Der lange Abschied

Darf Thomas Gottschalk den Posten des Schwätzers der Nation verlassen – und was wird uns fehlen?

Die Wetteinsätze hatten bei „Wetten, dass..?“ nie große Bedeutung.Karlheinz Böhm war der einzige sogenannte Wettpate, der tatsächlich etwas in die Waagschale warf: Er verlor 1982 seine Wette, es zahlte nicht jeder dritte Deutsche eine Mark für Afrika – und Böhm bekam für den Rest seines Lebens eine Aufgabe. Frank Elstner nahm es ziemlich genau mit solchem Kleingedruckten, seine ganze Sendung war kleingedruckt, sein Jackett, seine Sprechweise und die Art, wie er die Brille zurechtrückte.

Bei Thomas Gottschalk sieht man dagegen gleich, dass er großkariert daherkommt und auch so quatscht – deshalb notiert er seine Ideen nicht mal auf einem Bierdeckel oder einer Serviette, sondern denkt: „Hm, Halle an der Saale, Händel-Stadt, ein Brathuhn wird in Bayern als Hendl bezeichnet, ich komme ja aus Bay-ern, und Hendl wird gesprochen wie Händel – verkauf ich doch Hähnchen auf dem Marktplatz von Halle an der Saale!“ Nun heißen die Hendl dort aber Broiler, und am Ende verkaufte der Thomas sie aus logistischen Gründen auf dem Marktplatz von Augsburg – egal!

Bei „Wetten, dass..?“ ist vieles egal, und die Sendung war auch manchem Zuschauer ziemlich egal geworden. Die Einschaltquote lag aber immerhin noch knapp über Dieter Bohlens Volksverdummung, Gottschalk ließ sich auf unlustige Schlagabtäusche mit dem Sprüchesammler ein, was er vormals als unter seinem Niveau abgetan hatte. Dann, am 4. Dezember vergangenen Jahres, passierte das Schreckliche: Der Kandidat Samuel stürzte bei dem Versuch, ein Auto auf elastischen Stelzen mit einem Salto zu überspringen. Das Blödsinnige gehörte stets zur Sendung, und diese Übung war vollkommen blödsinnig, wenn sie auch zum Berufsbild des Stuntmans gehört. Samuel ist heute querschnittgelähmt, seine Mutter füttert ihn. Gottschalk reagierte eine halbe Stunde nach der Unterbrechung mit einer getragenen Erklärung und beendete die Show – für diese Selbstverständlichkeit wurde er gelobt. Dann grübelte er im „Spiegel“ über die Risiken des Risikos, das Unterhaltungsgewerbe an sich und seine zunehmende Müdigkeit, ja Abscheu – er gab also den Hamlet wie alle fünf Jahre. Ein paar Wochen später aber erklärte Gottschalk seinen Rücktritt zum Sommer: Einmal noch will er in der Stierkampf-Arena in Palma auftreten, wo tatsächlich die erinnerungswürdigsten Shows stattgefunden haben. Gottschalk möchte bald eine neue Aufgabe übernehmen, dabei sagt er doch schon die Filmtrailer bei dem Zwergsender Tele 5 an. Sein Verhältnis zum Film ist ähnlich bauchmäßig wie das zur Rockmusik, zur Religion, zur Kunst: Irgendwie ist das schon gut, aber er versteht nicht alles. Bei den Passionsspielen in Oberammergau entdeckte Gottschalk im vorigen Sommer seinen Katholizismus wieder und schrieb eine Besprechung, die im Feuilleton der „FAZ“ nicht deplatziert wirkte und bewies, wozu der Clown in der Lage ist, wenn er sich anstrengt.

Aber natürlich ist Gottschalks unique selling point seine Anstrengungslosigkeit. Bei Maybrit Illner oder Beckmann plauscht er über sein Gewerbe, über die Kinder, Amerika, Gott, Tod und Teufel, nervt den Gelehrten Hans Küng mit seiner Bauchfrömmigkeit und ist ganz und gar der nette, amüsante, pragmatische, vernünftige, manchmal sogar nachdenkliche Haribo-Onkel, der er natürlich auch in Wirklichkeit ist, auf dem Marktplatz von Halle an der Saale oder Augsburg, beim Hendl- oder Broilerverkaufen, beim unaufhörlichen Sabbeln und Salbadern, beim Düpieren von Catherine Deneuve, beim Kraftmeiern mit Til Schweiger, beim Kompliment für Grönemeyer, dessen Lieder er verwechselt hatte, worauf der sagte: „Danke. Alles klar.“ Grönemeyer macht das alles schon so lange, dass er ebenso wie Gottschalk weiß, wenn jemand es nicht ehrlich meint – oder es zwar ehrlich meint, dafür aber das Falsche. Den wahrheitssüchtigen Götz George machte das verrückt, er konnte diese Fahrigkeit, das Verfranste, immer Ungefähre, Unpräzise, auch Unernste nicht ertragen und wurde wütend. Das Publikum will es indes selten genauer wissen als Gottschalk.

Es wird keinen mehr geben wie Thomas Gottschalk, stellen sie nun fest. Als Hans-Joachim Kulenkampff abtrat und dann doch nicht und dann für immer, hieß es, es werde keinen mehr geben wie Hans-Joachim Kulenkampff. Gottschalk fand das auch. Vor Jahren sagte er in einem Anfall von Wahrhaftigkeit, er wolle nicht so enden wie sein Vorgänger Frank Elstner, der damals irgendwelche Spielshows moderierte und nun die Schabracke „Verstehen Sie Spaß?“ dem Exitus zuführt. Elstner hatte ihm das übel genommen, und Gottschalk entschuldigte sich später. Kürzlich war er wieder für einen Moment sehr ehrlich, als er lamentierte, dass er Frauen wie Anastasia, Jessica Schwarz und die anwesende Jasmin Gerat nicht auseinanderhalten kann – früher alle beim Jugendfernsehen, alle scheißfrech, heute alle Schauspielerinnen.

Peter Alexander wollte das ZDF nicht mehr haben, zu seinem 80. Geburtstag grüßte er sentimental von der Heimorgel. Kulenkampff wurde senil. Rudi Carrells letzter Auftritt war sein größter. Und Thomas Gottschalk wird für Gleichaltrige die „Kulmbacher Filmnacht“ anmoderieren.

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