Chronist mit Sicherheitsabstand

"Die musikalischen Abenteuer des Wladimir Kaminer" führen den bekanntesten Russen Deutschlands zu Rammstein-Konzerten und DJ-Terminen. Inzwischen ist er im Schrebergarten gelandet.

Natürlich ist er an der Misere selbst schuld. Wladimir Kaminer hat die längst legendäre „Russendisko“ ins Leben gerufen, ein „Kochbuch des Sozialismus“ geschrieben und viele Jugenderinnerungen aus der Sowjetunion so aufgeschrieben, dass auch der unkundige Deutsche darüber lachen konnte. Wenn es jetzt um Russen in Deutschland geht, wird immer er gefragt. Niemandem fällt spontan ein anderer ein. Auf Kaminers Website steht deshalb die Warnung: „Studenten, Schüler, Wissenschaftler, Aspiranten und Journalisten, die ihre Diplomarbeiten, Klassenarbeiten, Hausaufgaben, Reportagen und Referate zu den Themen,Russen in Deutschland‘, .Russische Emigration heute und früher, Juden in Deutschland‘, .Deutsche in Russland‘, Juden in Russland‘, ,Nichtdeutsche Deutsche in Deutschland und anderswo‘ schreiben, werden hier nicht bedient. Richten Sie Fragen und Interviewwünsche an die Zentrale für politische Bildung, Abteilung Multikulti.“

Kaminer wurde 1967 in Moskau geboren, lebt aber schon 17 Jahre lang in Berlin. Und seit er mit Büchern wie „Militärmusik“ und „Die Reise nach Trulala“ berühmt wurde, muss er sich fragen lassen, warum – und wie das denn so ist als Russe im selbstgewählten Exil. Dabei hat er selbst nie groß darüber nachgedacht: „Ich persönlich neige dazu, Nationalitäten zu missachten. Aber ich verstehe gleichzeitig, dass diese Klischees für das Selbstverständnis, tür das Lebensgefühl anderer Menschen sehr wichtig sind. Deswegen habe ich kein Problem damit, hier als Vorzeige-Russe abgestempelt zu werden. Ich denke dann immer: lieber ich als ein anderer!“ Als er für die „taz“ den neuerdings nötigen Einbürgerungstest ausprobieren sollte, antwortete er, dass Deutschland „allgemein nett“ sei. Genauer wusste er es damals auch nicht. „Mit 22, 23 hat man keine Pläne. Wir wollten nur die Welt kennenlernen und neue Freunde finden. Wir waren sehr neugierig auf das Leben und fanden Deutschland so, wie wir es kennengelernt haben damals, mit besetzten Häusern, Punks und lustiger Musik, allgemein nett. Wir wollten nichts, wir hatten auch keine ökonomischen Ziele damals.“

Im Rückblick stellt Kaminer jetzt fest, dass er und seine Stadt Berlin einen ähnlichen Weggegangen sind: „Damals waren wir ziemlich kopflos, aber irgendwie total mit Schmiss. Aber auch heute sind wir noch ziemlich in Ordnung.“ Trotzdem dachte er kurzzeitig darüber nach, ob er nicht als Bürgermeister kandidieren sollte. „Gerade jetzt, da Berlin sich so stark entwickelt, ist es wichtig, dass die Politik nicht den Faden verliert. Als sogenannter Bürgermeisterkandidat konnte ich viele lustige und provokative Texte schreiben über das Leben in dieser Stadt. Allerdings kann ich mir ein politisches Amt nicht tatsächlich vorstellen, ist ja langweilig und eigentlich ein Schnaps-Job für geistig zurückhaltendere Leute. Als Geschichtenerzähler habe ich doch ein interessanteres Leben.“

