Der bayerische Hammerwerfer

Ist er nur ein Bayerischer Querkopf oder doch Deutschlands kompromisslosester Rebell? Fakt ist: Kaum ein Musiker polarisiert so wie Hans Söllner. Und keiner hat sich so oft mit der Staatsmacht angelegt wie der Mann aus Reichenhall. Was auf Dauer ziemlich teuer wurde. Dock klein beigeben ist Söllners Sache nicht.

Eigentlich gibt Hans Söllner keine Interviews. Ist ihm die Zeit zu schade, die er statt dessen an der Isar verbringen könnte – etwa um „einem Baum beim Wachsen zuzuschauen“? Aber dann sitzt der 49-Jährige doch auf einer Bierbank im Innenhof seiner Giesinger Plattenfirma Trikont, einen Milchkaffee auf dem Tisch, einen halbgerauchten Joint im Mundwinkel. Vor dem Eingang steht sein weißes Mercedes-Coupe: Kennzeichen Berchtesgadener Land, ein grün-rot-gelber Steinbockaufkleber auf dem Heck. „Jeder Polizist zwischen Reichenhall und München weiß, dass ich das bin. Und dass sie bei mir was finden können. Aber sie haben es aufgegeben, mich zu kontrollieren – weil mich die Strafen mittlerweile nicht mehr berühren“. Söllner erzählt das ganz beiläufig. Trotzdem geht eine Spannung von ihm aus. Wirken die Blicke aus seinem scharfgeschnittenen, wettergegerbten Gesicht wie Schneidbrenner. „Ich habe früher versucht, das System mit Prozessen in die Knie zu zwingen – für die Legalisierung von Marihuana, für die freie Ausübung der Rastafari-Religion, für das Recht eine Drecksau auch so zu nennen. Genützt hat das nichts. Ich habe einfach nur viel Geld gezahlt. Und mich selbst vom Leben abgehalten“. Mittlerweile stehe er schon in den Gesetzbüchern drin, würden Jurastudenten die Leitsprüche aus seinen Prozessen lernen. Aber war es wirklich das, was er wollte?

Eine ältere Anwohnerin kommt mit einem Söllner-Bildband angetrippelt: „Kannst du das unterschreiben für einen großen Fan von dir?“ In dem grün umrankten Hinterhof-Biergarten gehört der Hans fast schon zum Stammpersonal und per Du sind seine Fans sowieso mit ihm. In dem gebückten, schuppenartigen Anbau hat er eine Wohnung – sein Refugium, wenn er es zwischen zwei Konzerten nicht heim nach Reichenhall schafft. Gerade kommt er von einem Festival auf der Ostseeinsel Fehmarn. Wie leicht Söllners bayerisch gesungene Songs alle Sprachbarrieren nehmen, wie viel er allein mit seiner Haltung transportiert, das verblüfft auch seinen Freund und Plattenboss Achim Bergmann immer wieder. „Man kann die krassen Texte vom Hans nur vor seiner Geschichte verstehen“, sagt Bergmann. Und bezeichnet Söllners anarchische Lust am selbstbestimmten Leben, seine Obrigkeits-Verachtung – CSU-Mehrheiten hin oder her – als Bestandteil einer zutiefst bayerischen Gegenkultur.

Keine Frage: Der ‚wuide Hund von Reichenhall‘ verkörpert ein subversives Gedankengut, das überall in ländlichen Jugendzentren, Dörfern und städtischen Quartieren wuchert. Ob Landhippies oder Lokalpatrioten, Schüler oder Handwerker, Punks oder Rocker, Zündapp- oder Harleyfahrer: Alle finden sie bei ihm ihre Geschichten wieder. Für den deutschsprachigen Süden ist Hans Söllner damit so etwas wie Willie Nelson für den amerikanischen: ein langhaariger Kiffer mit Sinn für die Metaphysik der Underdogs. Kein Wunder also, dass ein verschworener Untergrund ihm lauscht wie einem Evangelisten. Von jeder Platte setzt Hans Söllner hier bis zu 100.000 Stück um – nur sogenannte Volksmusiker verkaufen mehr. Damit zeichnet Söllner nicht zuletzt für den Hauptumsatz seiner Plattenfirma Trikont verantwortlich; Die einst im Geist der Arbeiter-Internationale gegründete, erste Independent-Plattenfirma Deutschlands lieferte seiner Kunst den ideologischen Unterbau. Übersetzte seine Songs auch für ein uneingeweihtes Publikum. Sein Erfolg wiederum ermöglichte den Münchner Verlegern, andere widerständige regionale Phänomene von Cajun bis afrikanischem Rap, von bayerischer Volksmusik bis zu Wiener Schrammein aufzugreifen und vielen jüngeren Rebellen des deutschen Pop – von Rocko Schamoni über Bernadette La Hengst bis Lydia Daher – eine Heimat zu geben.

Doch niemand von ihnen vermag so zu polarisieren wie Hans Söllner: Radiosender setzen seine Songs entweder auf den Polit- oder Kraftausdrucks-Index, Feuilletons interessieren sich bestenfalls für seine Beleidigungsprozesse und die Musikblätter der städtischen Intelligenz meiden ihn wie einen peinlichen Landbruder. Dennoch sind Söllners Auftritte meist Wochen im voraus ausverkauft. Eine bisweilen urkomische Sponti-Show ging da nahtlos in handfeste Politikerschmähungen über – zumindest bis der damalige Innenminister Beckstein Hans Söllner 2003 wegen Beleidigung verklagen ließ. Der inkriminierte Songtext: „Früher ham’s Hitler ghoaßn und Himmler, wißt’s es no, hei’t hoaßns Beckstein und Haider. Früher warn’s de Jud’n, Heit de Türk’n… ihr schürt’s den Hass von Millionen und suachts für eure Fehler Leit’…“. Söllners Verteidigung, er habe den Stammtisch-Agitator Hitler vor dessen Machtergreifung gemeint, nützte ihm nichts: Er wurde nach drei Prozessen verurteilt, hat sechsstellige Anwaltskosten auflaufen. Drei Jahre später kamen Polizeiermittler in das Trikont-Büro und beschlagnahmten T-Shirts, die mit einem Söllner-Text bedruckt waren: „Blair, Bush, Hitler – international“. Als Aushängeschild einer Bewegung aber sieht sich Söllner nicht. Vielmehr geht ihm die allzu unkritische Verehrung seiner Person gegen den Strich: „Bist du der Einheizer vom Moik?“ fährt er bei einem Konzert einen penetranten Mitklatscher in der ersten Reihe an. Auch wenn der Sänger das „Menschenrecht auf Gemeinheit“ hemmungslos auslebt: Er ist kein Populist. Gerade hat er sich – zum Entsetzen so mancher Fans – seine Rastalocken abrasiert. Hans Söllner bezeichnet es als Endpunkt einer langen Entwicklung: „Ich muss nichts mehr spielen. Ich muss nirgendwo mehr dazugehören“. Irgendwann habe seine Familie unter seiner Rechthaberei gelitten, habe er gekämpft und gekämpft, alles für eine Freiheit geopfert, „die nichts wert ist, wenn du bei der ganzen Streiterei das Lieben verlernst“. Endlich, sagt Hans Söllner, und lacht sein ansteckendes Lachen, sei er daheim angekommen. Als Ehemann, Vater einer zweijährigen Tochter, Mensch. „Da zählen Äußerlichkeiten nichts mehr. Jetzt bin ich nur noch mein eigener Rebell. Alles was ich mache, mache ich für mich.“

Schon immer hat sich Söllner dem verweigert, was im Volksmund unter der euphemistischen Bezeichung ‚geregelte Beschäftigung‘ läuft: Nach festgelegten Uhrzeiten und ferngesteuerten Rhythmen arbeiten, den Feierabend in der Bierschwemme oder im Fitness-Studio verbringen und am Wochenende das Innenleben per Bungee-Springen regulieren? „Und so vergeht dei ganze Woch“, höhnt Söllner in einem Song, „so vergeht dei ganze Zeit / und da hab i a bissl mehra davon wia du / dafür host du a mehra Göid“. Das ist der rote Faden im Leben des Liedermachers. Wenn es darauf ankommt, wechselt er lieber den Job, als sich für andere zu verbiegen.

