Den Unbeugsamen ein Denkmal

In "Die Stille nach dem Schuss" hat Volker Schlöndorff mit einem Seufzer dem Spießerleben von RAF-Aussteigern in der DDR nachgespürt

Wie möchstest du jetzt heißen? Und wann möchtest du Geburtstag haben?“ Die junge Frau kichert irritiert, aber der Fragesteller blickt sie mit mildem Ernst an. Sie bekomme eine neue Legende. „Es ist dein falsches Leben“, erklärt der Stasi-Offizier, „das künftig dein richtiges sein wird.“

Mit „Die Stille nach dem Schuss“ erzählt Volker Schlöndorff von der Tatsache, dass seit Anfang der Achtziger, so Schlöndorff, „eine Handvoll Terroristen in der DDR nicht nur untergetaucht war, sondern von der Stasi aufgenommen worden ist, ausgestattet mit neuen Namen und Pässen und falschen Biografien“. Seit nach dem Mauerfall diese bizarre Kollaboration der DDR mit jenen RAF-Aussteigern bekannt geworden ist, hat Schlöndorf dieses Thema fasziniert. „Ich dachte, „,sagt Schlöndorff, „das geht doch nicht zusammen, der Stasi-Staat und diese eigentlich anarchistischen Temperamente.“

Um dies zu klären, recherchierte der Regisseur mit dem ostdeutschen Drehbuchschreiber Wolfgang Kohlhaase die Biografien einiger dieser Leute nach, sprach mit ihnen gar im Gefängnis, darunter mit Inge Viett. Und während man glaubt, das Leben im spießigen Arbeiter- und Bauern-Staat müsse für jene eine härtere Strafe gewesen sein als Isolationshaft in Stammheim, stieß Schlöndorff „auf das Paradox, dass sich manche dort sehr wohl gefühlt und ihr Ideal gerettet haben, indem sie im besseren Teil von Deutschland am Aufbau des Sozialismus mitarbeiten wollten“.

„Alles ist so gewesen. Nichts war genau so“, liest man nun im Abspann des Films, der noch vor der ersten Aufführung im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale seinen ersten Eklat hatte. Obwohl die Hauptfigur Rita Vogt, dargestellt von der Kinodebütantin Bibiana Beglau, ein Destillat aus mehreren Lebensläufen ist, sind die Parallelen zur Viett unübersehbar, etwa bei der Begebenheit, als Vogt/Viett aus Panik einen Pariser Polizisten erschießt. Weil Viett das „effekdiascherische und entpolitisierte“ Drehbuch missfiel und sie auch den Film nicht autorisiert habe, wollte sie Schlöndorff wegen „nicht honorierten Lebensdiebstahls“ verklagen.

Rita Vogts Terroristenleben beginnt in den „heiteren Jahren“, wie sie bei einem Banküberfall aus dem Off erklärt. Das war die Zeit „der ,Haschrebellen‘ und ,Stadtguerilla‘, sagt Schlöndorff. „Anarchisten, die mit dem gestohlenen Geld einen Kinderladen finanzieren, keine Weltrevolution starten wollten.“ Den bewaffneten Kampf, also die ganzen 70er Jahre, in denen Schlöndorff als „engagierter Linker“ mit anderen Intellektuellen und „unserer Leitfigur Heinrich Böll“ versucht hatte, „die jungen Leute nicht ganz auszugrenzen“, handelt der Film nebenbei ab mit Bildern aus dem Libanon und abgedroschener Rhetorik. So wird viel Wissen vorausgesetzt, bleiben die Utopien dieser streibaren Generation, also auch Ritas Motivation undeutlich. Sie sei „verknallt gewesen“ in einen der Terroristen, sagt sie – und Ritas Romantik ist auch die von Schlöndorff: „Natürlich ist das diese Robin-Hood-Romantik, der Weltverbesserungsgedanke – ohne dass ich damit Gewalt und Mord rechtfertigen will. Und Ritas Idealismus in der DDR-Diktatur ist auch eine unglaubliche Geschichtsblindheit“

Sie arbeitet im VEB Modedruck und scheint mit optimistischen Lächeln so angestrengt vom Sozialismus zu träumen, dass ihr der Film keinen Moment der Sehnsucht, des Zweifels gönnt In authentischer Kulisse hat Schlöndorff einen lakonischen und auch komischen Film inszeniert, der zum Song „Street Fighting Man“ der Rolling Stones etwas platt meint: Anarchie war Rock’n’Roll, die DDR eine Selbstlüge. So stirbt Rita an einer Straßensperre der Volkspolizei den Märtyrertod.

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