Ziemlich spät ging dieses interessante Leben los. Dass einer erst 30 wird, bevor er anfängt zu schreiben, ist doch eher ungewöhnlich-und hat, wie vieles im Leben von Wladimir Kaminer, mit seiner angeborenen Faulheit zu tun. „Immer, wenn ich über mein Leben nachdachte, habe ich bis zum Jahre 2000 gezählt. Ein Leben danach war mir irgendwie unheimlich. 33, das Alter Jesu – alles Lustige müsste danach abgelaufen sein, so schien es mir damals. Außerdem war es das Ende des Jahrtausends. Auf jeden Fall war ich ein sehr leichtsinniger Mensch, der sich für vieles interessierte, aber nichts wirklich zustande brachte bis zum Jahr 2000. Danach habe das andere Leben entdeckt – Verantwortung, Disziplin. Etwas spät, aber besser als nie.“ Jetzt, mit 40, fängt er auch noch an, auf seine Gesundheit zu achten und Sport zu treiben. Zu wichtig nimmt Kaminer diese Veränderungen in Richtung Vernunft nicht, wie er überhaupt sich selbst nie so wichtig nimmt. Das macht den Reiz seiner Bücher aus: Kaminer beobachtet am liebsten andere, beschreibt deren Macken und nur nebenbei auch die eigenen. Er hat den Blick von außen auf die deutsche Seele kultiviert, was äußerst schlau ist: So kann er – zwischen Unverständnis, Mitleid und Spott schwankend – von deutschen Konventionen und Eigenheiten berichten, ohne in die übliche Larmoyanz oder Selbstgeißelung verfallen zu müssen.

„Die musikalischen Abenteuer des Wladimir Kaminer“ versammeln nun diverse Geschichten – deutsche und russische Anekdoten, gewitzte Charakterbilder und skurrile Erlebnisse, die irgendwie mit Musik zu tun haben, frei nach dem Motto „Jeder Mensch ist ein Musiker, jeder Tag unseres Lebens ein Konzert“. Es geht um „Die Läuse der Freiheit“ und „Die Besonderheiten der ukrainischen Hochzeit“, um Wodka und Elvis, um DJs, Boney M. und „Die Macht des Entertainments“. Kaminer hat nicht zufällig aus dem Titel seines Debüts „Russendisko“ eine beliebte Veranstaltungsreihe im Berliner „Katfee Burger“ gemacht: „Musik ist ein fester Bestandteil meines Lebens, deshalb schreibe ich auch ständig darüber. Von meinen zehn Büchern ist eins, .Karaoke‘, sogar ganz dem Thema gewidmet.“

Daraus stammt auch das grandiose Stück „Lass uns rennen, lass uns reiten“, in dem Kaminer sich über die deutsche Leitkultur und ihre Auswüchse wundert – und dann zurgroßen Analyse über Rammstein anhebt. Wieder schafft er aus der distanzierten Perspektive ein so stupend komisches wie wahrhaftiges Bild: „Die russischen Skinheads hielten sie für Nazis und freuten sich, dass endlich die Nazi-Rock-Welle auch Russland erreicht hatte. Die Yuppies hielten Rammstein für eine abgefahrene schwule Boygroup, die Punks hielten sie für eine Anarcho-Band aus der ehemaligen DDR, und die Anhänger des Bodybuilding hielten die Musiker für deutsche Schönheits-Ikonen. Wenn alle diese unterschiedlichen Gruppen gleichzeitig ein Rammstein-Konzert besuchten, fing sofort ein aktiver Meinungsaustausch darüber an, wer die wahren Fans von Rammstein waren und wer sich nur verirrt hatte. Viele Knöpfe wurden von Mänteln abgerissen, Unbeteiligte krankenhausreif geschlagen, Busse umgekippt…“

Die Abrechnung klingt gelesen noch lustiger als gedruckt, wegen dieses unverwechselbaren russischen Akzents mit den rollenden Rs und harten Brüchen. Den speziellen Tonfall darf sich Kaminer niemals abtrainieren, das weiß er wohl. Das wäre ja wie Howard Carpendale ohne südafrikanischen Schmelz. Kaminer liest gerne vor: „Ich bin ein sehr gespräj chiger Typ. Ich sehe mich überhaupt in r erster Linie als Vorleser und Geschichtenerzähler, und nicht als Papier-Buch-Autor.

Ich mag Action.“ Auch schätzt er das Hörbuch-Format als Möglichkeit, lesefaulen Menschen einen Zugang zur Weltliteratur zu gewähren, und erklärt den Audiobook-Boom in Amerika knochentrocken: „Das kommt dem allgemeinen Analphabetismus sehr entgegen, und die haben ja auch längere Strecken zu fahren.“

Kaminer hingegen hat sich in den vergangenen Monaten vor allem in der Natur bewegt, aus Recherchezwecken. Gerade ist sein neues Buch erschienen: „Mein Leben im Schrebergarten“ (Manhattan), eine Art „Selbsterkundungsroman, eine Anspielung auf das Buch vom amerikanischen Philosophen Henry Thoreau“. Der Name klingt aus Kaminers Mund wie ein spanischer Stier. Tatsächlich haben die Schrebergarten-Erlebnisse natürlich recht wenig mit „Wäldern oder Leben in den Wäldern“ zu tun – was sich schon zeigt, wenn Kaminer Einkaufszettel vergleicht und feststellt, dass Thoreau in zwei Jahren und zwei Monaten 6,47 Dollar brauchte, er hingegen an einem Tag 18,77 Euro. Bier! Chips! Zigaretten! Mückenschutz! Noch härter als Insekten und Einsamkeit treffen ihn aber all die Vorschriften, die der Gartenfreundeverein seinen Mitgliedern macht. Ein Heidenspaß, wenn man es nur lesen und nicht erleben muss – und damit ist Kaminers Ziel schon erreicht: „Mein Hauptanliegen war immer Spaß. Wenn ich sagen würde, ich habe alle Bücher geschrieben, um kommende Generationen für meine Weltanschauung zu gewinnen, dann hätte ich wahrscheinlich schon längst das eine oder andere bereut – oder gleich anders geschrieben. Aber so stehe ich auch hinter jeder einzelnen Geschichte, voll und ganz… Viele Schriftsteller sind so ernste Leute. Die nehmen sich selbst und die Welt um sie herum sehr ernst und erlauben sich deswegen ständig, andere Leute zu langweilen.“

Nun soll man wegen der Leichtigkeit, mit der er seine Geschichten erzählt, nicht glauben, dass der Mann nicht hart daran arbeitet: „Ich bin beim Redigieren sehr zimperlich, und je länger ich im Geschäft bin, desto länger brauche ich dafür, desto mehr zweifle ich an jedem Satz. Man sucht ja eine gute Geschichte, dann sucht man nach einem treffenden Satz, zuletzt geht es dann nur noch um ein Wort, das passen muss.“ Aus seinen Büchern soll man erfahren, wie die Menschen leben, was sie wirklich umtreibt. Meistens schnappt Kaminer mehr Geschichten auf, als er aufschreiben kann, „aus Gründen der Faulheit oder Desinteresse“. Er sieht sich selbst als Forscher oder Wissenschaftler, der Sachbücher schreibt, amüsante freilich. Ausdenken muss er sich auf jeden Fall nichts. „Kein Bedarf! Das Leben liefert so viel mehr Stoff, als man je imstande ist, zu begreifen und nicht nur zu verarbeiten. Ich sehe mich nur als einen eher faulen Chronisten, der versucht, Teile des Geschehens, die ihn besonders ansprechen, in Wörter zu fassen.“ So schreibt er seit Jahren an einem Buch mit verschiedenen Legenden und Missverständnissen aus dem Vorigen Jahrhundert. Der Arbeitstitel lautet „Es gab keinen Sex im Sozialismus“. Da kommt also noch einiges auf uns zu.

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