Das Rad der Geschichte vorgedreht

Nach Jahren der Splittergruppen und Soloprojekte hat Robert Fripp wieder King Crimson reanimiert. Einen süffigen Nostalgie-Nachschlag darf man von ihm trotzdem nicht erwarten

Erst wenn sich am 19. Mai Robert Fripp, Adrian Belew, Pat Mastelotto und Trey Gunn in Nashville treffen, um in Beiews Studio die anstehende Europa-Tournee vorzubereiten, wird sich wohl auch die Frage klären, die ratlose Crimson-Fans in den vergangenen Monaten immer wieder an die Webmaster der virtuellen Fanclubs (äußerst empfehlenswert: www.elephant-talk.com) gemailt haben: Werden King Crimson, nun – da sie wieder unter dem alten Namen fungieren – etwa auch verschollene Klassiker wie „21st Century Schizoid Man“ spielen?

Selbst der Mann, der es eigentlich wissen sollte, wäscht im Interview seine Hände in nichtsahnender Unschuld: „Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie wir das Programm aufbauen. Zum Beispiel könnte Adrian Belew mit seinen Songs und einer Akustikgitarre unsere Vor-Band sein wenn er denn möchte! Oder wenn Robert möchte, könnte er mit seinen Soundscapes das Vorprogramm bestreiten. Nur eines weiß ich: Nostalgie ist nicht sehr motivierend.“

Wir werden uns also wieder einmal überraschen lassen müssen, was „Robert wirklich möchte“. Als einziges konstantes Mitglied ständig wechselnder King-Crimson-Besetzungen hat Fripp es immer wieder geschafft, Erwartungshaltungen zu düpieren, Musik zu sezieren, um dann das Mosaik neu zusammenzusetzen. Musik zu beschreiben ist dagegen überhaupt nicht sein Metier. Missgelaunt hat er ausgerechnet, dass er seit 1969 schon mehr Zeit mit dem sinnlosen Sprechen über Musik als mit dem tatsächlichen Spielen verbracht hat. Doch trotz des schnöden Redens lagern in seinen Archiven tonnenweise Bänder von Live- und Proben-Mitschnitten, die er nach und nach kommentarlos unter die eingeschworene Fan-Gemeinde wirft. „The ConstruKCtion Of Light“ indes, das neue Crimson-Album, wirft doch einige Fragen auf, die nach Beantwortung schreien:

In der Information zum neuen Album schreibst du: „King Crimson erfinden ihr Rad neu.“ Was heißt das?

Jedesmal, wenn King Crimson zusammenkommen, um ein neues Projekt in Angriff zu nehmen, beginnen wir praktisch in einem Vakuum. Es ist wie der Blick auf eine leere Leinwand.

Das Bild ist da und wartet auf dich bis du es entdeckst. Du musst die passenden Farben beschaffen, einen Pinsel dazu und es dann malen.

Und genau so ist es mit King Crimson: Diese vier Männer treffen sich, um King Crimson auf seine nächste Stufe zu hieven. Also, was sollen wir tun? Wir haben ein Album zu machen. Da stehen wir also. Wir greifen zum Pinsel, bringen etwas auf die Leinwand, treten einen Schritt zurück – und was haben wir da? Ein Rad! Und tatsächlich, es ist ein King Crimson-Rad.

Nun denkst du dir: Weil es ein Rad ist und weil es das King Crimson-Rad ist, sollte es auch ziemlich leicht sein, den groben Entwurf mit Leben zu füllen. Ist es aber nicht. Es ist jedesmal so schwierig wie das Mal davor.

Die Band hat sich in den letzten Jahren in vier unabhängige „ProjeKCts“ aufgespalten; es gab „Double Trios“ – und die momente Vier-Mann-Besetzungläuft auch als „Double Duo“. Aufweiche Weise hat diese „FraKCtalisation“ die neuen King Crimson beeinflusst?

Sie hat alles gründlich durcheinandergeschüttelt – die Erwartungen und festgefahrenenen Ideen, wie und was King Crimson einmal war oder sein sollte. Man könnte sagen, dass konkrete musikalische Ideen im Rahmen der ProjeKCts entwickelt und getestet wurden. Aber primär ging es darum, Erwartungen ad absurdum zu fuhren.

Man kann auf dem neuen Album die Echos der verschiedenen KC-Perioden heraushören. Das Titelstück z- B. erinnert an die King Crimson der Achtziger.

Weil dieses musikalische Vokabular seit der Zeit in den frühen Achtzigern nicht weiterentwickelt wurde. Andere Rockbands haben die Ideen nicht aufgegriffen. Und weil dem so ist, bleibt es frei und für King Crimson verfügbar.

Das neue Album wird zwar noch von Majors vertrieben (in Deutschland: Virgin), trotzdem hast du dich mit deinem Label „Discipline Global Mobile“ eigentlich längst von der Industrie losgesagt. Wie passt das zusammen?

Marketing im herkömmlichen Stil macht eigentlich nur für die etablierten Gruppen noch einen Sinn. Die einzige Alternative für mich war die Gründung eines eigenen Labels. Junge Musiker sagen mir oft: .Ich hab keinen Bock auf eine eigene Firma‘, worauf ich erwidere, dass ich das nur allzu gut verstehe. Ich hasse die geschäftlichen Dinge ja selbst. Andererseits kann jeder, der zehn Cassetten oder 500 CDs produziert und auf seinen Konzerten verkauft, sein eigenes Label haben.

Mir persönlich war es nicht mehr möglich, im alten Stil mit der Musikindustrie zusammenzuarbeiten – allein wegen der Tatsache, dass ich die Rechte an meiner Musik dann an Dritte abtrete. Ich habe meine Musik immer als mein Eigentum verstanden. Nein, die Musikindustrie erinnert mich immer noch an die Sklaverei: ,Wir geben euch täglich zwei Mahlzeiten und schlagen euch nur Sonntags!* Mainstream-Musiker, die sich in diese Abhängigkeit begeben haben, sind in meinen Augen moderne Sklaven.

Nun giltst du aber selbst nicht als Prototyp des demokratischen Bandleaders.

King Crimson ist keine Demokratie, aber auch nicht undemokratisch. Ich bin nicht der klassische Bandleader, auch wenn ich einige der Funktionen ausübe, die üblicherweise ein Bandleader erfüllt. King Crimson ist ein komisches Biest – und keine Organisationsform, Arbeitsweise oder sonstige Beschreibung lässt sich so einfach auf King Crimson anwenden.

Die gegenwärtige King Crimson-Formation ist wiederverbunden mit ihrer Rock-Tradition. Der Charakter jeder Band wird in erster Linie durch ihren Schlagzeuger bestimmt. Und Bill Bruford hat sich während 30 Jahren zunehmend auf den Jazz zubewegt, ohne dort jemals wirklich anzukommen. Mit Pat Mastelotto ist jetzt ein exzellenter Rock-Drummer bei King Crimson, der sich sehr um neue Technologien bemüht – aber im essenziellen Geist der Rocktradition. Pat findet Akzente und Platzierungen für Beats, die mindestens so ungewöhnlich sind wie die von Bill. Aber sie sind immer ein integraler Bestandteil von Rockmusik. Gleichzeitig ist es für seine Mitspieler schwierig, sich darauf einzustellen. Zu einem gewissen Grad kenne ich nämlich Bills Denken; Pats Denken kenne ich noch nicht so gut. Und wenn man nicht sein eigenes Zeit-, Raum und Bewegungsgefühl durch den Takt beibehält, fällt alles schnell auseinander. Also, es wird live schon höchst interessant werden.

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