Club der bunten Helden

Vor über 25 Jahren kamen sie zusammen, um das Rock-Patriarchat anzupinkeln, nun sind Fehlfarben selbst eine legendäre Band. Auf der neuen Platte spielen sie mit jungen Bewunderern und alten Weggefährten - eine Version der Punk-Historie

Wenn Peter Hein zu etwas keine Lust hat, verwandelt er sich in einen mies gelaunten Düsseldorfer Busfahrer, der genau weiß, daß keine Macht der Welt ihn dazu zwingen kann, gegen die Vorschriften zu verstoßen. „Nein! Ich nenne keinen Namen!“ motzt der Fehlfarben-Sänger und funkelt trotzig mit den Augen. „Ich hab lange genug auf allen rumgehackt.“ Auch sein Kollege Kurt Dahlke druckst herum, als hätte er eine blutverschmierte Leiche im Keller versteckt: „Ursprünglich wollten wir einfach nur ein neues Album machen. Doch dann kam unsere Plattenfirma mit einer Marketingidee: Wir sollten vor dem Album eine Single rausbringen.“ Na und, warum nicht? Dahlke hebt dramatisch die Stimme, so als wolle er einer Riesen-Sauerei noch einen Hauch Ironie verleihen: „Auf dieser Single sollte ein Prominenter mit Peter im Duett singen.“ Was für ein Prominenter mag das sein, der solchen Widerwillen auslöst? Dieter Bohlen? Thomas Anders? Doch auch Hein bleibt stur und will partout nichts verraten: „Eben jemand, den wir nicht wollten!“ Selbst der besonnene Frank Fenstermacher brummelt störrisch: „Diese Dame wollen wir jetzt einfach mal aussparen.“

Ein paar Tage später stellt sich heraus: Diese Dame ist eine ewig junge Sängerin aus Hagen, die mit „Kleine Taschenlampe brenn'“ zwar über Duett-Erfahrung verfügt, aber ganz und gar keine Lust hatte auf ein musikalisches Techtelmechtel mit den Fehlfarben. Zu dem es dann auch nicht kam. Schließlich reagierte sie schon zu Beginn der Achtziger genervt, als Journalisten sie im Interview immer wieder nach dem Fehlfarben-Vorläufer-Modell fragten: „Was habt ihr denn bloß immer mit eurer Mittagspause?“

Nachdem diese Zumutung also erledigt war, gingen die Verhandlungen mit dem kleinen und geschmackssicheren Label Wonder weiter. Und aus der Tatsache, daß Peter Hein, Kurt Dahlke, Frank Fenstermacher, Thomas Schwebel und Schlagzeugerin Saskia von Klitzing heute gesprächsbereit um einen alten Couchtisch hocken, erkennt man, daß es offenbar eine Einigung gab: Das Album „26 1/2“ ist zwar ein Kompromiß, aber auch eine musikalische Geburtstagstorte, die sich die Musiker selber gebacken haben. 17 Prominente und Freunde der Band singen die Lieder der Fehlfarben – und auch die beiden Duette sind hundertprozentig im Sinne von Peter Hein. Und egal, ob Grönemeyer, Lohmeyer oder Distelmeyer – offenbar ist keiner der Gäste aus Marketing-Gründen gekommen. Für alle war es eine Ehre, mit einer der besten deutschen Bands zu singen. Trotzdem hat das alles zwei Jahre gedauert, und aus „25 Jahre Fehlfarben“ wurden dann eben „26 1/2“. Aber lassen wir doch einfach die Band erzählen, wie es zu diesem Album kam.

Durch die vielen Konzerte seit „Knietief im Dispo“ (der Fehlfarben-Wiedervereinigungsplatte von 2002, d. Red.) haben sich einige unserer Songs komplett verändert“, sagt der Keyboarder und Produzent Kurt Dahlke. Mit einem Wohnzimmerschrank-großen Synthesizer hat er einst als Pyrolator die Ambient-Musik neu erfunden und es mit DAF so richtig krachen lassen. Heute wirkt er im Vergleich zu seinen recht chaotischen Kollegen ausgesprochen professionell. Streng zurückgekämmte Haare, ein eleganter dunkelgrauer Anzug und die akribischen Produktionsnotizen unterstreichen den Eindruck: Dahlke weiß immer ganz genau, wer an welchem Tag auf welcher Tonspur dabei war. Ist alles in einem Notizbuch handschriftlich aufgelistet: „Im März 2004 haben wir uns zum ersten Mal getroffen und die Stücke eingespielt, die wir in neuen Versionen haben wollten, einfach um sie zu archivieren. Es war nie im Gespräch, daß das Prominente singen sollen, das hat alles Janie gemacht.“ Janie, das muß man den Jüngeren vielleicht erklären, ist seit den frühesten Düsseldorfer Punktagen der Spitzname von Sänger Peter Hein. Wegen, Janie Jones“, dem ersten Song des ersten Clash-Albums.

Je mitreißender die neuen alten Songs klangen, um so klarer wurde: Die sind zu schade, um sie im Archiv zu versenken. Gerade die Tatsache, daß die Stücke live im Studio eingespielt wurden, verleiht ihnen eine unbändige Kraft und Direktheit. Und so kam es, daß nun auch die Musiker ernsthaft nachdachten über das Projekt „Stimmenfang“: Wer paßt überhaupt zu einer Band, die sich zusammensetzt aus ehemaligen Mitgliedern von Mittagspause, Der Plan, S.Y.P.H. und DAF? Nena und Peaches, glaubte die Plattenfirma. Eine für die Charts, eine für die internationale Credibility. Von Peaches hat Peter Hein noch nie gehört, und was er von Nena hält, möchte man lieber nicht so genau wissen.

Verhindert waren auch Udo Jürgens und Manfred Krug. Dabei hätten sich die Fehlfarben mit den beiden großen alten Männern des deutschen Pop immerhin eine Kooperation vorstellen können. „Wir haben uns doch kaum gewehrt“, behauptet Peter Hein mit süffisantem Lächeln. „Mit einigen der vorgeschlagenen Leute hätten wir das ja auch gemacht – wenn es überhaupt so weit gekommen wäre.“ Und Kurt Dahlke ergänzt: „Als die Vorschläge der Plattenfirma alle nicht klappten, haben wir die Sache übernommen und gesagt: ,Okay, dann fragen wir jetzt eben unsere Freunde‘. Seitdem hatte das Album den Arbeitstitel „Promis und Freunde“. „Wenig Promis, viele Freunde“, knurrt Hein.

Moment mal, denkt man da. Die Fehlfarben wollen eine Jubiläums-Platte aufnehmen, ohne Peter Hein als Sänger? Ist das nicht wie die Stones ohne Jagger oder meinetwegen: wie die Pistols ohne Rotten? Seit dem Comeback von 2002 hat Hein wieder den alten Status als größter Dichter seiner Generation. Niemand entwirft solche lakonischen Bilder voller Wahrheit und Humor, in denen einem das eigene Leben in einem größeren Zusammenhang erscheint. Viele bewundern ihn auch dafür, daß er 1981, kurz nach dem Erscheinen des ersten Fehlfarben-Albums „Monarchie und Alltag“, alles hinschmiß, um bei der Firma Xerox weiter seinen Büro-Job zu verrichten. Doch was damals nach totaler Verweigerung des Erfolgs aussah, war eher ein Akt der Frustration. Und was lange Jahre blieb, war die oft mitreißende Hobby-Band Family 5, mit der Janie Hein so manchen großen Song herausballerte, ohne daß es jemandem groß aufgefallen wäre. Die Ära des Punk und der deutschsprachigen Texte geriet zum Ende der Achtziger immer mehr in Vergessenheit.

Als 1991 aus heiterem Himmel „Die Platte des himmlischen Friedens“ erschien die Wiedervereinigung der Original-Fehlfarben mit ihrem Sänger Peter Hein war das keinesfalls mehr ein Thema von nationaler Bedeutung. Ihr alter A&R-Manager Horex Luedtke hatte die Band zu diesem ersten Comeback überredet, doch der Zeitgeist blies aus einer anderen Richtung: „Parallel zur ,Platte des himmlischen Friedens‘ passierte einfach noch sehr viel mehr Interessanteres, ob das jetzt Die Goldenen Zitronen, Blumfeld oder Kolossale Jugend waren. In dieser Aufbruchszeit der Hamburger Schule hat man die Fehlfarben gar nicht so sehr wahrgenommen. Obwohl die Platte eigentlich toll war“, erinnert sich Alfred Hilsberg, der Betreiber des Hamburger Labels What’s So Funny About und seinerzeit Veranstalter der ersten Fehlfarben-Tour.

Doch seltsam, je weiter die glorreichen Tage von „Monarchie und Alltag“ zurücklagen, um so stärker wuchs ein neues Interesse an den Fehlfarben: 1997 wählten im „Musik Express“ 250 Musiker und Journalisten „Monarchie undd Alltag“ auf Platz 5 der „100 besten deutschen Platten“. Drei Jahre später gab es für den Klassiker, der sich innerhalb von 20 Jahren 250 000 Mal verkauft hatte, sogar eine verspätete Goldverleihung. Und als 2002 das zweite Fehlfarben-Comeback „Knietief im Dispo“ in die Läden kam, hatte Jürgen Teipels Buch „Verschwende deine Jugend“ den Acker schon bestellt: Eine ganze Generation verspürte plötzlich das dringende Bedürfnis, sich mit der eigenen popkulturellen Sozialisation auseinanderzusetzen. Zu Recht. Bei RTL wird noch heute so getan, als seien Extrabreit, Fräulein Menke und Ideal die herausragenden musikalischen Vertreter der frühen Achtziger.

„Mit ihren schützenfesthaften NDW-Abenden in irgendwelchen Bierzelten haben Leute wie Joachim Witt recht gut überlebt. Die haben all die Jahre abkassiert, speziell im Osten nach der Wiedervereinigung. Aber diese Neue Deutsche Welle, das ist ja etwas anderes als das, was vor der NDW war – wozu man eben auch die Fehlfarben rechnen muß“, sagt Alfred Hilsberg, der den Begriff Neue Deutsche Welle einst für eine völlig andere Musik erfunden hatte.

