Chic und Nile Rodgers live in London: Konzert und Single für den toten Freund

Am Freitag (20. März) präsentierte Nile Rodgers live in London seine neue Single. Dave Swindells war für den ROLLING STONE vor Ort.

Sein Ruf eilt Nile Rodgers voraus. Seit Jahrzehnten werden Chic ganz eng mit der Entstehung des Disco-Sounds verbunden; und trotzdem war es nicht immer so, dass Rodgers als der Songwriter, Produzent und Ausnahmegitarrist gesehen wurde, der all diese Hits schrieb, und zwar nicht nur für Madonna, Diana Ross und Sister Sledge, sondern auch noch für David Bowie, die B-52s und Duran Duran. Erst 2013 schien sich das zu ändern, als „Get Lucky“ von Daft Punk Rodgers‘ unglaublich funkige Gitarren-Licks in alle Welt schleuderte. Der Auftritt von Chic beim letztjährigen Glastonbury Festival war einer live im britischen Fernsehen übertragen worden und jeder konnte sehen, dass Nile Rodgers stolz den Besitz von (und das Aufführungsrecht an) allen diesen Songs proklamierte: von nun an ging es bei einem Chic-Konzert nicht mehr nur um Chic.

Bei einem mit „Chic featuring Nile Rodgers“ überschriebenen Gig kann man nun also eine schier unglaubliche Auswahl an Hits erwarten, die ihren Anfang bei „Everybody Dance“ nehmen, einen ersten Höhepunkt bei einer extralangen Version von „Good Times“ erleben, in die Schnipsel von „Rapper’s Delight“ der Sugarhill Gang eingestreut sind. Und genau so eine fantastische Show bekamen wir auch im Londoner Roundhouse geboten, als beim Finale Zuschauer mit der Band auf der Bühne tanzen durften (die Security hatte alle Hände voll zu tun, die ganzen hübschen Blondinen nach oben zu holen) und aus dem Konzert eine gigantische Discoparty wurde.

Als Nile Rodgers auf der Bühne erschien – breit lächelnd und in seinem persil-weißen Anzug –, bekamen wir jedoch keinen Klassiker, sondern etwas Neues zu hören ­– und alles auf eine Videowand projiziert.

„Ich werde das mit euch gemeinsam anschauen; ich hab das auch noch nicht auf der großen Leinwand gesehen“, sagte Rodgers, als Chics brandneues Video (mit dem sich in Dessous räkelnden Supermodel Karlie Kloss) hinter ihm auf die Wand geworfen wurde. Auch wenn man den Song noch nie gehört hat, kommt er einem sofort bekannt vor, versammelt er doch Tonspuren aller Originalmitglieder der Chic Organisation in einem knisternden Disco-Funk-Track, mitproduziert vom House-Duo Martinez Brothers. „Dies ist ein ganz besonderer Tag“, verkündet Rodgers. Zwar hat er schon mit einigen der größten Stars auf diesem Planeten zusammengearbeitet, doch schien er am Freitagabend in London mit noch größeren und gewichtigeren Himmelskörpern im Bunde, hatte er sich doch ausgerechnet den Tag der Sonnenfinsternis und der Frühjahrs-Tagundnachtgleiche ausgesucht, um für den kommenden Juli das Erscheinen von „It’s About Time“ anzukündigen, dem ersten Chic-Album seit 1992.

Rodgers ist in Plauderstimmung und nimmt das Publikum mit auf die Reise; er erzählt von seinem „besten Freund“, dem Bassisten und Chic-Mitgründer Bernard Edwards, dem er so viel zu verdanken habe und dem die Single „I’ll Be There“ gewidmet sei: „Ich war ‚Mr. Jazz-Snob‘, bis er kam und mir all diese Tricks auf der Gitarre zeigte …“. Dann berichtet Rodgers von seinem Kampf gegen den Prostatakrebs und erntet frenetischen Jubel für seine Mitteilung, dass er heute krebsfrei sei. Das Publikum, darunter erkennbar viele Disco-Fans der ersten Generation mit Glatzen oder wasserstoffblondem Haar, muss das schon gewusst haben, aber dennoch ist es so etwas wie das Startsignal für die Party. „Ihr werdet fast jeden Song kennen“, sagt Rodgers nicht ohne Stolz, und dem wird dann wohl auch so gewesen sein: Auf „He’s The Greatest Dancer“ und „We Are Family“ („ … das war in den USA nie ein großer Hit, aber ich mag es trotzdem …“) von Sister Sledge folgen die Diana Ross-Hits „I’m Coming Out“ und „Upside Down“. Eines der wenigen nicht so bekannten Stücke an diesem Abend ist wohl Chics „Soup For One“, das seine Popularität eher dem Umstand verdankt, dass es 2001 von Modjo in ihrem Charterfolg „Lady“ gesamplet wurde.

Alles ist super-raffiniert inszeniert, die Lyrics laufen über die Leinwand wie bei der Karaoke-Party, und mit einem Nile Rodgers, der nie nachlässt, der Spaß hat und sein Publikum zum Mitsingen animiert. Und das tun sie gemeinsam mit den sensationellen Sängerinnen Kimberley Davis und Folami, während Rodgers selbst sich mit seinem Bassisten Jerry Barnes ein Lick-Duell liefert.

Erstaunlich, aber wahr, dass der lauteste und längste Applaus des Abends tatsächlich dem neuen Song „I’ll Be There“ gilt. Es gibt eben doch nur einen Mann, dessen musikalischer Lebensrückblick sogar eine Sonnenfinsternis auszustechen vermag: Mr. Rodgers ist es gelungen.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates