„Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“: Benjamin Walker und Charlotte Brändström im Interview

ROLLING-STONE-Interview mit Hauptdarsteller Benjamin Walker und Regisseurin Charlotte Brändström. Teil zwei unserer Gesprächsreihe zu „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“

Menschen, nein: Lebewesen verschiedener Größe, verschiedener Hautfarbe, verschiedenen Geschlechts, ja, auch fluiden Geschlechts bekämpfen gemeinsam einen Feind, der sie knechten will. J.R.R. Tolkiens „Herr der Ringe“, eine 68 Jahre alte Saga, ist so aktuell wie damals: ein Plädoyer für Diversität. Die Serie „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ (02.09, Prime) greift, wie schon Peter Jacksons Kino-Trilogien (2001-2003, 2012-2014), diesen Leitgedanken auf. Fantasy ist längst nicht mehr alt, weiß und männlich. Nachdem der Trailer eine Schwarze als Harfuß (Harfüße sind Nachbarn der drolligen Hobbits) vorstellte, gab es zwar einen Shitstorm der Unverbesserlichen. Den saßen die Showrunner J.D. Payne und Patrick McKay aber locker aus.

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Die Erwartungen an „Die Ringe der Macht“ sind so hoch wie der Mount Doom. Die Filme spielten sechs Milliarden Dollar ein, es gab 17 Oscars. Heute sind immer mehr cineastische Stoffe als Serien zu sehen. Jeff Bezos persönlich beorderte die Produktion eines Mehrteilers, damit Amazon ein „Sword and Sorcery“-Format vorlegt, das „Game of Thrones“ von HBO Konkurrenz macht. Kosten: angeblich eine Milliarde Dollar für fünf Staffeln.

„Die Ringe der Macht“ verfilmt die Anhänge aus den „Ringe“-Romanen, oder, wie Tolkien-Apologeten weihevoller sagen: den Appendizes. Tausende Jahre vor den Abenteuern Frodos werden die neun Ringe geschmiedet, deren Besitz die Weltherrschaft ermöglicht; der böse Sauron steigt auf; Menschen und Elben ziehen in die Schlacht gegen den Aggressor. Es gibt ein Wiedersehen mit Charakteren wie der Elbenkönigin Galadriel, nicht mehr verkörpert von Cate Blanchett, sondern Morfydd Clark. Galadriel führt den Widerstand an. „Kämpfende Frauen haben ihren festen Platz in der Fantasy, auch bei Tolkien“, sagt die 33-Jährige. „Die Ringe der Macht“ spielt im „Zweiten Zeitalter Mittelerdes“. Wird mit dieser Mega-Produktion auch ein neues Serienzeitalter eingeleitet?

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Wir sprachen mit den Regisseuren J.A. Bayona („Jurassic World: Fallen Kingdom“) und Charlotte Brändström („The Witcher“), Spezialeffekte-Chef und Produzent Ron Ames, dem Illustrator und Designer John Howe (die „Herr der Ringe“- und „Hobbit“-Trilogie),  als auch mit den Schauspielern Benjamin Walker („Abraham Lincoln: Vampire Hunter“) und Morfydd Clark („Saint Maud“). Für Teil eins unseres Features interviewten wir Bayona, Clark und Ames.

Anmerkung: die Gespräche mit Cast und Crew wurden separat geführt.

Benjamin Walker

Mr. Walker, Sie spielen den Elben Gil-galad, den letzten Hochkönig von Noldor. Zuvor waren Sie im Kino und auf der Bühne als Abraham Lincoln, Patrick Batman sowie Andrew Jackson zu sehen. Wie fügt sich Gil-galad in diese Reihe der Persönlichkeiten ein?
Benjamin Walker: Nicht alle dieser Figuren existierten wirklich, aber alle von ihnen sind literarisch oder verfügen zumindest über eine Quelle, in die ich mich hineinknien kann. Als Abraham Lincoln bekomme ich es im Film mit Vampiren zu tun, okay, aber für mich war das dennoch ein Anlass, Biografien über ihn zu lesen. Eine Faustregel für alle Schauspieler: Wenn man nicht weiß, wen man als Nächstes spielen möchte – greift zu Büchern!

Wer die Anhänge Tolkiens gelesen hat, ist mit dem Schicksal Gil-galads vertraut. Ist die Verkörperung einer Figur schwieriger, wenn dem Leser und nun Zuschauer ihr Ende von Anfang an bekannt ist?
Es ist mein Job, daraus keine Schwierigkeit zu machen. Wie kann denn Hamlet wissen, dass er nicht stirbt? Wie kann ein ihn verkörpernder Schauspieler das nicht wissen? Die durchdeklinierte Biografie einer Figur bietet vielleicht sogar noch mehr Freiheiten – ich muss zusehen, dass ich ihr Facetten verleihe, die sie von anderen Darstellungen unterscheiden. Das ist mein Job – und gleichzeitig das Mindeste, was ich zu leisten habe.

