Aus dem Off (7)

Corona-Tagebuchnotizen von Arne Willander: Murder Most Foul

Anmerkungen zu einem Lied von Bob Dylan: „Play ,The Blood-Stained Banner‘, play ,Murder Most Foul‘.“ Der Erzähler hat sein Lied schon in den Song eingeschrieben. Und dann klingt es aus. Er ist ganz ruhig geblieben.

An einem Jingle-Jangle-Morgen wache ich früh auf. Vögel zwitschern. Aus einer höher gelegenen Wohnung quäst HipHop in den Hinterhof. Hat die Zeit die Richtung geändert, wie es vielleicht bei David Lynch heißt? Bin ich in „Mean Streets“? In „Die Fliege“? Something‘s happening here.

Am Tag zuvor veröffentlichte Bob Dylan einen neuen Song. Ist wahrscheinlich kein neuer Song. Seine letzten Lieder erschienen 2012 auf der Platte „Tempest“, danach sang er Stücke, die Frank Sinatra sang, und was ihm sonst noch gefiel. Jetzt aber bringt er das längste Stück heraus, das wir von ihm kennen. „Murder Most Foul“ dauert 16 Minuten und 57 Sekunden. „Highlands“, von „Time Out Of Mind“ (1997), ist 16 Minuten und 30 Sekunden lang. Launig wendet Dylan sich an seine „fans and followers“, der Alte hat es drauf: Vor einiger Zeit habe er dieses Stück aufgenommen, vielleicht gefalle es ja. „Stay safe, stay observant.“

Bob Dylan – Murder Most Foul:

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Man hört ein Klavier, eine Geige. Dann setzt die modrige, verwitterte Raspelstimme ein, die klingt, als hätte dieser Mann einst auf einem Berg die Gesetzestafeln von Gott erhalten, den brennenden Dornbusch gesehen, die Emmaus-Jünger, Herkules, Alexander den Großen etc.. Der Mann singt einen Blues, eine alte Moritat: „It was a dark day in Dallas, November ’63/ A day that will live on in infamy/ President Kennedy was a-ridin’ high/ Good day to be livin’ and a good day to die.“ Zum Schlachter geführt wie ein Opferlamm, nölt der Erzähler abgedroschen. Dann sagt der Präsident: „Wait a minute boys, boys, you know who I am?“, und sie sagen: „Of course we do.“ Hier könnte das Stück schon zu Ende sein, so schön läppisch ist es. Man denke an die Kellnerin und die hartgekochten Eier, an Erica Jong und Neil Young in „Highlands“.

Er singt von Tommy und der Acid Queen

Nun aber schlägt der Sänger einen gewaltigen rhapsodischen Bogen, es ist die Große Amerikanische Komödie, es sind die Sechziger, aber auch noch die Fünfziger des vergangenen Jahrhunderts, er singt von den Beatles und der „Ferry ‚cross the Mersey“, er singt von Tommy und der Acid Queen, er singt von Altamont und vom Age Of Aquarius, von der Freiheit, er singt „Wake up, little Susie“ und „You got me dizzy, Miss Lizzy“, er singt von Patsy Cline und von dem Zapruder-Film, jenen Schmalfilmaufnahmen, die Kennedys Ermordung zeigen. Er bringt alles durcheinander. Der Erzähler bleibt dabei: „human sacrifice“. Der Tag lässt ihn nicht los: „Air Force One coming in through the gate/ Johnson sworn in at 2:38/ Let me know when you decide to thrown in the towel.“ Es ist, was es ist – „murder most foul“.

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Und nun, mit „What’s new, pussycat? What’d I say?“, beginnt ein Gospel, eine Anrufung, aber der Ton bleibt trocken und wie beiläufig. „I said the soul of the nation is torn away.“ Es ist 36 Stunden nach dem Jüngsten Tag. Der Sänger taucht in die Zeit, es gibt kein Halten mehr für das Gedächtnis, es fließt: Wolfman Jack spricht in Zungen, spiel mir dieses „Only The Good Die Young“, der Ort, an dem Tom Dooley gehängt wurde, St. James Infirmary, der Court Of St. James, Etta James auch, John Lee Hooker und Jack Guitar Slim, spiel es für mich und Marilyn Monnroe. Spiel „Please Don’t Let Me Be Misunderstood“, spiel Don Henley, spiel Glenn Frey, spiel Oscar Peterson und Stan Getz, spiel „All That Jazz“, spiel irgendwas für den Vogelmann von Alcatraz. Der Sänger deliriert. „Play it for Lindsey and Stevie Nicks/ Play Nat King Cole, play ,Nature Boy‘/ Play ,Down In The Boondocks for Terry Malloy.“ Dann wirft er ein: „Don’t worry, Mr. President. Help’s on the way.“ Und weiter mit Jelly Roll Morton und Houdini, spiel „Misty“ für mich, „Lonely At The Top“ und „Lonely Are The Brave“. Und „Love Me Or Leave Me“ vom großen Bud Powell.

„Play ,The Blood-Stained Banner‘, play ,Murder Most Foul‘.“ Der Erzähler hat sein Lied schon in den Song eingeschrieben. Und dann klingt es aus. Er ist ganz ruhig geblieben. Ein Schwätzer wohl, aber kein irrer Prediger. Ein Mann, der sich unordentlich erinnert. Man lebt in einer Zeit und erzählt davon.

Durch die offene Balkontür tönt jetzt schwülstige Soul Music und dann etwas, das wie die Kelly Family klingt, die einen Song der J. Geils Band singt. Es zieht. Was ist eigentlich mit dem „Duke Of Earl“?

Arne Willander

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