Palais Schaumburg, Die Radierer, Wirtschaftswunder, Abwärts, S.Y.P.H., Der Plan, Deutsch-Amerikanische Freundschaft, Mittagspause: Das war der Versuch, dem Alltag ein Stück Pop abzuringen. Kratz- und Klopfzeichen auf der Suche nach einer eigenen Sprache. Anstatt sich die Finger krumm zu üben, ging man gleich auf die Bühne: stocksteif und verkrampft, aber mit dem Mut zur Peinlichkeit. Punk war nie ein musikalischer Stil – das behaupten nur Dogmatiker, die wenig davon verstehen. Punk war und ist die Lizenz zum Selbermachen. 1977 bis 1981 hieß das: Fanzines, Klamotten, Konzerte, Musik und nicht zuletzt die Gründung von eigenen Plattenfirmen. Natürlich war das alles auch politisch gemeint, aber auf eine naive, fast romantische Weise. Hakenkreuze waren in Deutschland kein Thema – doch der RAF-Button mit der Maschinenpistole gab einem den verwegenen Außenseiter-Look. Viele sahen damals ziemlich lächerlich aus, in ihren Klamotten aus der Altkleidersammelstelle. Doch alles drehte sich nur um den Augenblick: Jung: Du!“ – so stand es damals verheißungsvoll auf der Einladung zu einem Konzert.

„Die Texte der Fehlfarben waren für mich extrem wichtig, weil sie eine andere Perspektive einnahmen“, sagt Nils Koppruch, der Sänger der Hamburger Band Fink. „Diese Bilder und Metaphern, das war immer so… wie im U-Bahn-Schacht, wenn’s reinzieht. Man wußte nie so genau, was das eigentlich soll. Als 14jähriger hab ich ,Es geht voran‘ oft im Radio gehört. Im Unterschied zu dem, was man damals als Neue Deutsche Welle kannte, hat mich das immer sehr irritiert. Und wer war überhaupt dieser Präsident? In dieser Zeit habe ich den Song überhaupt nicht

begriffen. Doch gerade weil mich das so verunsicherte, waren die Fehlfarben schon immer etwas Besonderes.“

Von den 17 Gastsängern, die nun auf „26 1/2“ zu hören sind, war Nils Koppruch der erste, der im November 2004 nach Düsseldorf ins Ata-Tak-Studio kam. Kennengelernt hatte man sich auf einem Konzert: „Im Sommer sind wir zusammen mit Fink im Hamburger Millerntor-Stadion aufgetreten“, erinnert sich der Pyrolator. „Ihr Album ,Bam Bam Bam‘ war für mich eine der Platten des Jahres gewesen. Deshalb bin ich zu Nils hin und habe gesagt: ,Ich bin ein Fan.‘ Er hat gelacht und geantwortet: ,Schön, ich bin nämlich auch ein Fan von euch.‘ Damit war das schon mal gebacken.“

Koppruchs Version von „Das sind Geschichten“ ist auch der erste Song auf „26 1/2“: Langsam und subtil schleicht er sich heran, nur ein paar gezupfte Gitarrenakkorde untermalen den eindringlichen Gesang. Erst im Refrain explodiert das „Monarchie und Alltag“-Stück, dessen Text von Thomas Schwebel stammt, wie der Fink-Sänger überrascht feststellen mußte:, „Ich dachte immer, so lange er dabei war, hätte Peter Hein alle Texte geschrieben.“ Doch das stimmt nicht. Bereits auf „Monarchie und Alltag“ stammt die Hälfte der Songs von Thomas Schwebel: „Der Sänger mit der großen Klappe kriegt natürlich den Löwenanteil zugeschrieben, weil bei uns nie explizit druntersteht, von wem der Text ist“, sagt Schwebel, und es schwingt ein wenig Enttäuschung mit, weil sein Beitrag zu den Fehlfarben gerne unterschätzt wird. „Ich habe ja schon bei S.Y.P.H. und Mittagspause mitgetextet, das war früher nie ein großes Thema.“ Kleiner Tip, ohne Gewähr: Die wortreichen Texte sind in der Regel von Hein, die kürzeren von Schwebel.

Eine Woche nach dem Fink-Sänger steht Campino im Ata-Tak-Studio. „Früher, im Ratinger Hof, da waren die so etwas wie jüngere Brüder“, erinnert sich Frank Fenstermacher, mit 50 Jahren einer der Senioren der Band. Doch aus kleinen Rotznasen wurden große Megastars. Und schon vor drei Jahren mußte Peter Hein zugeben: „Ich bin schon neidisch auf die Hosen, ich hätte manchmal auch gerne so viel Kohle. Aber ich gönne ihnen das, auch wenn ich ihre Platten selten höre.“ Geschmackssicher entschied sich Campino für den großartigsten aller Fehlfarben-Songs: „Paul ist tot“. „Man spürte: Der gibt da alles. Der macht nichts mit Ironie, keine Manierismen, wirklich toll“, findet Fenstermacher. Doch gegen die enigmatische Größe des Originals hat weder der Hosen-Häuptling eine Chance noch die Band selbst. Zu sehr hat sich das rohe Kratzen von Schwebeis Gitarre und das bedrohliche Brummen des Pyrolator-Synthesizers im Kopf des Hörers eingebrannt. Ganz zu schweigen vom Refrain: „Was ich haben will, das krieg ich nicht. Und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht.“ Von Peter Hein gesungen, balancierten diese Zeilen auf dem dünnen Grad zwischen dem beleidigten Tonfall eines enttäuschten Liebhabers und einem eher grundsätzlichen Nicht-einverstanden-Sein mit der Welt. Doch allen Beteiligten war von Anfang an klar, daß nicht jede Neu-Version eine Verbesserung sein kann. Dazu sind einige der Originale einfach zu übermächtig.

