Christo packte ein. Der Boss packte aus. Für einen Video-Dreh brachte Springsteen seinen Gitarrenkoffer nach Berlin

Das Gerücht war eigentlich keines, so dünn wurde es ausgestreut: Bruce Springsteen sei in der Stadt Ein Video solle gedreht werden. Ein „Secret Gig“ sei geplant Wohl zu viel geraved auf der „Love Parade“, was?

Doch es geschehen noch Wunder, denn an einem heißen Sonntagabend (9. Juli) stand der Boss tatsächlich auf der winzigen Bühne des Cafe‘ Eckstein am Prenzlauer Berg. Mit ihm ein nervös lächelnder Wolfgang Niedecken an der Gitarre sowie Bertram Engel an den Drums, Ken Taylor am Baß und Pascal Kravetz an den Tasten. Anlaß dieser ungewöhnlichen Session war der Dreh eines neuen Videos zum alten Springsteen-Klassiker „Hungry Heart“, der nun auch als Single aus dem „Greatest Hits“-Album ausgekoppelt werden soll. Springsteen selbst hatte sich Berlin als Drehort ausgesucht („Hungry Heart 1 is a song about changes, and Berlin is a city of great changes.“), und das bewährte Wiener DoRo-Team führte Regie. Gedreht wurde an solch bekannten Berliner Schauplätzen wie dem Pergamon-Museum, dem Szene-Treff „Tacheless“, dem Brandenburger Tor und – natürlich – dem letzten Stück erhaltener Originalmauer, der Graffiti-verzierten „Mauer Galerie“.

Für den „Wrapped Reichstag“ war der Boss zwar ganze zwei Tage zu spät gekommen, dafür aber ab ganz normaler Holzklasse-Passagier eines Touristenfliegers aus Mallorca, wo er für ein paar Tage segeln war. Dieser Kurzurlaub erklärt vielleicht auch, daß Springsteen nicht, wie ursprünglich geplant, vor (bereits engagierten) Komparsen und einigen auserwählten Journalisten auftrat:

„Springsteen hat zwei Wochen lang keine Gitarre in der Hand gehabt und ist wirklich hungrig auf einen richtigen Live-Set“, ließ sein Manager Jon Landau verlauten. Der Ort des Live-Auftritts wurde einmal kurz via Radio publik gemacht, und dann stellten Niedecken & Co. gemeinsam mit Springsteen einen Set von Rock-Klassikern für die Show zusammen.

Einige hundert Fans erlebten dann im und vor dem Cafe‘ Eckstein einen unvergeßlichen Abend: einen Springsteen in Spitzenlaune und Bestform, der seine anfangs noch leicht verkrampft wirkenden deutschen Musiker zu wahrlich ungeahnten Höchstleistungen antrieb. In vier Mini-Sets wurde jeweils zweimal „Hungry Heart“ intoniert. Das aber per Halbplayback, denn ein Musikvideo verzeiht nun mal keine noch so minimalen Schwankungen in puncto Timing.

Komplett live hingegen donnerte die einmalige Band den begeisterten Fans dann diverse Rock-Klassiker um die Ohren. Wer hat schon, außer den Stones, Don Raye’s für Chuck Berry geschriebenes „Down The Road A Piece“ gecovert? Und wer hätte gedacht, daß Springsteen eine so scharfe Leadgitarre spielen kann, wie er es etwa bei „Boom-Boom“ von John Lee Hooker tat?

Wer kann sich dem rauhen Charme des Boss entziehen, wenn er bei „Knockin‘ On Heaven’s Door“ seine sichtlich mitgerissenen deutschen Kollegen in einzelnen Strophen abwechselnd den Gesangspart überläßt? Um gleich darauf „Highway 61 folgen zu lassen? Bei Stones-Klassikern wie „Honky Tonk Woman“ und Jumping Jack Flash“ oder seinem eigenen „Glory Days“ neben „Hungry Heart“ der einzige Springsteen-Song des Abends kochte die Stimmung über.

Die weiterhin ohne Unterlaß herbeiströmenden Fans tanzen schon lange auf der Straße, auf Schaltkästen und Telefonzellen. Springsteen macht seinem Ruf als „Hard Working Man“ und „Rockstar zum Anfassen“ alle Ehre. Beispiellos, wie er sich nach einem langen Drehtag bei beinahe tropischen Temperaturen zu derartigen körperlichen Höchstleistungen aufschwingen kann.

Springsteen scheint angetreten zu sein, all die üblichen Phrasen der Rockberichterstattung tatsächlich verifizieren zu wollen: Er schwitzte den Schweiß des echten Rock’n’Rollers. Doch da war nichts Aufgesetztes dran, Bruce schmunzelte in sich hinein und amüsierte sich offenkundig königlich. Am Ende des Abends bei der letzten Zugabe „Twist And Shout“ – sprach er das Lob für die Band aus: „These guys are great!!! We played the first time this afternoon! Just fantastic!“ und sprach damit allen aus der Seele. Was für ein Abend. Für die, die dabei sein durften, erinnerungswürdiger als jeder Rave aufjeder „Parade“.

Wohl zuviel gerockt bei Springsteen, was?

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