Als geächteter ‚Glasscherbenhäusler‘ in Weißbach bei Berchtesgaden aufgewachsen, sprechen Söllners Voraussetzungen eigentlich für eine durchschnittliche Dörfler-Existenz: Der Bauarbeitersohn schuhplattelt im örtlichen Trachtenverein, geht sonntags mit den Eltern zur Kirche. Nach der Volksschule absolviert er eine Lehre als Koch, später lernt er auch noch Automechaniker. Beides mit Erfolg. Musik spielt nur eine Rolle, wenn er mit seinem Akkordeon den Vater bei der Stubn-Musi begleitet. Oder „zu Christian Anders‘ Schlager ,Du-hu-hu-hu…‘ engumschlungen und mit rotem Kopf mit irgendeiner in der Bauerndisco tanzt“. Auffällig wird er erst, als er während seiner Berufsschulzeit in der Liederbühne Robinson für 40 Mark pro Abend selbstverfasste Lieder vorträgt. Selten hören mehr als ein paar Dutzend Hartgesottene zu. Kurzzeitig schließt sich Söllner der Hausbesetzerszene in München an. Hier, im Umfeld eines jugendlich radikalen Aktionismus, entfalten seine anarchistischen Lieder und Texte die ihnen eigene Aktualität.

Doch die Weißbacher Heimat lässt den ‚verlorenen Sohn‘ nicht los: Mehr noch als das, was Söllner sagt, zählt die Art, wie er es sagt. Sein Sprachrhythmus, seine Lebensauffassung schöpfen tief aus der Gesprächs- und Streitkultur heimischer Wirtshäuser und Bierzelte. Seine als Literatur oft banal wirkenden Texte greifen hier in beinahe körperlich spürbarer Weise. Zersetzen die Bewusstlosigkeit des Alltags, untergraben automatisiertes Obrigkeitsdenken, entlarven Politikergeschwätz. Söllners Sprache kann auf der Bühne einseitig, polemisch und ordinär wirken. Aber sind seine Songs deswegen grobschlächtige Binsenweisheiten? Wer so fragt, hört nicht „das feine Singen der Axt“.

Auf seinem 2007er-Album „Viet Nam“ zeigt sich der Liedermacher differenzierter als je zuvor. Was als ‚Bayerman-Vibration‘ und Dorfreggae-Verschnitt begann, hat zwischenzeitlich zu einer höchst originellen Form gefunden. „A bisserl Blues, a bisserl Marley, a bisserl Dylan….“, sagt Söllner. Deutschen Reggae? Höre er nicht. Die Toten Hosen? Er kennt gerade einen Song von ihnen… Vielleicht hat Jochen Distelmeyer von Blumfeld den Reichenhaller zu Recht als einzigen bezeichnet, der in Deutschland eigenständigen Reggae macht. Das bezieht sich auch auf die Texte. Früher, sehr viel früher dominierten da mal Marihuana-Bäume und depperte Polizisten. Inzwischen hat Söllner zu sehr komplexen, gar zärtlichen Gefühlen gefunden: „I hob so lang aufd Seitn gschaut / und i hob so lang nix gsäng / und i hob ned gmerkt, dass du bloss a bisserl Liebe von mir woitst / geh her zu mir, i gib da’s doch so gern.“

Im Live-Konzert aber gibt der „Marihuana-Baum“ nach wie vor den Publikumsschlager. Söllner sagt, er wolle nun wirklich niemanden zum Rauschgift-Konsum anstiften. Aber er könne auch nicht tatenlos zusehen wie ein Teil der Jugend kriminalisiert würde: „Marihuana ist doch nur ein Vorwand“, erregt sich Söllner und das bayerische Temperament geht jetzt mit ihm durch, „um die, die so sind wie ich, zu schikanieren. Jeder weiß doch, wie die Polizisten nach jedem meiner Konzerte 12- und 14-Jährige zwingen, sich nackert auszuziehen, dass sie ihnen in den Arsch schauen, Speichelproben abnehmen und sie katalogisieren“. Es sind solche obrigkeitsstaatlichen Methoden, die immer noch Söllners Urzorn erregen und heftig-polternde Wort-Salven provozieren: „Meine Söhne müssen den Nachnamen Söllner bei jeder Polizeikontrolle bezahlen. Und warum landen Fans mit „Marihuana Import-Export“-T-Shirt auf der Polizeiwache, während andere ungestraft Schwänze, Muschis und Fuck-Sprüche auf ihrer Brust spazierentragen dürfen?“