Immer mehr Kooperationen bahnen sich an. Aus Zeitgründen werden oft auch Sound-Files hin und hergeschickt Zwischen Weihnachten und Silvester 2004 singt Francoise Cactus von Stereo Total gewohnt charmant „(Geh) Du ran du ran“ in einem Pariser Hotelzimmer. Im Januar folgt Gudrun Guts Version von „Sonntag morgen“, von der unterbewerteten „Platte des himmlischen Friedens“. Früher war Gudrun Gut Schlagzeugerin und Bassistin bei Din-A-Testbild und Malaria, heute ist sie DJ und Betreiberin des Monika-Labels. Dort erschien 2003 auch „No Burka“, die vielbeachtete Single des – wirklich! – afghanischen Mädchen-Trios Burka Band. Kurt Dahlke, Frank Fenstermacher und Saskia von Klitzing hatten das Projekt im Rahmen eines Workshops des Goethe-Instituts in Kabul initiiert und produziert. Ein weiterer wunderbarer Beweis, daß der Do-it-yourself-Geist von 1977 ff. keinesfalls an musikalische Stile und Kleiderordnungen gebunden ist.

Ende Januar kam dann ein Musiker ins Studio, der bereits auf der „Platte des himmlischen Friedens“ bei einigen Stücken Keyboard gespielt hatte: Helge Schneider. ,Jeder von uns erwartete: Helge kommt rein und macht seine typischen Manierismen. Doch von wegen. Er ging sofort in den Aufnahmeraum und fing an, unglaublich ernst und gefühlvoll ‚Einsam‘ zu singen. Wir saßen im Aufnahmeraum und waren einfach nur platt. Jemand hat dann noch einen Witz versucht und gesagt: ‚Willste nicht mal ein bißchen den Helge machen?‘ Er sang dann tatsächlich noch eine zweite und eine dritte Version des Songs und baute immer mehr von seinen typischen Skurrilitäten ein. Doch wir merkten sofort: Das ist es nicht. Als er hinterher noch sehr persönliche Dinge von sich erzählte, wurde uns klar, daß er sich im Augenblick wirklich so fühlt: einsam“, berichtet Dahlke voller Empathie.

„Einsam“ ist der einzige Song, der es ohne Overdubs auf das Album geschafft hat – und zugleich ist er auch der beste: „Nennt mich von heut an einsam, denn das wird mein Name. Nennt mich von heut an einsam, weil ich von heut an ohne sie bin.“ Seltsam, daß dieser Text gerade aus dem Mund des Schalks Helge Schneider so unendlich traurig klingt. Und auch die wunderbare Zeile zum Mozart-Jahr – „Es hat mich niemals gestört, daß sie Mozart gern hört, obwohl ich den widerlich find“ -erscheint nicht als Gag, sondern wird zum Dokument des Scheiterns einer Beziehung. Der hypnotische Gitarrenlärm, den die Fehlfarben dazu spielen, treibt den Song in gewaltige Höhen. Erst Tage nach dem Interview berichten gutunterrichtete Kreise, Helge Schneider habe sich nur wenige Tage vor den Aufnahmen wirklich von seiner Freundin getrennt. Peter Hein hat während der Aufnahmen wenig zu tun. Und auch wenn er gern das Gegenteil behauptet – egal ist ihm das nicht. An den von ihm eingesungenen Pilot-Spuren orientieren sich zwar die Gastsänger, doch sonst hört die kein Mensch. Ärgerlich. Doch nach dem Erscheinen von „Knietief im Dispo“ mußte Hein einen noch wesentlich härten Tiefschlag einstecken: Im Januar 2003, am ersten Tag der Fehlfarben-Tour, schickte die Firma Xerox ihm die Kündigung – nach mehr als 25 Jahren treuer Mitarbeit. Verärgert und frustriert vergeigte er am nächsten Tag, beim Konzert in Hamburg, einen Einsatz nach dem anderen. Und selbst heute, drei Jahre später, trauert er noch um seine Stelle als Business System Consultant im Center of Competence IT:

Dein Job bei Xerox…

PETER Hein: …den gibt’s nicht mehr.

Saskia von Klitzing: Peter ist jetzt Voll-Profi.

HEIN: Nein, momentan bin ich wieder arbeitslos. Noch’n paar Monate und dann…

FRANK FENSTERMACHER: Die haben ihm gekündigt, weil er bei Fehlfarben ist.

HEIN: Das hättest du gerne.

FENSTERMACHER: Du hast zwei Abmahnungen gekriegt, wegen Fehlfarben, gib’s zu!

HEIN: Das hättest du gerne.

FENSTERMACHER: Gib’s zu! Du hast beim Interview mit der „Zeit“ gesagt, du würdest einen Job machen, der viel zu gut bezahlt ist, dafür, daß man nichts tun muß. Leider war dein Vorgesetzter „Zeit“-Leser.

HEIN: Ich war lange Zeit die einzige positive Werbung für das Unternehmen. Die hatten sonst immer nur Meldungen über Börsencrash, Entlassungen, Betrugsaffären. Da war ich das einzige positive Thema. Nachdem ich 16 Rationalisierungswellen überstanden hatte, bin ich der 17. dann zum Opfer gefallen.

Aber der Kunst war das doch sicher förderlich.

HEIN: (nachdenklich) Eigentlich nicht. War ja schon alles geklärt, mit den Touren, ich hatte ja Urlaub bekommen. Die Platte war auch draußen, und die neuen Stücke hätte ich nebenbei hingekriegt. Jetzt bin ich arbeitslos!

Dirk von Lowtzow, der auf“26 1/2″ die „Internationale“ singt, zeigt sich von Heins Haltung sehr beeindruckt: „Das ist in der Rockmusik ein total seltener Gestus: sich nicht voll und ganz auf die Musik einlassen“, glaubt der Tocotronic-Sänger. „Hierzulande haben sich alle dem Traumberuf des Rockmusikers verschrieben und schwärmen davon, wie toll das ist, mit ganzem Herzen dabei zu sein. Deshalb finde ich es super, wenn jemand sagt: Ich mache das lieber als Hobby. Das ist eine Geste wie von Marcel Duchamps, der mal gesagt hat: ,Ich bin kein Künstler.“ So etwas ist mir wahnsinnig nahe.“ Dennoch gehört von Lowtzow zu einer anderen Generation. „Monarchie und Alltag“ war für ihn nur eine gute Platte unter vielen: „Hüsker Dü hatten einen viel höheren Stellenwert.“ Als Fehlfarben-Bassist Michael Kemner ihn fragte, ob er die „Internationale“ singen möchte, freute sich von Lowtzow dennoch: „Das ist eins meiner Lieblingsstücke von ‚Knietief im Dispo‘ und die habe ich sehr bewußt mitbekommen.“

Bands wie Tocotronic, aber auch Die Sterne, deren Sänger Frank Spilker „Schlaflos nachts“ interpretiert, stehen bewußt oder unbewußt in der direkten textlichen Tradition der Fehlfarben: Politik findet sich auch im Privaten. Unzufriedenheit äußert sich nicht in platten Parolen, sondern in poetischen, aber genauen Beschreibungen: „Bild dir ein, du bist Lotse und hältst das Steuer/

Mitten im Ozean spielst du mit dem Feuer/ Sprich fremde Sprachen im eigenen Land/ Zerstreu alle Zweifel an deinem Verstand“, heißt es in „Gottseidank nicht in England“. Der Song ist nur deshalb nicht auf „26 1/2“ gelandet, weil Peter Hein ihn all die Jahre, die er nicht bei Fehlfarben war, regelmäßig mit Family 5 gespielt hat (und ihn daher vermutlich nicht mehr hören kann).

Auch Jochen Distelmeyer von Blumfeld liebt „Gottseidank nicht in England“, und als Texter hält er Peter Hein für unerreicht. Die Lieder von „Monarchie und Alltag“ sind ihm sogar so heilig, daß er auf keinen Fall eins davon singen wollte:, Jochen glaubt nicht, daß er zu den Klassikern noch etwas Neues beisteuern kann. Deshalb singt er gegen sein Image Alkoholen‘ und zwar gigantisch gut“, sagt Thomas Schwebel, der schon seit vielen Jahren wie Distelmeyer in Hamburg wohnt. „Alkoholen“ ist ein eigenwilliges, nur als Single erschienenes Sauflied. Die Plattenfirma veröffentlichte den Song während der Karnevalszeit, zur Wiedervereinigungs-Tour 2003: „Wer bringt denn mitten im Karneval so ein Peudo-Karneval-Stück raus? Das kann doch nur Hamburgern einfallen“, frotzelt Peter Hein in Richtung seiner eigentlich heißgeliebten Plattenfirma.

Dabei hat der Song durchaus seine Fans: „Wir selber waren von dem Stück nie besonders überzeugt. Doch irgendwann hatten wir diesen Auftritt, im tiefsten Süddeutschland, in einem Zelt in Esslingen. Da stellten sich zwei Münchner Fans zu uns an die Bühne und fragten: Spielt’s auch euern Hit?* Und wir: ,Nein, tut uns leid, wir spielen ,Es geht voran‘ nicht‘ – ,Nein!‘ tönten die los, ,wir meinen „Alkoholen‘!“ Da müssen sie alle lachen, die Fehlfarben. Und der sonst so ernste und nachdenkliche Distelmeyer hatte beim Singen dieses unterschätzten Songs offensichtlich auch seinen Spaß.