„Wir mögen Vorgeschichten. Es ist wie mit Liedern. Die wollen wir ja auch von Anfang an hören“

Ob „Herr der Ringe“, „Game of Thrones“ oder „Star Wars“: Alle Studios setzen auf Prequels, Vorgeschichten. Wir sehen immer mehr Charaktere, die in anderen, erzählten Zeitlinien längst das Zeitliche gesegnet haben. 
Das ist aus Produzentensicht natürlich schlau, es bietet beliebten Figuren, die längst gestorben sind, die Möglichkeit neuer Abenteuer und uns ein Wiedersehen mit ihnen. Aber „Die Ringe der Macht“ ist kein Prequel, höchstens insofern, als dass es sich um eine „Coming of Age“-Story handelt. Eine „Coming of Age“-Story Mittelerdes. Wir sehen, wie Dinge gebaut werden, wie Völker sich bewegen. Wir mögen Vorgeschichten. Es ist wie ein Lied. Das wollen wir ja auch von Anfang an hören.

Was können unsere Staatsoberhäupter vom Hochkönig lernen?
Ach, vieles! Gil-galad entlockt jedem seiner Leute das Beste. Er ist ein guter Politiker, also ein echter Hirte. Robert Aramayo spielt meinen Verbündeten, Elrond. Manchmal könnte es herablassend klingen, wie wir zu unseren Völkern sprechen. Aber so ist es nicht gemeint. Wir ermuntern die Leute, alles aus sich rauszuholen, der Elb oder Mensch zu sein, der in ihm steckt. Wir bringen sie auf die Spur, damit sie ihre Schicksale erkennen.

Erkennen Sie Parallelen des Kampfes Gut gegen Böse zur Jetztzeit?
Das Tolle an Tolkien ist, dass seine Zuschreibungen zu jeder Weltlage passen. Er erkannte, dass der Aufstieg des Bösen unvermeidlich ist, wenn diese Kräfte nicht im Zaum gehalten werden. Der Preis der Freiheit besteht in lebenslanger Wachsamkeit. Dem Moment, in dem Gil-galad beschließen würde „okay, wir sind nun angekommen“, wäre auch jener Moment, indem seine Festung bereits erste Risse zeigt. Frieden setzt konstante Arbeit voraus.

Gil-galad wird sich einen prächtigen Kampf mit dem Oberschurken Sauron liefern. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Nun, wenn es so ablaufen wird, wie im Buch, dann geschieht Folgendes: Ich werde lebendig verbrannt, durch Feuer aus seinen Händen. Ich hoffe doch, wir verwenden computeranimiertes Feuer, kein echtes!

In Peter Jacksons „Die Gefährten“ von 2001 ist ihr Charakter bereits für ein paar Momente im Prolog zu sehen, gespielt von Mark Ferguson.
Das ist ja das Schöne an guten Figuren. Obwohl Laurence Olivier den Hamlet gespielt hat, käme keiner deshalb auf die Idee, diesen Charakter auf alle Zeiten Ruhen zu lassen. Da wird kein letztes Wort gesprochen. Dafür ist das Ausgangsmaterial zu reich.

„J.D. und Patrick, die Showrunner, sagten: „Tolkien!“, ich sagte: „Great!“

Aber in den „Anhängen“ der „Ringe“-Romane bleibt vieles im Vagen.
Natürlich ist es ein Vertrauensbeweis, eine Rolle anzunehmen, von der noch nicht allzu viel bekannt ist, oder die neu erfunden werden muss. Aber für mich war das ein No-Brainer. J.D. und Patrick, die Showrunner, sagten: „Tolkien!“, ich sagte: „Great!“. Ich musste die Rolle annehmen, ich hätte das sonst bis an mein Lebensende bereut.

Bei allen Vorurteilen und Missverständnissen zwischen Elben und Menschen und Zwergen, lebt Gil-galad in einer Ära der Völkerverständigung.
Ja, aber alle drei Völker müssen darum kämpfen, miteinander klarzukommen. Ein Elb lebt tausende Jahre. Er trifft auf Menschen, die niemals seine Erfahrungen teilen können, auf Zwerge, die noch nie Sonnenlicht sahen. Die Schönheit von Tolkiens Werk liegt auch in seiner Anerkennung der Grenzen, die manchen auferliegen.

Worin, glauben Sie, ist die Renaissance der Fantasy, wie in den „Ringen“ oder „Game of Thrones“, begründet?
Für den intrinsisch motivierten Kampf zwischen Gut und Böse ist Fantasy einfach prädestiniert. Gut möglich, dass nicht jeder mit dem Genre vertraut ist. Mit diesem Kampf aber schon. Drachen, Zombies, Aliens, egal. Jeder von uns will über sich hinauswachsen.

