Gigs, Gras & Golf

DAS DING IST GLEICH startklar“, sagt er und fixiert den kleinen Marihuana-Vaporisierer, der auf dem Küchentisch seines Tourbusses steht. Es ist ein glühend heißer Sommertag in New Jersey – und Willie Nelson wartet geduldig auf das Signal, dass der Inhalierer die Mindesttemperatur erreicht hat. „Gleich wird das Lämpchen auf Grün springen.“ Doch kaum hat er die ersten Züge genommen, gibt das Gerät aus unerfindlichen Gründen seinen Geist auf. Alles kein Problem. In Willies Bus gibt’s für solche Fälle immer eine Lösung. „Wir sollten hier doch noch etwas haben“, sagt er. „Oh ja, ich weiß, wo er ist.“

Er kramt im Bus herum und kommt mit einem „Volcano“ zurück – einem Luxus-Vaporisierer, der die THC-haltige Luft in einen überdimensionalen Ballon pumpt. Mit einem Mundstück kann man dann das verdampfte, aber angenehm kühle Harz inhalieren. Willie kaufte sich das Gerät („600 Dollar!“), nachdem es ihm sein Kumpel Woody Harrelson wärmstens empfohlen hatte. Er stellt es auf den Tisch und öffnet eine antike Lunchbox, aus der uns ein ganzes Bündel grüner, glänzender Marihuana-Knospen anlacht. Für die kleine Mahlzeit zwischendurch gibt’s auch gleich ein paar fertig gerollte Joints. „Schauen Sie sich das an“, sagt er mit glänzenden Augen, als sich der Ballon immer mehr aufbläst. Erst in letzter Sekunde, als der Ballon fast zu platzen scheint, schaltet er das Gerät wieder ab. „Immer muss er’s übertreiben“, sagt seine Frau Annie und rollt mit den Augen, während sie uns einen eisgekühlten Tee serviert. „So bin ich nun mal“, sagt Willie grinsend. „Das sind die Eigenheiten, an die man sich bei mir gewöhnen muss.“

Es ist ein ganz normaler Tag im „Honeysuckle Rose“, Willies Tourbus seit 35 Jahren. Der Bus parkt vor einem Vier-Sterne-Hotel, aber wie immer hat Willie im Bus übernachtet. Um zwei Uhr nachmittags wankt er in einem zerknitterten schwarzen T-Shirt aus seinem Schlafzimmer, das lange Haar ungekämmt, und schlüpft in seine australischen „Ugg“-Slipper. (Es ist eigentlich ein Damen-Schuh, aber seine Frau behauptet, dieses Modell sei deutlich komfortabler.) Seine Gesichtszüge sind von Falten durchzogen, die Augen müde und verschwommen. Kein Wunder: Er ist mitten auf einer aufreibenden East-Coast-Tour -15 Shows in 16 Tagen. Was für Nelson aber fast schon wieder normal ist: Seinen hohem Alter zum Trotz (Nelson feierte Ende April seinen 80. Geburtstag.) verbringt er noch immer jährlich mindestens 200 Tage auf Achse, zusammen mit der Band, mit der er seit 1973 unterwegs ist, und reichert dabei sein Repertoire mit den 20 Nummer-eins-Country-Hits an, die er im Laufe der Zeit verbuchen konnte. Im vergangenen Jahr hat er zudem zwei Alben veröffentlicht -zum Teil mit eigenem Material, zum Teil mit Coverversionen, die von Pearl Jam bis Coldplay reichen – und sein viertes Buch, das den passenden Titel „Roll Me Up And Smoke Me When I Die“ trägt, vorgestellt.

„Er hat nun mal das Talent, alles so unglaublich locker aussehen zu lassen“, sagt sein Freund Merle Haggard, der Nelson seit 50 Jahren kennt. „Er steht ständig auf Abruf bereit. Wann immer man ihn braucht, ist er zur Stelle und macht dir den Willie Nelson. Aber je älter man wird, umso schwerer wird es, diese Nummer zu spielen.“

Wenn er denn mal Pause macht, entspannt sich Nelson auf Maui, spielt Golf oder schlägt sich mit Harrelson und Owen Wilson, seinen Nachbarn, die Nächte um die Ohren. Oder aber er besucht seine riesige Ranch außerhalb von Austin, auf der es die Nachbildung einer kompletten Western-Stadt gibt (inklusive Kirche und Aufnahme-Studio) sowie einen öffentlichen Golfkurs, der auf die üblichen Konventionen allerdings gänzlich verzichtet. („No shoes, no shirt, no problem“, lautet eine der unorthodoxen Regeln, oder:“Tell your spouse you’re in a conference.“) Aber selbst wenn er sich in Austin aufhält, „bleib ich lieber im Bus. Ich fühl mich hier einfach zu Hause.“

Das momentane Modell -„Honeysuckle Rose“ IV -hat bereits mehr als eine Million Meilen auf dem Buckel. Im Inneren stehen ein paar hellbraune Ledersofas, die um einen großen Flatscreen-Fernseher gruppiert sind – daran angeschlossen eine Nintendo Wii, die mit harzigen Fingerabdrücken übersät ist. Nelson bleibt gewöhnlich bis drei oder vier Uhr morgens auf, schaut sich alte Western an, lernt neue Songs oder hört „Willie’s Roadhouse“, seinen Kanal auf dem Satelliten-Radio SiriusXM. „Wenn er unterwegs ist, muss er sich nun mal nicht mit lästigen Verpflichtungen rumschlagen“, sagt Mickey Raphael, sein langjähriger Mundharmonikaspieler. „Erst hier findet er seine wirkliche Ruhe.“