Im Frühjahr 2005 geht es dann ziemlich rund im unaufgeräumten Kellerstudio von Ata Tak, wo es aussieht, als hätten die Members gestern erst die Aufnahmen zu „Sound Of The Suburbs“ beendet. Claudia Kaiser von den Münchner Moulinettes läßt es rocken und mixt „Club der schönen Mütter“ mit den Riffs von XTCs „Making Plans For Nigel“. Die grandiosen Chöre fallen leider der Zensur zum Opfer: „Ihr Schweine habt die besten Sachen einfach weggemacht!“, poltert Hein in Richtung Fenstermacher und Dahlke, um sich dann mit einem tiefen Schluck vom Nachmittagsbier wieder zu beruhigen.

Bernd Begemann geht „Die kleine Geldwäscherei“ eher heiter und gelassen an: „Bernd kam mit dem Taxi aus Köln und sang erst mal gar nicht. Er stellte sich hin und machte eine halbe Stunde Textverständnis und Analyse mit mir“, behauptet Produzent Dahlke. „Jede einzelne Zeile sind wir durchgegangen: ‚Was meint Janie damit, was denkst du? Was ist das für ’ne italienische Kneipe, von der er da singt, kennst du die?‘ Ich sagte: ,Nee, weiß ich nicht, aber ich vermute, das ist die da hinten, die Straße hoch.‘ Begemann ging wirklich in die Tiefe dieses Textes: Jetzt ist er also wieder da, die Freundin aber nicht. Trotzdem will er sich einen Grappa bestellen. Grappa mit zwei Fingern, wie früher, als die Freundin noch da war.‘ Ich hab gedacht: Was will der? Bernd beschäftigte sich 40 Minuten ausschließlich mit dem Text, ging dann ins Studio und sang ,Die kleine Geldwäscherei‘ absolut großartig, mit all den wunderbaren Manierismen und diesem ganzen italienischen Kram. Und da hab ich gemerkt, er suchte einfach bloß nach der Einstellung, die er als Sänger zu diesem Text haben soll. Das war unheimlich lustig mit ihm.“

Was immer wieder erstaunt, ist die große Qualität und Vielschichtigkeit der Songs von „3 Tage in Ketten“, “ Glut und Asche“ und mit Abstrichen auch von „Popmusik & Hundezucht“, den drei Platten, die in den Achtzigern nach dem überraschenden Weggang des Ur-Sängers produziert wurden. Im Lauf der Jahre hatte sich die allgemeine Einschätzung durchgesetzt, die Hein-losen Alben seien weniger aufregend. Sicher, Thomas Schwebels eher dünner Gesang konnte mit dem des Shouters Janie Jones nicht konkurrieren. Aber musikalisch passierte dafür umso mehr. Vor allem auf dem Funk-infizierten „Glut und Asche“, wo sich auch die Original-Fassung von „Magnificent Obsession“ findet.

Auf „26 1/2“ singt der Schauspieler Peter Lohmeyer den Song, zu einem kammermusikalischen Arrangement, an dem von den Fehlfarben-Mitgliedern außer Schwebel nur noch die Schlagzeugerin Saskia von Klitzing mitgewirkt hat. Sehr distinguiert, wie ein edler Vollsuff im Morgengrauen.

Thomas Mahmoud von der New-Wave-Revisited-Truppe Von Spar ist da aus einem ungestümeren Holz geschnitzt: „Bei Thomas mußte ich sofort an Gabi Delgado denken. Er singt nicht nur so, er sieht auch so aus, und anfangs dachte ich sogar: Der ist bestimmt auch genauso doof“, bekennt Frank Fenstermacher. War aber nicht so – im Gegenteil: „Der stellte sich als superfit heraus, die ganze Band war super“, findet sogar Peter Hein, der junge Kollegen sonst gerne mal mit Nichtbeachtung straft. Aber auch Thomas Mahmoud – der dem im Original gigantisch lärmenden „Zarte Zeilen“ überraschend poppige Seiten abgewinnt – schwärmt von seinen neuen Freunden: „Das war für mich natürlich eine Ehre“, sagt er atemlos, „obwohl ich den Song bis heute nicht im Original gehört habe.“

Mahmoud ist so eine Art New-Wave-Konzeptkünstler. Für einen Song des Von Spar-Albums „Die uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative“ überredete er Peter Hein sogar dazu, die ungeliebte Zeile „Geschichte wird gemacht“ neu einzusingen. Ergänzt durch den Satz: „Mit dem Plan, mit dem Plan, planlos zu sein“, was sich natürlich auf die Kollegen Fenstermacher und Dahlke bezog, die als Der Plan schon in den achtziger Jahren ihre eigene Karriere hatten. Frank Spilker steuerte übrigens die ähnlich passende Zeile bei: „Das Funkeln der Sterne, das Funkeln der Sterne“. Umgeben von solchen jungen Wirrköpfen fühlt man sich als Semi-Veteran natürlich gleich wieder ein paar Dekaden jünger. Bei der gemeinsamen Tour haben auch die Bühnen-Outfits von Von Spar – mal als Putzfrauen und mal als schwule Gaultier-Seemänner – ein großen Eindruck hinterlassen. Vielleicht auch, weil Hein und Schwebel sich dadurch an die alten Zeiten mit der Fehlfarben-Vorgängerband Mittagspause erinnert fühlten, die sich damals für jedes Konzert neue Kostüme ausdachte.