Söllners Schulterschluss mit den gesellschaftlichen Verlierern schließt das Anrempeln der Realitätsflüchtigen stets mit ein: Die Selbstmitleidigen beschwört er, die Finger von Drogen zu lassen, und allzu einfach gestrickte „Hau-Draufs“ stellt er regelmäßig bloß. Natürlich würden manche seinen Hass falsch interpretieren und glauben, sie könnten ihre „Scheiße im Hirn“ gegen Ausländer oder Schwule ausleben. Doch Söllner arbeitet damit, dass sie sich schämen, wenn er sie erwischt. Was er kann, ist polarisieren; und die Wut von den volkstümlichen Sündenböcken auf die verantwortlichen Politiker umlenken. Vor einigen tausend Bierzeltbesuchern in Bad Reichenhall – darunter Republikaner, Rocker, Randalierer – eröffnet er mit „He, wos is: He Türke, sitz di her zu mir, mir scheißn auf das braune Pack / und wenn mei Freind a Griech is, dann kriach i mit eam umanand / bevor i mit dia aufrecht geh fürs deutsche Vaterland . . .“ Im selben Atemzug behauptet Söllner stolz darauf zu sein, ein Bayer zu sein, was heißt, nicht stolz darauf zu sein, ein Deutscher zu sein. Das Positive am Bayerischen ist bei ihm jedoch nur als menschliche Leistung zu haben und nicht als bequeme Herkunftsidentität. Er bindet seine Fans in einen lokalpatriotischen Kontext ein, zieht sie fast unbemerkt auf seine Seite: „Mia und die andern, die ham si scho oiwei guad verdrogn …“

Nicht von ungefähr behauptet Söllners Verleger Achim Bergmann, der Liedermacher habe in Bayern „mehr gegen den Faschismus getan als alle SPD- und Gewerkschafts-Ortsverbände zusammen“. Stets bewirkten die von Politikern gegen ihn angestrengten Klagen einen Solidarisierungsprozess von unten. Und das quer durch alle Lager. Auf seine Weise zeigt Söllner, dass sich die ungerichtete Wut der Sprachlosen auch unter antiautoritären Vorzeichen bündeln läßt. „Und wenn neben dir ein Nazi sitzt / dann sprich ihn einfach an / und überzeug ihn, dass er falsch liegt / sonst bist du so wie die da droben …“ Manchmal schwingt auch so etwas wie valentineske Komik mit, wenn er etwa den „einfachen Leuten“, rät, selbstbewusst abzuwarten und ihren Wissensverwaltern droht: „Irgendwann gibt’s nur noch Blede auf der Welt / und dann bist du eine Minderheit… / und keiner fragt dich mehr um Rat / weil ein Bieder einfach das tut, was er gern mag …“

Wobei die „Bleden“ im Bayerischen nicht unbedingt mit den Ungebildeten gleichzusetzen sind. Söllner spielt vielmehr auf diejenigen an, die jedes Vertrauen in die Mächtigen verloren haben: Ihnen lebt er als extremes Subjekt eine Form von Widerstand vor. Demonstriert er, wie man als „Bleder“ seine Würde behalten kann. Vielleicht macht das sein Charisma aus. Da umringen ihn selbst in München, wo er auch hingeht, Gruppen von Jugendlichen. Meistens wollen sie gar keine Autogramme. Ein verschworenes Kopfnicken, das Gefühl, dazuzugehören, zählt viel mehr. Was Hans Söllner ihnen vorlebt – nicht Mitmachen, Arbeitstempo, Auftreten und Sprache selbst zu bestimmen – ist ihr Traum. Schüler, Lehrlinge, Arbeiter, die sich Söllners Songs wie Joints reinziehen, ihn als „amtierenden Weltmeister im Hammerwerfen“ bewundern: „Mei Großvater war arbeitslos, mei Vater war arbeitslos und mir hams oiwei gsagt: Bua, wennsd an Hammer siagst, dann schmeißtn möglichst weit weg!“

Wer die Zeit auf seiner Seite hat, muss sich nicht mehr fürchten, das versucht er seinen Fans zu vermitteln. „Dass sie mal den Wahnsinn überhaupt erkennen: 20 Sekunden Clip hier, fünf Minuten Mikrowelle da, alles auf zackzackzack, keine langen Blenden mehr“. Über dem Vorhaben, einen neuen Strauch in sein Glashaus zu pflanzen, lässt er einen geschlagenen Tag verrinnen: „Morgens muss ich mich erst mal seelisch mit dem Gedanken anfreunden, ein Loch zu graben“, sagt er. „Da trink ich a Tass Kaffee. Wenn ich’s ausghobn hob, trink ich no a Tass. Den Strauch stell ich erstamoi nebens Loch, damit ersieh dran gwöhnen kann … So hauruck machen des bloß die Städter, und bei dene wachst ja a nix. Dann gibt’s wieder an Kaffee. Ob dem Strauch des Loch passt oder ned, kannst sehn. Wenn er die Blätschn recht hängen lasst, dann passt’s eahm ned, und i muaß a neues grobn …“

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