Bücherei statt Sporthalle

Für die belesenen Ra Ra Riot ist ihr nun erscheinen-des Kammerpop-Debüt zugleich eine Trauerarbeit.

In seinem vierten College-Jahr musste Milo Bonacci eine schwere Entscheidung treffen: Sollte er Gitarrist der Gym Class Heroes bleiben, die er mit Travis McCoy, seinem Freund aus Kindheitstagen, gegründet hatte und die kurz vor einem Major-Labelvertrag standen? Oder nach Florenz gehen, um italienische Architektur zu studieren? Am Ende entschied er sich für die romanischen Basiliken und gegen One-Night-Stands mit willigen Groupies, von denen es tatsächlich einige gegeben haben soll.

„Ich ging weg und wusste, dass es die Gym Class Heroes schaffen würden“, sagt Bonacci, der nicht mit McCoy in Kontakt blieb. „Aber ich musste die andere Sache fertig machen.“ Heute startet Bonacci seine zweite musikalische Etappe mit einer Band, die nicht im geringsten an den Emo-Rap der Gym Class Heroes erinnert.

Er ist Gitarrist bei Ra Ra Riot, fünf sauber gescheitelten Vollblutakademikern zwischen 22 und 25, denen eines der besten Indierock-Debüts des Jahres gelungen ist.Nach seiner Rückkehr in die USA hatte sich Bonacci mit ein paar Kumpels von der Syracuse University zusammengetan, die ähnlich intellektuell unterwegs waren wie er.

Bassist Mathieu Santos studierte Malerei, die Geigerin Rebecca Zelter und die Cellistin Alexandra Lawn sind klassisch ausgebildete Musikerinnen, und Sänger Wesley Miles hat einen Abschluss in Physik. Man kann „The Rhumb Line“, zehn Kammerpopjuwelen mit Dichterzitaten und exqui­siten Streicherarrangements, anhören, dass die Studiengebühren nicht ganz umsonst waren. Auch ein Zirkuspunk-Cover von Kate Bushs „Suspended In Gaffa“deutet darauf hin.

An einem Sommerabend in Brooklyn feiert die Band ihre erste Albumveröffentlichung mit einer Flasche Chianti und Bonaccis selbstgekochten Spaghetti Marinara in dessen Wohnung. Ihr Aufstieg – innerhalb kürzester Zeit kamen sie beim Label Barsuk unter (bei dem auch Death Cab For Cutie früher mal waren) und traten mit Vampire Weekend auf – weckt gemischte Gefühle: Im Juni 2007 fand man ihren ursprünglichen Schlagzeuger John Pike bei Fairhaven, Massachussetts, tot im Meer treibend. (Die Umstände seines Todes werden noch immer untersucht.)

„Das ist völlig unwirklich“, sagt Bonacci. „Es beschäftigt uns immer noch, und wir denken jeden Tag daran.“ Pike hatte an vielen der Songtexte des Debüts mitgeschrieben, was einem Song wie „Dying Is Fine“ (benannt nach einem Gedicht von E. E. Cummings) eine ziemlich tragische Note verleiht.

„Is this it/ Maundering about and/All I have is too much time/ To understand/ One can only love/Life until its ending/Oh/ And I can’t forget.“ Doch der Tod des Freundes hat die Bandmitglieder noch enger zusammengeschweißt: Sie entschieden sich erst fürs Weitermachen, nachdem ihnen Pikes Verwandtschaft ihren Segen gegeben hatte.
„Das ist echte Familienbande“, sagt Zeller. „Wir arbeiten total eng zusammen“, ergänzt Miles. Alle nicken zustimmend. So harmonisch ist die Band, dass noch die kleinsten Meinungsverschiedenheiten das Gleichgewicht stören.

„Statt zu streiten, werden wir alle nur irgendwie still“, sagt Bonaccie. „Aber darüber müssen wir nicht reden. Stattdessen essen wir zusammen zu Abend.“

Kevin O’Donnell

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