Etwas enttäuschend war dagegen die Zurückhaltung von Sven Regener. Frank Fenstermacher: „Ich habe ihn am Telefon gefragt, ob er mitmachen will, und er meinte: .Ist eigentlich nicht mein Ding, Fehlfarben sind mir zu rockig.‘ – „Aber du machst doch auch Rockmusik!‘ – ,Nein, mach ich nicht!‘ – ,Gibt’s denn kein Stück, das dir gefällt? – ,Doch, eins gibt es: ,Der Himmel weint‘.‘ Das ist von ,Popmusik + Hundezucht‘, das hatten wir überhaupt nicht mehr im Programm. Wir haben es dann extra für Sven wieder eingeübt und ihm geschickt. Aber er sagte, er möchte das lieber selber machen, und er möchte, daß Uwe Bauer mitspielt…“ Der erste Fehlfarben-Schlagzeuger.

KURT DAHLKE: Die Idee hätten wir haben müssen!

FENSTERMACHER: „weil er auch der erste Drummer von Element Of Crime war.

Und weshalb nennen sie sich auf dem Album Die Falschen Farben?

FENSTERMACHER: Sven wollte nicht mit seinem Namen dastehen. Er meinte, weil Uwe ja auch mal zu den Fehlfarben gehört hat, seien Die Falschen Farben ein guter Name. Das fanden sie lustig, und das war vertraglich auch eine Bedingung: Sven Regener als Mitglied der Falschen Farben – aber nicht als Solist.

Hat euch das geärgert?

FENSTERMACHER: Er weiß eben, was er will. Das ist so eine Mentalitätssache, er kommt ja auch von der Waterkant…

HEIN: Zuerst hieß es: Alles egal, macht mal! Aber hinterher Korinthen kacken und Erbsen zählen. Ich fand das in unserer Version schön – und für mich war das ja auch neu. Wir haben das halt nicht ganz so scheppernd gemacht wie Regener.

FENSTERMACHER: Ich fand’s auch schade, daß er’s nicht genommen hat, aber ich hab das akzeptiert, wie es jetzt ist. Mir gefällt das gut.

Ein toller Song, in der Tat. Doch Herbert Grönemeyer war deutlich zugänglicher: „Wir saßen zusammen in einem Pub in London, und ich hab einfach nur gesungen: ,Es liegt ein Grauschleier über der Stadt, den meine Mutter noch nicht weggewaschen hat.‘ Dann machte ich eine kleine Pause und sagte: ,Das wäre doch was für dich.‘ Und er antwortete sofort: Ja, mach ich mit!'“ Nun sitzt natürlich nicht jeder Musiker einfach so mit Herbert Grönemeyer in einem Pub in London. Doch der unermüdliche Kurt Dahlke hat neben Fehlfarben und seinen vielen Produzenten-Jobs auch noch ein Projekt namens Bombay 1 – zusammen mit dem Maler, Autor und Sänger Stoya, der auf „26 1/2“ das getragene „Stell dir vor“ hingebungsvoll seufzt. Und wie es der Zufall wollte, sind Bombay 1 unter Vertrag bei Grönemeyers Label Grönland. „Alex Silva, der Produzent von ‚Mensch‘, hatte damals unser Album ‚Strobl‘ abgemischt. Mit ihm hat Herbert später in Berlin ,Grauschleier‘ aufgenommen.“ Doch wie bei Campinos ‚Paul ist tot‘ ist auch hier das Original leider all zu mächtig.

Kooperationen mit Superstars dieses Kalibers sind grundsätzlich schwierig vor allem für eine Band, die einst einen Paradigmenwechsel einleitete: „Es gibt viele Puristen, die sagen: Uaaggh, Grönemeyer und Fehlfarben, das geht gar nicht! Das finde ich total albern“, sagt Thomas Schwebel. „Leute wie Westernhagen hätten wir niemals gefragt, die haben null mit uns zu tun. Grönemeyer dagegen hat schon einmal mit Janie zusammen ,Es geht voran‘ gesungen. Das war 1985 im Rahmen des Kölner ,Live Aid‘-Konzerts, als diese Band für Afrika das grauenvolle ,Nackt im Wind‘ gespielt hat. Danach haben sie dann noch ,Es geht voran‘ gesungen, aber da waren die Fernsehkameras schon ausgeschaltet. Janie ist damals ausgerechnet für Westernhagen eingesprungen, der hatte wohl keine Lust. Der Beck’s-Bier-Sänger Hans Hartz war auch dabei, der hat ,keine Atempause‘ geknödelt.“

Tja, das sind Geschichten, die Peter Hein vermutlich lieber vergessen möchte, obwohl daran nichts Ehrenrühriges ist. Man muß sich nur mal vorstellen, welchen Quatsch andere Bands heute mitmachen. Doch Hein ist eben auch nicht irgendwer. Das weiße Hemd, das er heute trägt, ist dezent bemalt, und es ist unmöglich zu sagen, ob er das nach dem Frühstück schnell noch selber gemacht hat, oder ob es doch aus einem hippen Szeneladen stammt. Die Stiefel sehen nach Schlangeniederimitat aus – oder ist das echt?