Nelson schwört, dass sein Gras-Konsum keine gesundheitlichen Schäden hervorrufe (dem Alkohol hat er bereits vor einigen Jahren abgeschworen) – auch wenn er gleichzeitig damit prahlt, dass er wahrscheinlich mehr qualme als jeder Entertainer vor ihm. „Snoop kommt vermutlich nah ran“, sagt Nelson, „aber er ist der Erste, der zugibt, dass er mir nicht das Wasser reichen kann.“ Im vorigen Jahr war er allerdings gezwungen, eine Show abzusagen, nachdem er mit Atembeschwerden ins Krankenhaus eingeliefert wurde, wo man Probleme mit seinen Lungenbläschen feststellte. „Ich hab hinten im Bus eine Flasche mit Sauerstoff, sollte ich ihn wirklich mal brauchen.“ Sicherheitshalber hat er die Joints etwas eingeschränkt und nascht nun lieber an der Cannabis-Schokolade, die seine Frau selbst herstellt. Er versucht sie sogar zu überreden, im liberalen Colorado einen Laden für medizinisches Marihuana zu eröffnen. „Es ist nun mal die beste Medizin für ihn“, sagt Annie.

Nelson schwebt aber nicht immer über den Wolken. Er gibt sogar zu, dass manchmal sein Temperament mit ihm durchgehen kann. „Man sieht dann, wie seine Pupillen größer werden und er fast schon schwarze Augen bekommt“, erklärt Annie sehr geduldig. „Alle, die ihn kennen, wissen dann, dass Ärger im Anzug ist.“

Doch nun, während die Gras-Schwaden durch den Bus wabern, lehnt sich Nelson entspannt zurück und wird gesprächig. „Geht ein Typ für eine Untersuchung zum Doktor“, erzählt er. „Der Doktor sagt:,Zunächst einmal müssen Sie mit dem Masturbieren aufhören.“Warum?‘, fragt der Typ.’Damit ich Sie untersuchen kann.'“ Ein paar Sekunden lang ist Nelsons Gesicht wie versteinert, bevor er mit den Augen blinzelt, das Kinn hochreckt und ein polterndes Lachen rauslässt, das seinen ganzen Körper schüttelt. Nachdem er sich wieder erholt hat, klingt er fast schon ein wenig deprimiert: „Allzu viele neue Witze gibt’s heute leider nicht mehr. Ja, man hört heutzutage kaum noch neue.“

Was nicht etwa bedeuten soll, dass Nelson permanent der Vergangenheit nachtrauert. Im Gegenteil: Gerade weil das Leben durchaus einige Nackenschläge für ihn bereithielt – als Kind wurde er Waise, hatte drei gescheiterte Ehen und in den Achtzigern eine endlose Fehde mit dem Fiskus -, hat er inzwischen eine bemerkenswerte Fixierung auf das Hier und Jetzt entwickelt. „Das Leben im Rückspiegel ist nicht mein Ding“, sagt er. „Natürlich ist es so einfach, zurückzublicken und all die Dinge zu bedauern, die einem widerfahren sind. Aber man kann nun mal nichts mehr ändern -genauso wenig wie man an den Dingen etwas ändern kann, die einem morgen zustoßen. Man kann nur das kontrollieren, was zu diesem Zeitpunkt um einen herum passiert.“

Zwei Stunden später steht er auf der Bühne des „New Jersey Performing Arts Center“ in Newark, die geflochtenen Haarzöpfe sorgsam unter einem schwarzen Stetson versteckt, und schlägt auf seiner geliebten „Trigger“ – der Martin-Gitarre, die er seit 1969 spielt -die ersten ruppigen Akkorde von „Whiskey River“ an. Und seine großen Hits kommen in einem beängstigenden Tempo: „Crazy“,“Night Life“,“On The Road Again“ … Einige seiner Fans haben moniert, dass sich seine Setlist kaum geändert habe, seit Jimmy Carter Präsident war. Aber die Vorstellung, deshalb nun obskureres Material aus dem Zylinder zu zaubern, ist Nelson völlig fremd. „Wenn ich in ein Konzert gehe, um mir Hank Williams anzuschauen, dann will ich auch ,Your Cheatin‘ Heart‘ hören. Ich hab kein Problem, meine Hits zu spielen. Ich bin froh, dass ich sie habe.“

Nachdem er für die Verehrer in der ersten Reihe 15 Minuten lang Autogramme gegeben hat -während die Band auf der Bühne noch spielt -, stellt sich Nelson backstage für ein paar Fan-Fotos zur Verfügung und geht dann zurück zum Bus. Eine aufgezeichnete Episode des „Colbert Report“ wartet dort auf ihn, doch da sich der Bus inzwischen gefüllt hat, muss das Fernsehen erst mal warten. Seine Töchter Amy und Lana sind gekommen, die Großnichte Ellee und drei ihrer Freunde.

15 Minuten später rollt der Bus vor Newarks „Penn Station“ vor, wo die Passanten den mysteriösen Cowboy-Bus ungläubig anstarren. Einige fühlen sich gar bemüßigt, das seltsame Objekt mit eigenen Händen zu berühren. Als sich die Familie verabschiedet, um den Zug nach Manhattan zu nehmen, winkt ihnen Nelson hinterher, bleibt aber an Bord. „Schätze, dass ich irgendwo noch gebraucht werde“, sagt er.

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