Das Ende der Blumenkinder

Die Ausstellung "Man Son 1969" in der Hamburger Kunsthalle thematisiert das Scheitern der unschuldigen Hippie-Utopien.

Mit 1,63 Metern ist Charles Manson ein recht kleiner Mann, der den größten Teil seines verpfuschten Lebens in Gefängnissen und ähnlichen Menschenverwahranstalten verbracht hat. Er träumte von einer Karriere als Sänger, doch ein Mitglied seiner Family, der Musiker und Mörder Bobby Beausoleil, attestierte ihm 1973 in einem Interview mit Truman Capote: „Ganz unter uns, Charlie ist nicht gerade ein Supertalent.“ So was wie ein Star ist Charles Manson dann trotzdem geworden: Bis heute gilt er als Ikone des Bösen im Pop. Ohne ihn kein Marilyn Manson, ohne seine Songs nicht die Coverversionen der Lemonheads. Sonic Youth haben den Mythos Manson in „Death Valley 69“ thematisiert, und Nine Inch Nails setzten dem Ganzen die Krone auf. indem sie die Villa am Cielo Drive, wo sich im August 1969 die blutigen“Helter Skelter“-Morde ereigneten, als Tonstudio benutzten.

Manson verkörpert die vulgärste, banalste Spielart einer sogenannten charismatischen Führerpersönlichkeit — auch Beach Boy Dennis Wilson suchte damals seine Nähe. Auf einer abgelegenen kalifornischen Ranch scharte der Rassist und Beatles-Fan einen Harem junger Frauen um sich. Drei davon schickte er als Todesengel in die Villa des Regisseurs Roman Polanski, wo die Mädchen ein bizarres Blutbad anrichteten, dem die Schauspielerin Sharon Tate und vier weitere Personen zum Opfer fielen. Am nächsten Tag wiederholte sich die Schlachtorgie im Haus des Ehepaars LaBianca. Zusammen mit dem Hells-Angels-Mord in Altamont gelten diese Ereignisse als das Ende der Flower-Power-Ara. Die sanften Hippies hatten ihre Unschuld verloren.

Der Name Manson steht nun im Titel der Ausstellung: „Man Son 1969 – Vom Schrecken der Situation“, die noch bis Ende April in der Hamburger Kunsthalle zu sehen ist, stellvertretend für eine ästhetische und politische Radikalisierung. „1969 war interessanter als 1968. Weil sich in diesem Jahr die Utopien und Luftballons, „1969 war Interessanter als 1968. Well sich in diesem Jahr die Utopien und Luftballons, die großen Ideen von Freiheit und Tabubrüchen, an der Wirklichkeit überprüfen mussten.“

die großen Ideen von Freiheit und Tabubrüchen, an der Wirklichkeit überprüfen mussten“, erklärt Kurator Dirck Möllmann, der die Ausstellung keinesfalls als Abfeiern des 40. Jubiläums des Schicksalsjahres verstanden wissen will. „Und wenn sich eine Utopie an der Wirklichkeit überprüft“, erklärt er weiter, „dann fängt es an zu knirschen, wird es zwiespältig. Das ist das, was uns am Jahr 1969 interessiert hat.“

Das in der Ausstellung zu sehende Video „Barbed Hula“ der israelischen Künstlerin Sigalit Landau, in dem eine nackte Frau am Strand einen Stacheldraht-Reifen über den Hüften balanciert, als wär’s ein Hula Hoop, bringt die Spannung zwischen Utopie und Wirklichkeit, Unschuld und Realität subtil auf den Punkt. Geradezu plakativ ist dagegen Stefan Hunsteins Foto-Triptychon „69“: Im Zentrum steht ein Fernsehbild von Charles Manson mit tätowiertem Hakenkreuz auf der Stirn.

Rechts daneben ein Foto von der Mondlandung, links ein Detail aus dem Logo der Heils Angels. Ein Schlüsselwerk der Ausstellung, das die drei großen „Kränkungen“ (Hunstein) von 1969 zusammenfasst und glamourös zelebriert.