Janie, und das war schon immer so, ist ein Spieler und grandioser Tiefstapler. Er tut gern so, als wäre das alles nicht mehr seine Welt – um dann urplötzlich nach den Arctic Monkeys zu fragen. Und natürlich hat er auf „26 1/2“ doch gesungen – alles andere wäre ja auch ein Skandal. Zum einen ist da das mitreißende „Die wilde 13“, das er zusammen mit dem kongenialen Harry Rag intoniert, der noch immer ab und zu mal eine S.Y.P.H.-Platte veröffentlicht und ansonsten als Regisseur in Ljubljana lebt. „Harry ist jetzt bestimmt sauer, aber schließlich war es seine Idee mit dem Duett. Mir war das ja plumps-egal. Meine Spur war sowieso schon drauf, ich hab nicht wirklich mit ihm gesungen. Ich bin doch nicht bescheuert und stell mich da hin… Aber andererseits: Bei Konzerten singe ich das ja auch mit Thomas Schwebel im Duett.“

Das zweite Duett des Albums – mit TV Smith von den legendären Adverts diente der Entmystifizierung von „Es geht voran“. Die Fehlfarben spielen den ungeliebten Hit seit 2004 gelegentlich wieder live – aber nur „als vierte Zugabe oder so“. In der neuen Fassung regiert rohe Gewalt – Gitarren wie von den UK Subs, brausende Bläser und jede Menge Geschrei. Anyone for Pogo?

Eigentlich hätte es noch ein drittes Duett geben sollen, ausgerechnet beim einzigen neuen Song des Albums „Chirurgie 2010“. Aus naheliegenden Gründen dachte man an einen Mediziner, an Farin Urlaub von den Berliner Ärzten, der dann aber doch im letzten Moment noch absagen mußte, weil ihm ein Hit dazwischenkam. Also blieb es bei Peter Heins Version, und das ist gut so: „Dein Kopf könnte mein Problem sein, in den Klon-Jahren, dem Doppel-Null Jahrzehnt/ Wir werden euch bestimmt verzaubern, mit Chirurgie 2010.“

Ja, ja, ja! möchte man da rufen, deshalb lieben wir diese Bands so. Schlagzeug, Baß und Gitarren rennen nach vorne wie bei Gang Of Four oder meinetwegen auch bei Bloc Party. Und der Pyrolator zaubert im Hintergrund – am Mellotron. Aber das Größte ist natürlich wieder einmal Peter Hein und dieser wunderbare Text. Spricht er nicht genau das aus, was so viele denken? Ist die Verbindung von dekadentem Körperwahn mit den sozialen Einschnitten der Agenda 2010 nicht eine großartige Metapher?

Dabei ist der Grund, warum das Stück auf „26 1/2“ landete, ein eher banaler: „Das mußte einfach raus. Der Song ist schon zwei Jahre alt und mit Blick auf Schröder geschrieben. Obwohl es natürlich egal ist, ob es darin Kanzler heißt oder Kanzlerin – die allgemeinen Tendenzen werden sich nicht ändern.“ Erst recht nicht in Zeiten der Deutschen Neuen Welle, wie Hein all die Silbermonde, Mias und Julis nennt, die seit einiger Zeit mit gutherzigem Eskapismus viel deutschsprachige Musik verkaufen.

Und zum Schluß gibt Thomas Schwebel doch noch einen Kommentar zur Frontfrau der anderen Neuen Deutschen Welle:“Klar geht das irgendwie nicht, mit Nena was machen. Der einzig reizvolle Gedanke an dieser Kollaboration wäre gewesen, dem mal zu widersprechen. Das war auf dem Papier eine ganz reizvolle Kombination – die beiden herausragenden Exponenten der beiden unterschiedlichen Neuen Deutschen Wellen. Aber das hätte polarisiert, und ich bin heute heilfroh, daß sie jetzt doch nicht dabei ist. Das hätte die ganze Platte aus dem Gleichgewicht gebracht“

Und mal ehrlich: Die Fehlfarben haben so etwas überhaupt nicht nötig. Und es wäre jammerschade gewesen angesichts der entspannten Klasse des „26 1/2“-Albums, das beim Anschauen wie ein wildes Mosaik wirkt und sich beim Hören ganz schnell in ein schlüssiges, zeitlos grandioses Tableau verwandelt. Acht Stücke des nächsten, neuen Albums sind bereits fertig, nur noch ein knappes Jahr bis zur Veröffentlichung. Fast möchte man rufen: „Keine Atempause, Geschichte wird gemacht!“ Aber wir wollen das Geburtstagskind ja nicht verärgern.

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