Der Luxus der Leftys

Bei der Gang Of Four geht es wieder ums Ganze: Jon King und Andy Gill erklären die Weltgeschichte – mit gewohnter Art-Punk-Wucht.

Gestern Abend in Paris sprachen Andy Gill und Jon King mit Benoît Hamon, dem Sprecher der Sozialistischen Partei Frankreichs. Das Magazin „VOXPOP“ hatte das Treffen organisiert. Der linke Politiker und die Agit-Art-Punk-Band, das klingt doch wie eine gute Idee. Es sei angenehm und anregend gewesen, bestätigen Gill und King, die solche Zusammenkünfte gewöhnt sind. Doch ein ungutes Gefühl können sie nicht verhehlen. „Es hat Nachteile, ständig als Lefty eingestuft zu werden“, sagt Gill. „Wir haben ja nie die Trommel für die Sozialisten gerührt oder die rote Fahne geschwenkt, sondern die Dinge nur so beschrieben, wie sie uns erscheinen. Wir haben nie vorgegeben, welche Schlüsse unsere Zuhörer daraus ziehen sollen.“ Der Politiker, verlängert King, sei doch per se zur Antwort und zum kohärenten Manifest verpflichtet, während der Künstler „eher eine alternative Beschreibung der Welt“ versuche und endgültige Antworten schuldig bleiben dürfe. Na sicher doch! Das ist der Luxus der Kreativen.

Dass die Menschen mit Gang Of Four über Politik reden wollen, ist allerdings kein Wunder. Jon King sang Ende der Siebziger eine bis dahin ungehörte Lyrik mit zynischen und cleveren Betrachtungen der politischen und privaten Sphäre jener Zeit. Die ersten Veröffentlichungen der Band gehören in den Kanon der Pop- und Rockmusik, weil sie aufregend anders waren – Gang Of Four hatten den Post- und Art-Punk auf den Weg gebracht, in dem sie die Wut in strenge Formen zwangen und ihre radikalen Gesellschaftsanalysen mit Funkrhythmen unterfütterten. Das war ein neuer Weg, auf dem ihnen viele folgten. Nach dem vierten Album war Schluss, Gill und King schoben in den Neunzigern nur noch zwei gerade mal ordentliche Veröffentlichungen nach.

Nach einer erneuten Wiedervereinigung, diversen Tourneen und einem Album mit neuen Versionen alter Lieder („Return The Gift“, 2005), kommt im Januar das erste Album seit 16 Jahren, eigentlich doch seit 1983. Auf „Content“ spielen Gang Of Four (King und Gill plus zwei neue Mitstreiter) die ihnen angestammte Punkrockmusik, allerdings moderner aufbereitet. Die fiesen Gitarrenriffs, die skandierten Gesänge, der intellektuelle Art-Punk-Gestus: So geht Gang Of Four, obwohl das hier freilich nicht das Werk von jungen Wilden, sondern von Musikern höheren Semesters ist. Diese Musik wirkt in ihrer etwas kühlen, diskursiven Art ein bisschen wie die Avantgarde von Gestern – man erinnert sich und schätzt den Willen zum Inhalt, zur Bedeutsamkeit -, doch es steckt noch Energie in diesen Knochen, auch manch guter Song. Das neue Werk, das übrigens zum Teil von Gang-Of-Four-Fans über die Website pledgemusic.com vorfinanziert wurde (und nun auf dem Label von Gills Kumpel Herbert Grönemeyer veröffentlicht wird), erscheint in einer limitierten Version mit diversen Büchern, Grafiken und sogar einem Säckchen mit Blut der Musiker.

Es geht ums Ganze, schon wieder. Identität, was ist das? Weltgeschichte, was ist das? Beziehung, was ist das? Zum Interview haben King und Gill Zeichnungen mitgebracht, die die beiden Musiker für eines der Bücher der Deluxe-Ausgabe angefertigt haben. Zwei Dutzend Bilder erzählen die Weltgeschichte der letzten 40 Jahre anhand von Sex, Krieg, Folter und Tod. Die Zeichnungen sind böse und komisch, derbe und pointiert, eigentlich ganz wie die Musik der Gang Of Four. „In der Massenmusik wird eine Welt gezeigt, in der niemand arbeitet, in der es nur darum geht, ob man verliebt ist oder nicht und ob man flachgelegt wird oder nicht“, erklärt King. „Sobald man etwas singt, das etwas bedeutet, gilt man als subversiv. Aber so ist die Welt doch nicht! Wir wollen sie beschreiben, wie wir sie sehen.“

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