Das Arschloch bin ich: Greg Dulli spielt mit den Afghan Whigs Psycho-Dramen um Liebe, Obsession und Totschlag

Es hat gerade elf Uhr geschlagen. Greg Dulli hat noch nicht seinen Morgenkaffee intus, zündet aber schon mal ein Räucherstäbchen an. „Wahrscheinlich bin ich ein Hippie“, sagt der Mann, der im amerikanischen Alternative-Rock die besten Anzüge trägt. ,.Die Sache hat angefangen, als ich ein kleiner Junge war und heimlich in meinem Zimmer geraucht habe. Ich habe Räucherstäbchen angezündet, damit meine Mutter nichts riecht. Hat sie natürlich aber doch immer.“ Das schlechte Gewissen – Dulli hat mit seiner Band Afghan Whigs schon Alben darüber eingespielt. Auch „Black Lore“, auf dessen Cover passenderweise zwei Räucherstäbchen im Aschenbecher vor sich hinqualmen, ist wieder ein Breitwandwerk über Schuld und Sühne geworden. Große Gefühle, noch größere Gesten. Da ist alles drin: Liebe, Verbrechen, Totschlag. Und Greg Dulli läßt keinen Zweifel daran, wer das Schwein in diesem Psycho-Thriller ist. The motherfucker est moi, sozusagen.

„Klar, unsere Platten sind sehr melodramatisch“, räumt Dulli ein. „Aber gleichzeitig geht es uns in der Musik auch um einen Realismus. Mich interessiert die düstere Seite des Lebens, allerdings ist das nicht die gleiche düstere Seite, um die es einem Death-Metaller geht. Mit Okkultismus verbindet mich nichts. Ein Song ist für mich gut, wenn ich mich damit den Mysterien meines Daseins nähern konnte. Denn ehrlich: Manchmal weiß ich nicht genau, wer ich bin.“ Das sagt er und zuckt dabei nicht mit der Wimper.

Stets befindet sich die Identität in der Krise, mit Teenage Angst und College-Frust haben die Afghan Whigs allerdings schon lange nichts mehr am Hut. Ein Grund, weshalb sie in Amerika nicht die Arenen füllen. Weil: Wer verkauft, das entscheiden immer noch die Kids. „Unser Publikum ist überwiegend erwachsen“, meint Dulli. „Nur selten verirren sich Stagediver in unsere Konzerte. Das sind meistens junge Menschen, die beim Pearl Jam-Konzert eine Woche vorher keine Karten mehr bekommen haben. Das ist für uns in Ordnung, aber meistens sind die Kids während unserer Konzerte zu Hause und schauen MTV, hähähä. Wahrscheinlich ist das richtig so. Ich bin kein Teenager mehr, ich bin 30 Jahre alt. Der Schmerz, den ich fühle, ist ein anderer.“ Die Afghan Whigs liefen immer ein bißchen neben dem Alternative-Rock her, nicht hinterher und auch nicht vorneweg. Ihre Alben erschienen bei SubPop, und noch immer sind sie bei dem Label unter Vertrag (auch wenn die Platten inzwischen von Elektra/WEA gefertigt und vermarktet werden). Unter all den ungehobelten Grungern wirkten die Gentlemen aus Cincinnati mit ihren schwarzen Anzügen immer wie Kunsttischler unter lauter Baumfällern.

Zumindest seit „Congregation“. Mit diesem Album, dem dritten, fand die Band 1992 zu ihrem feinschnittigem Soul-Rock, der auf dem Nachfolger „Gentlenien“ ausgeformt wurde und inzwischen ihr Trademark bildet. Extrem-Vokalist Dulli ist zwar weit vom Soul-Crooning entfernt, doch die Songs atmen den Geist von Marvin Gaye und den Supremes. Und ganz wichtig: Rick McCollum an der Gitarre zerfurcht die Songs mit überhitzten Soli. Der Sound der Afghan Whigs ist extrem spröde. Daran hat sich auch bei „Black Lore“ nichts geändert. Allerdings wurden die einzelnen Soul-Elemente wie Orgel oder einzelne Percussion-Parts isolierter in den Vordergrund gerückt.

Auch für dieses Album übernimmt das Booklet die Bebilderung der Songs, denn die Platten der Afghan Whigs sind immer Gesamtkunstwerke. Außerdem ist Greg Dulli ein Mann des Visuellen: Er hat Film studiert und übernimmt oft selbst die Regie für ihre Videos. Zu dem Song „Debonair“ schuf er 1993 einen der eindringlichsten Filme, die in den Musikkanälen liefen. Und kürzlich spielten die Afghan Whigs bei einer Party für den Film „Beautiful Girls“ – mit der diesjährigen Oscar-Gewinnerin Myra Sorvino – Barry Whites „Can’t Get Enough Of Your Love, Babe“. Gentlemen eben.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates