Dem Dichter über die Schulter geschaut

Zahnschmerz und Grippe würden m den Künstler plagen, informiert m ein Sprecher der „Schule für Dichtung“ – und schiebt vorsichtshalber nach, daß die Verspätung keineswegs auf Star-Allüren zurückzuführen sei.

Die Vorsichtsmaßnahme erweist sich als überflüssig: Die 700 Neugierigen, die sich in der Wiener Akademie der Bildenden Künste für Caves Einführungsvortrag „The flesh-made Word“ eingefunden haben, sind nicht Menschen, die auf Krawall gebürstet sind. Zudem dürfen sie ja Cave-Musik vom Band hören: „Better The Devil bu Know“ mit Kylie Minogue, „Rivers Of Babylon“ von Boney M, JPerfect Day“ von Lou Reed, dann „Far From Me“ von Caves letztem Album – eine unorthodoxe Ouvertüre, vom Meister eigens für den Anlaß zusammengestellt Plötzlich, mitten im Song, Applaus: Cave, durch eine dunkle Sonnenbrille geschützt, betritt unsicheren Fußes den Saal und begibt sich zum Lesepult. Daß er physisch indisponiert ist, bleibt keinem verborgen; daß er dennoch 40 Minuten lang konzentriert ein literarisches Manifest präsentiert, wird mit ebenso uneingeschränktem Respekt registriert. Würde er noch auf das nervöse Hantieren mit der Zigarette verzichten, könnte der asketische Cave glatt als hauptberuflicher Literaturprofessor durchgehen.

Dabei ist es genau das, was er „auf keinen Fall“ wollte. „Ich habe eine präzise Erinnerung daran, wie ich als zwölfjähriger Knirps im Klassenzimmer saß und meinen Vater beobachtete, der da stand, wo ich nun stehe, und wie ich finster entschlossen schwor: ,Egal, was ich mit meinem Leben anstelle – als Lehrer werd ich definitiv nicht enden.‘ So zu werden wie mein Vater, war mit Zwölf gänzlich undenkbar; mit 40 sieht es nun so aus, als könne ich buchstäblich nichts tun, das mich nicht zum Ebenbild meines Vaters macht.“

Er erzählt von der tiefen Wunde, die der Tod des Vaters hinterlassen habe.

19 Jahre alt sei er damals gewesen, und der Schock durch den plötzlichen Unfalltod habe ihn geradezu paralysiert. Erst langsam sei es ihm gelungen, das dunkle Kapitel aufzuarbeiten – wobei ihm das Schreiben immens geholfen habe. Letztlich sei das tragische Erlebnis die Triebfeder gewesen, Poet und Songschreiber werden zu wollen.

Das „Hohelied Salomos“ aus Caves Lieblingslektüre, dem Alten Testament, wird ab ein weiterer formender Faktor gewürdigt, ebenso der spanische Nationaldichter Federico Garcia Lorca und seine Sprache des „Saudade“ und „Duende“: Die Begriffe würden Melancholie und eine „nicht erklärbare Traurigkeit“ umschreiben – ein Gefühl, das auch in vielen seiner eigenen Songs Niederschlag finde.

„Der spirituelle Sinn meines Lebens ist das Schreiben“, bekannte Cave bereits vor zwei Jahren in einem Gespräch mit dem ROLLING STONE. Sätze wie „Das Schreiben eröffnete mir einen direkten Zugang zu meiner Inspiration und letztlich zu Gott. Ich fand durch den Gebrauch der Sprache, daß ich Gott ins Sein schrieb“ oder „Die Sprache wurde zur Decke, die ich über den unsichtbaren Menschen warf, um ihm so Gestalt und Form zu geben“ dokumentieren seine poetischen Positionen – und erklären vielleicht auch, warum er den Lehrauftrag an der „Schule für Dichtung“ annahm.

Die SfD ist ein autonom verwaltetes Institut, das sich inhaltlich und formal an der amerikanischen Jack-Keruac-School of Disembodied Poetics“ orientiert. Kein Wunder, daß Ober-Beatnik Allen Ginsberg als einer der ersten dichtenden Gastdozenten nach Wien geladen wurde. Die Lehrkräfte werden über ein multinationales Netzwerk rekrutiert, dem namhafte Dichterfürsten wie Ernst Jandl, Gerhard Rühm oder Gabriel Garcia Marquez angeschlossen sind. Sechs Unterrichtseinheiten ä zwei Stunden sind die Basis der Klassen; Performances und Symposien kommen begleitend hinzu.

Zurück zu Cave, der derweil die Songs der musikalischen Ouvertüre einer poetischen Analyse unterwirft. Sie seien gelungene Beispiele für das Genre des Lovesongs als „das eigentliche Herz meiner kreativen Suche“. Er knüft sich jeden Vers vor und analysiert die texdiche Aussage mit hermeneutischer Unerbittlichkeit. Wer von uns poetischen Banausen hätte sonst je erahnt, welche sprachlichen Nuancen sich hinter einem scheinbar vordergründigen Popsong wie „Better The Devil You Know“ wirklich verbergen? Keine Aha-Erlebnisse indes gibt’s, als Cave seine seelenverwandten Dichterkollegen nennt: Cohen, Waits, Ybung und Dylan natürlich, unter den jüngeren PJ Harvey und die Tindersticks.

Auch der Name Blixa Bargeld fällt. Caves Langzeitpartner, vor zwei Jahren selbst in Wien zu Gast, war es nämlich, der Cave als Dozenten vorschlug. Anfangliche Bedenken, Caves Honorarforderungen könnten zu hoch sein, bestätigten sich nicht: Er akzeptierte das nicht gerade üppige Salär ohne Murren. „Es ist eine Herausforderung, eigene Erfahrungen weiterzugeben“, weiß der frischgebackene Lehrbeauftragte, stellt aber gleich klar, daß ihm der Dialog wichtiger sei als monologisierendes Lehren. Damit das Resultat des Seminars präsentabel ist, hat Cave den 12 handverlesenen Eleven individuelle Sparringsrunden angeboten. „Es ist toll, wie selbstlos sich Nick engagiert“, schwärmt denn auch Augusta Förster. Die 30jährige mit abgeschlossenem Klavierstudium hatte sich vor allem deshalb beworben, „weil ich neugierig auf einen Lehrer war, der selbst Erfolg hat“.

Die Früchte der praxisnahen Arbeit sind zum Abschluß des Projektes von der öffendichkeit zu bewundern. Das Akademietheater, eine Dependance des Wiener Burgtheaters, ist ausverkauft, als die hoffnungsvollen Kandidaten die Bühne betreten. Cave hämmert eine simple Akkordfolge in die Tasten. „One, two three, four“, zählt er, einen überdimensionalen roten Taktstock in der Hand, und es wird ernst: Jeweils ein Paar greift sich das Mikro und präsentiert die poetischen Resultate der letzten Tage. Auch wenn die eine oder andere Stimme arg dünn ist, auch wenn naturgemäß jede Bühnenroutine fehlt, gibt’s freundlichen Beifall. Als der gemeinsame Song mit sechs Strophen zu Ende geht, sind aber doch alle froh, daß die Kuh vom Eis und die Nummer über die Bühne ist Die Uhr zeigt Eins, als sich der „Chorleiter“ in glänzender Laune erneut an den Bösendorfer setzt. „Ich soll noch ein paar Songs spielen.“ Aber bitte! Es folgt ein traumhaftes Set Cave’scher Poetik-Perlen, das von einer Gedichtrezitation abgerundet wird. Zurück in der frischen Wiener Nachtluft fragt keiner mehr, ob Cave nun als Musiker oder Dichter überzeugender ist.

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