieinhalb Minuten ziemlich windschief da. „You Ain’t Going Nowhere“ wankt durch die Halle. Als der Sänger sich danach wieder an die Orgel verdrückt, hat er bei einer Stakkato-Version von „Things Have Changed“ die Balance wieder hergestellt. Dann gehen auf der Bühne die Sterne auf, und Bob Dylan zaubert ein zärtliches „Just like a woman“ ans Firmament. Ein Song wie eine alte Liebe, die – immer, wenn man sie trifft – ein bisschen schöner geworden zu sein scheint. Den Refrain überlässt der Sänger generös dem Volke. Dylan: „She aches….“ Alle: „Juuuuust Like A Woooman“ Dylan: „Jstlikawmn.“ Dann ein Harp-Solo. In früheren Jahren manchmal nur mit Applaus bedacht, weil es das einzige Anzeichen war, dass der Meister hinter der kaum hörbaren Orgel noch atmete, hier aber reinste lyrische Verfeinerung.

Seit (ausschließlich männliche) Journalisten und Literaturwissenschaftler aus ihrer Dylan-Leidenschaft einen eigenen Wissenschaftszweig gemacht haben und das Werk des Barden mit schlauen Texten zugedeckt haben, vergisst man manchmal, wie anrührend diese Songs doch sind, wie sich hinter jedem von ihnen ein Stück persönlicher Geschichte findet. Aber dafür gibt es ja Abende wie diese und die alten (meist weiblichen) Lieben, die einen daran erinnern.

Es wird ein ausgezeichnetes Konzert werden, soviel ist nach fünf Songs klar. Weitere Höhepunkte: der Walzer „The Lonesome Death Of Hattie Carol“, die straighten Interpretationen von „Tweedle Dee And Tweedle Dum“ und „Highway 61“, getrennt durch ein sublimes „Sugar Baby“, und vor allem „Workingman’s Blues #2“. Während die Band eine besonders liebliche Version des Songs dudelt, bürstet Dylan seinen Part gehörig auf Krawall. Mitreißende Interpretationen von „Thunder On The Mountain“ und „Like A Rolling Stone“ beenden das reguläre Set, bevor die Routine der Zugaben einsetzt. Neue Songs gibt es also keine. „All Along The Watchtower“ fegt nicht ganz so furios über die Bühne wie in den letzten Jahren. Ein makelloses „Spirit On The Water“, das allerdings im Zugabenteil ein bisschen deplatziert wirkt, und ein generalüberholtes „Blowin‘ In The Wind“ im Reggae-Rhythmus, mit Kirmesorgel und Fiddle beenden den Abend. Als das Licht angeht, schaut man wieder in die bekannten Gesichter. Nur die alte Liebe erscheint einem noch ein bisschen schöner als zuvor. Yes, I believe I’ll go see her again.

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