Mrs. Brändström, Sie sind eine der wenigen Regisseurinnen im Fantasy-Genre, zuletzt standen Sie für „The Witcher“ hinter der Kamera. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?
Brändström: Wir haben nicht nur mehr Regisseurinnen, sondern auch mehr Schauspielerinnen und damit auch Heldinnen im Genre. Sicher gibt es mittlerweile auch mehr weibliche Fans, damit hängt die Nachfrage und das Angebot auch zusammen. Dem sind wohl Umfragen auf den diversen Plattformen vorangegangen. Meine erste Regie-Arbeit datiert auf 1990, da gab es weniger Filmemacherinnen.

Hatten Sie je den Eindruck, man sei auf Sie zugegangen, gerade weil Sie eine Frau sind – dass Sie eine andere Perspektive einbringen könnten?
Ich glaube eher, man ging davon aus, dass das Script und ich gut zusammenpassen. Jede der zehn „Ringe“-Episoden hat starke Frauenfiguren, ich sah mich da nicht unbedingt in der Rolle einer Förderin. Action-Szenen sind mittlerweile charakterorientiert, nicht Geschlechter-orientiert, was aber auch bedeutet, dass sich eine Unterteilung in „weibliche“ oder „männliche“ Action nicht anbietet. Ich haben die Folgen sechs und sieben inszeniert, darin gibt es eine sehr große Schlacht und anschließend einen Absturz in die Dunkelheit für einige der Charaktere. Ich könnte nicht sagen, dass diese eher „Männer-Episoden“ oder „Frauen-Episoden“ sind.

Ist es schwierig, gerade die mittleren Episoden einer Staffel zu inszenieren?
Nein, für mich nicht. Man folgt einer ausgelegten Spur, der Storyline. Ich persönliche betrachte die Season als Zusammenfassung dreier großer Filme. Am Ende meiner zweiten Episode müssen die Helden sich im Kampf gegen das Böse vereinen.

Charaktere wie Galadriel existierten bereits in den Peter-Jackson-Filmen. Wie wichtig ist es, sich als Regisseurin freizumachen von der Darstellung Cate Blanchetts, und nun Morfydd Clark sich entfalten zu lassen?
An Cate habe ich, ehrlich gesagt, nicht viel gedacht. Die Rollen unterscheiden sich doch sehr, wir zeigen eine Galadriel, die tausende Jahre vorher lebte. Mir wahren die Drehbücher wichtig. Galadriel und die anderen Charaktere mussten edgy sein, lebensnah, gleichzeitig cineastisch.

Betrachten Sie Fantasy auch sinnbildlich, als Spiegel unserer Zeit?
Ich denke nicht. Und Tolkien hat sich auch dementsprechend geäußert, dass er keine spezifischen politischen Ereignisse im Blick hatte, die er in den Romanen spiegeln wollte. Aber Geschichte wiederholt sich nunmal. Schlachten, Betrug, Verwürfnisse, all das wiederholt sich. Krieg verstärkt Emotionen. Liebe und Hass sind in Kriegszeiten gefährlicher als in Friedenszeiten. Dass Menschen verschiedener Ethnien zusammenstehen für eine Sache, wie in den „Ringen der Macht“, haben wir auch in der Geschichte der Menschheit schon erlebt.

Was denken Sie über die Internet-Trolle, die sich über eine Schwarze aufregen, die einen Zwerg spielt?
Tolkiens „Legendarium“ hat sich durch Diversität ausgezeichnet. Und es reflektiert unsere heutige Welt. Für die Anhänge hat er 15 verschiedene Sprachen konzipiert! Fantasy hat nicht alt, weiß und männlich zu sein. Es fiel also überhaupt nicht schwer, diese Vielfalt widerzuspiegeln und gleichzeitig in Tolkiens Sinne zu arbeiten.

„Ich ließ mich von Kampftechniken osteuropäischer Reiter inspirieren, sowie von den Kosaken“

Wie unterscheiden sich die Kampfszenen der „Ringe“ von denen, die Sie für den „Witcher“ inszeniert haben?
Henry Cavills Witcher bekämpfte in erster Linie unterschiedliche Monster. In meinen beiden „Ringe“-Episoden gibt es eine große Schlacht, in denen berittene Armeen eine Rolle spielen. Ich ließ mich von Kampftechniken osteuropäischer Reiter inspirieren, sowie von den Kosaken. Sie waren fähig, sich an der Seite ihres Pferdes runterhängen zu lassen und sich so vor dem Feind zu verstecken. Ich habe wirklich viele Stuntmänner eingesetzt, visuelle Effekte überwiegend für Landschaftshintergründe. Meine Orks hatten echte Masken auf, sie konnten kaum atmen, und dann mussten sie sich auch noch auf Schlachtfeldern prügeln. Das war ein Geschnaufe! Dazu so viel Naturlicht wie möglich und so wenig Regielicht wie möglich. Als Kind liebte ich die Bilder von John Bauer, dem schwedischen Maler, der 1918 verstarb. Er kreierte romantische Landschaftsporträts, die er jedoch von Gnomen und Trollen bevölkern ließ. Für die „Ringe“ versuchte ich gelegentlich, seinen Geist einzufangen.

Desiree Navarro WireImage
MoltasEnzoValdo Wikipedia
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