Das Anti-Macho-Märchen

Das viel versprechende literarische Debüt des jungen Briten Richard Milward sorgte in seiner Heimat im letzten Jahr für große Aufregung: weil es schonungslos aus der Lebenswelt der Teenager berichtet.

Es ist ein schöner Zufall, dass ich Richard Milward etwa zwei Stunden nach der kleinen Lesung im Büro seines deutschen Verlages schon leicht angeheitert am Kühlschrank in der Verlagsküche treffe. Wir sind beide im Begriff, uns noch ein Bier zu öffnen an diesem schwülen Mai-Abend, plaudern über seine Heimatstadt Middlesbrough, sein Kunststudium in London, seine Hausgötter Jack Kerouac und Richard Brautigan und Irvin Welshs „Trainspotting“, den Roman, der ihn im Alter von zwölf zum Schreiben brachte. Da habe er entdeckt, dass es nichts gebe, über das man nicht schreiben könne, sagt er mit schönem nordenglischen Akzent und fährt sich durch die Wuschelfrisur.

Mittlerweile ist Richard 23. Die letzten elf Jahre hat er immer wieder Manuskripte an große Verlagshäuser geschickt. „Apples“, das er mit 19 schrieb, erschien schließlich im letzten Jahr beim englischen Verlag Faber & Faber und liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor (Blumenbar, 17,90 Euro). Ein Roman, derweitgehend auf Parties spielt. Wenngleich die kein Vergleich sind zu der, auf der wir uns gerade befinden. „Apples“ erzählt aus der Welt der Teenager, von Drogenexzessen, One Night Stands, mechanischem Sex, ungewollten Schwangerschaften, Kindesmissbrauch.

In England war man nach der Veröffentlichung 2007 bei aller Bewunderung für den aufstrebenden Jungautoren geschockt von Milwards ungeschöntem Blick in die heimische Kinderstube. Noch mehr aber vom Plauderton, mit dem er die drastischen Beobachtungen zur Alltäglichkeit stilisierte. Man werde dem Buch vorwerfen, amoralisch zu sein, schrieb die „Times“ und bezeichnete „Apples“ als „Catcher in „the Rye meets the Arctic Monkeys„. Holden Caulfields Zynismus ist Milward zwar fremd, aber mit viel gutem Willen lassen sich Parallelen zu Salinger finden. Die Arctic Monkeys? Zumindest die Frisur stimmt. Einem Roman, dessen Protagonisten Adam und Eve heißen und der das biblische Symbol für den Sündenfall im Titel trägt, jegliche Moral abzusprechen, ist allerdings gewagt. Nein, ,Apples“ ist hochmoralisch. Handelt es doch von der Suche nach der verlorenen Unschuld.

Der schüchterne Beatles-Fan Adam verliebt sich in die viel umworbene Evc, die ihn allerdings – zu sehr mit sich selbst und der Krebserkrankung ihrer Mutter beschäftigt – kaum wahrnimmt. Milward schildert diese verkappte Liebesgeschichte mit großem Einfühlungsvermögen und einer Art weiblichem Blick. Er habe halt immer lieber mit Mädchen rumgehangen als mit den lads, erklärt er und nennt „Apples“ sein „Anti-Macho Märchen“.

Da wundert es einen dann auch nicht, dass an einer Stelle in Apples“ plötzlich ein Schmetterling die Erzählung übernimmt, an einer anderen eine Straßenlaterne. In diesen Momenten trägt die harte Teenagerwelt von Middlesbrough wieder kindliche Züge, und wir können zwischen all den Drogen, dem Sex und der Gewalt Zeuge einer vollkommen unschuldigen Liebe werden.

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