Bob unter dem Blätterwald

Maik Brüggemeyer über steile Journalisten-Poesie und Kliscbeehuberei anlässlich von Robert Zimmermanns jüngsten Konzerten in Deutschland

Bob Dylan tourt in diesen Tagen wieder durch die deutschen Lande: Nuschler, Chamäleon im Vogelscheuchen-Outfit, unberechenbar, Dekonstruktion, Remake/Remodel, 59 Jahre alt, seit zwölf Jahren ununterbrochen auf Tour neverending, früher übellauniger Trunkenbold, heute gutgelaunter, aber hüftlahmer Erpel, keine Textexegese bitte, beste Band seit The Band, Literaturnobelpreis. Wieder erkannt? Gut. Vergessen Sie’s.

Bob Dylan tourt in diesen Tagen wieder durch die deutschen Lande – und das deutsche Feuilleton lässt die Phrasen-Sau raus: „Der Altmeister nölte seine von Weltschmerz getragenen Songs ins Mikro“ („Berliner Kurier“). Es scheint, als hätte jede Redaktion irgendwo einen alten Schuhkarton, auf den jemand in grauer Vorzeit mit schwarzem Edding „Bob“ gekritzelt hat. Und alle zwei bis drei Jahre, wenn „His Bobness“ auf seiner „Neverending-Tour“ mal in „good ole Germany“ vorbeischaut, werden die alten Artikel rausgekramt und mit kleinen Korrekturen unter Titeln wie „Legende auf Reisen“ („Berliner Morgenpost“) oder gar „Dylan 2000: Wenig Worte, viel Romantik“ („Hannoversche Allgemeine“) wiederum veröffentlicht. So wie man damals, „in der guten alten Zeit“, als man sich seine journalistischen Sporen“ bei der Lokalzeitung verdiente, jedes Jahr die Artikel übers Dorfschützenfest durch Einsetzen des aktuellen Schützenkönigs aktualisierte.

Auf die Spitze trieben es die „Hannoversche Allgemeine“ und die „Hamburger Morgenpost“, die teilweise Wort für Wort das gleiche Gewäsch abdruckten, die „Morgenpost“ am 9., die „Allgemeine“ am B. Mai. Nanu, denkt man da, gleicher Schuhkarton? Nein, schlimmer, die dpa hat ihre Finger im Spiel. Die verantwortlichen Redakteure in Hannover hielten es nur für nötig, die ganze Sache durch ein paar Satzumstellungen, -auslassungen und -hinzufügungen zu verschlimmbessern. Das volle Ausmaß dieser Machwerke können wir hier leider nicht präsentieren.

Mit bürgerlichem Namen heißt Bob Dylan übrigens Robert Allen Zimmermann, seinen Künstlernamen hat er bei Dylan Thomas geklaut, blablabla – „Unter dem Blätterwald. Ein Spiel für Gemeinplätze“. Zielstrebig steuert man in die Banalität, ins Konkrete driftet kaum jemand ab.

Es interessiert mich herzlich wenig, wie „neverending“ die Tour nun ist und wie schlecht Dylan in deren Anfangen war – übrigens sind mir auch sentimentale Nabelschauen irgendwelcher Bobcats eigentlich schnuppe. Fragen wir nicht, was Bob in der Vergangenheit für uns getan hat, fragen wir, was er jetzt für uns tut. Was also ging denn nun ab in den deutschen Hallen, im Mai 2000?

Kurz und knackig, was bisher geschah: Vor zwei Jahren, als Dylan das letzte Mal durch Deutschland tourte, war die Band auf Rock programmiert. Druckvoll arbeitete man sich durch Brecher wie „Leopard-Skin Pill-Box Hat“, die am Ende durch etliche Gitarrenkaskaden auf bis zu zehn Minuten gedehnt wurden. Und schon damals stellte man erstaunt fest: Dylan hat auch auf der Gitarre einiges dazugelernt. Die Mundharmonika war dagegen fast gänzlich verschwunden. Auch im hic et nunc kommt die Mundharmonika nur selten um Einsatz, ansonsten hat sich aber so einiges verändert Dylan beginnt die Konzerte jeweils mit einem akustischen Teil, bevor es dann elektrisch abgeht „Wie 1966“, werden jetzt einige sagen – und so falsch ist diese Assoziation wirklich nicht. Dylan scheint sich „Live 66“ des öfteren angehört zu haben. Die Phrasierung ist an einigen Stellen ähnlich klar. Selten hat man ihn so deutlich skandieren hören: „Then he went sniffing dreammmm-pipes, reciting the alphabet“ Die Band swingt, wie man es bei Dylan vorher am ehesten noch auf John Wesley Harding“ hören konnte. Das gilt im Übrigen auch für den elektrischen Teil des Konzerts. Die Songs haben allesamt eine Art Boogie-Woogie-Country-Feeling. Die dpa nennt’s wohl mit dem Wahnsinn kokettierend „Country-Spaß und -Schmalz, Marke „unplugged“ – und will dann auch noch „eine Spur Western-Romantik, die die Menge in einen imaginären US Truck-Stop mit Maschendrahtzaun und Steppen-Timing versetzt“, erkannt haben. Something is Happening here but you don’t know what it is…

Wie’s wirklich war: Die Gitarrensoli sind kürzer geworden, die Band spielt wieder mehr „auf den Punkt“, auch wenn es gegen Ende der Songs schon mal vorkommt, dass sich die drei Gitarristen Larry Campbeil, Charlie Sexton und Dylan himself gegenseitig anschauen, als wollten sie ausmachen, wer nun das Solo spielen darf, um dann kurz zu grinsen und gleichzeitig, jeder für sich, sein eigenes Ding zu spielen. Überhaupt wird auf der Bühne viel mehr kommuniziert als bei früheren Konzerten. Dylan bespricht nach jedem Song mit seinem Bassisten und musikalischen Leiter Tony Garnier das weitere Vorgehen. Der Rest der Band – die vom „Berliner Kurier“ übrigens mit „The Band“ tituliert wird – lauscht gespannt. Die zuvor auf das Drum-Podest geklebte Setlist scheint nur Makulatur zu sein.

In Stuttgart spielte Dylan übrigens „zahlreiche Songs aus seinem jüngsten Album,Time Out Of Mind“ (dpa), nämlich drei. Gut, dass wir verglichen haben.

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