Weniger glamourös, aber urkomisch und erhellend ist Stefan Hubers Marionetten-Theater-Video „Love & Peace“: Kasperl reist darin zurück in die Jahre 1968 und 1969. Er trifft zuerst Adorno, muss dann zusehen, wie Valerie Solanas Andy Warhol anschießt, und landet schließlich im Haus von Dennis Wilson, wo er gemütlich mit Charlie und seinen Engeln abhängt, bis es weitergeht nach Altamont. Im Epilog schneiden junge Zuschauer die Fäden der Marionette durch — nur Charles Manson entkommt und erweist sich im Schlussbild als diabolischer Puppenspieler. Das alles ist unterlegt mit einem Musik-Potpourri der späten Sechziger und illustriert so das Thema der Ausstellung perfekt.

„Man könnte sagen, dass das Phänomen Charles Manson aus der Musikkultur kommt“, findet auch Kurator Möllmann. „Ein gescheiterter, nicht anerkannter Musiker. Da ist ja auch dieses Lied, das die Manson Girls auf dem Weg ins Gerichtsgebäude trällern, Susanne Weirich hat das in ihrem Video ‚Angels In Chains‘ festgehalten.“

„Manson 1969“ funktioniert immer dann am besten, wenn man sich auf das Kernthema – das Scheitern der Hippie-Utopien und den Missbrauch von Freiheit – beschränkt. Eine gewisse Kenntnis des Sujets kann da nur helfen. Der amerikanische Outsiderkünstler Joe Coleman ist fast schon ein Fan, und seine beiden ornamentalen Moritatentafeln verraten viel von seiner großen Faszination für das Abseitige: „Joe Coleman – h is art is something eise. Praise! Praise! Praise! He is a caveman in a spaceship“, schrieb ihm Manson persönlich aus dem Gefängnis, nachdem ihm Coleman einen Bildband mit dem Porträt von Manson als Göttin Kali geschickt hatte.

Till Gerhards Gemälde „Wächter der Natur“ porträtiert die Family im Idyll eines Canyon in der Nähe der berüchtigten Spahn Ranch. Das Gesicht eines Mädchens ist rosa übermalt, ein bedrohliches Zeichen kommenden Unheils. Der Hamburger Maler scheint überhaupt zu wissen, dass das Böse nicht in Gestalt von falschen Propheten in die Popkultur gesickert ist, sondern von Anfang an darin wohnte.

Es gibt viele tolle Exponate in „Man Son 1969“. Doch manches — das LED-Laufband von Jenny Holzer beispielsweise, Richard Serras „Measurements of Time“, oder die „Tropfsteinmaschine“ von Bogomir Ecker – wirkt unpassend und beliebig. „Das kritisieren viele Besucher“, gibt Möllmann zu. Doch man wollte unbedingt auch mit der Sammlung der Kunsthalle arbeiten. Das fuhrt dann eben dazu, dass nach Martin Eders aggressiv obszönen Mädchenfotos plötzlich Max Beckmanns Skulptur „Adam & Eva“ im Raum steht. Der Kurator findet das logisch, es ginge in dem Werk ja schließlich um den Sündenfall.

Ähnlich rätselhaft, wenn nicht gar ärgerlich, ist die Einbindung der RAF in die Ausstellung – so als wäre Andreas Baader das deutsche Pendant zu Charles Manson gewesen. Trotzdem gefallen Josefine Mecksepers „RAF‘-Mädchen außerordentlich gut, wie sie auf einem Silbertablett eine Streichholzschachtel mit dem Etikett „RAF‘ servieren, das ist feinster Radical Chic, Sex mit angedeuteter Gewalt (Brandstifter!).

„Ich würde nicht behaupten, dass es einen Zusammenhang gibt, sondern eher, dass es parallele Erscheinungen sind“, so Möllmann. „Beides sind unterschiedliche Reaktionen auf den Vietnamkrieg gewesen, die im Grunde beide fatal endeten. Auch der Fokus auf 1969 ist einer mit sehr unscharfen Rändern, rein zeitlich gesehen.“

Das ist leider das Dilemma dieser Ausstellung: Natürlich hat alles irgendwie mit allem zu tun – gerade in der Kunst und im Pop. Aber warum 1969 die großen Träume geplatzt sind und was Manson bis heute so interessant macht, als Ikone einer ganzen Subkultur, das erfährt man hier höchstens ansatzweise. Für Pop-Interessierte und -Informierte lohnt sich der Besuch aber allemal.

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