Der Mann mit der Maske

Am 17. Dezember 2010 starb der große amerikanische Freigeist, Musiker und Maler Don Van Vliet alias Captain Beefheart. Eine Würdigung seines Biografen Mike Barnes.

Als ich den Saal betrat, hatten Captain Beefheart and The Magic Band gerade angefangen. „Nowadays A Woman’s Gotta Hit A Man“ hieß der erste Song. Schon damals war Beefheart alias Don Van Vliet eine Art Legende – sicher einer der rätselhaftesten Musiker, die je eine Bühne betreten hatten. Es war der 13. November 1980, und ich konnte kaum glauben, dass so einer nur ein paar Meter entfernt von mir in sein Mikro röhrte. Dazu noch an einem so unwahrscheinlichen Ort wie der Stadthalle von Guildford, einer Kleinstadt, etwa 40 Kilometer westlich von London. Genauso wenig kann ich heute glauben, dass er nun nicht mehr da ist.

Mit Van Vliets Ableben hat die Musikwelt eine einzigartige Persönlichkeit verloren. Seine Musik war so individuell und originell, dass es – obwohl er enorm einflussreich war – schwer zu erkennen ist, wen er direkt inspiriert hat. Tom Waits, Van Vliet lange in freundschaftlicher Rivalität verbunden, gab Beefhearts Einfluss auf seine stilistische Veränderung mit „Swordfishtrombones“ (1983) zu, aber solch deutliche Beispiele sind rar. Unter den Bands, die seine Musik im vergangenen Jahrzehnt coverten, befinden sich die White Stripes, The Kills und die Black Keys, aber nur wenige sind in der Lage, die Nuancen von Captain Beefhearts Musik zu erhalten.

Die Veröffentlichung von „Doc At The Radar Station“ im August 1980 war so etwas wie das letzte kreative Hurra seiner Musikkarriere. Van Vliet hatte seine besondere Stellung schon seit jeher mit Zähnen und Klauen verteidigt – das ging sogar so weit, dass er jegliche äußere Einflüsse auf sein Werk abstritt (obwohl er Howlin‘ Wolf und Muddy Waters, John Coltrane und Ornette Coleman liebte). Sein Interesse galt auch der Post-Punk-Szene. „Er war sauer, weil viele Punks erfolgreich waren, und er wusste, dass sie sich bei ihm bedient hatten“, so Gary Lucas, Gitarrist der Magic Band von 1980 bis 1982 und in Ermangelung von Alternativen so etwas wie der Manager.

Die Tatsache, dass Beefhearts Musik sich so gut in den Post Punk einfügte, darin aber einen sehr eigenen Platz hatte, war bemerkenswert, aber auch Teil eines Trends, der seit der Gründung von Captain Beefheart and The Magic Band 1965 in Lancaster, Kalifornien Bestand hatte. Nach der Single-Veröffentlichung ihrer Version des Willie-Dixon/Bo-Diddley-Songs „Diddy Wah Diddy“, die ein lokaler Hit wurde, waren ihre folgenden Veröffentlichungen der Zeit immer ein Stück voraus. Psychedelische Bluesalben wie „Safe As Milk“ (1967) und „Strictly Personal“ (1968) waren weit eklektischer und individueller als die anderen Alben dieser Zeit, während „Trout Mask Replica“ (1969) und „Lick My Decals Off, Baby“ (1970) voller einzigartig schräger musikalischer Formen, Quantensprünge ins Unbekannte waren. Es ist, als ob Van Vliet bei jedem Schritt Wegweiser in die Zukunft aufgestellt hätte, aber die einzige Band, die sich je auf diese Pfade traute, war seine eigene.

Das liegt wohl in erster Linie an der seltsamen Entstehungsgeschichte dieser Musik und der Tatsache, dass es großer Hingabe bedurfte, um sie zu lernen. Als Van Vliet mehr und mehr die Kontrolle über die Band übernahm – ursprünglich war er eher ihr Sänger als ihr Kopf gewesen – trat seine höchst eigenwillige Art zu komponieren in den Vordergrund. Obwohl er im konventionellen Sinne auf keinem Instrument sonderlich geübt war, pflegte er ab etwa „Trout Mask Replica“ den Bandmitgliedern Melodielinien, die zu ihren Instrumentalparts wurden, per Scatgesang oder Pfeifen zu vermitteln oder sie auf dem Klavier oder der Mundharmonika vorzuspielen. Weil er dabei oft die Ton- und Taktarten wechselte, mussten sich die Musiker stark einbringen, um diese Parts spielbar zu machen. Allerdings wurden sie nie als Arrangeure erwähnt; Van Vliet war es wichtig, dass die Band als Autokratie wahrgenommen wurde. Er bezeichnete seine Musiker etwas herablassend als „Farben“. Vermutlich ähnelten sie eher den Malern, die in der Renaissance den großen Meistern zuarbeiteten. Sicher arbeiteten sie nach Anleitung, aber zwangsläufig brachten sie sich auch selbst ein. „Was hätten wir gespielt, wenn es uns selbst überlassen gewesen wäre? Ich bezweifle, dass es auch nur annähernd das gewesen wäre, was wir dank seines Einflusses spielten“, erklärt Denny Walley, Gitarrist der Magic Band von 1975 bis 1978. „Ausgangs- und Endpunkt von allem war Dons Vorstellung.“

„Manchmal war Don sehr genau, aber manchmal überließ er es auch uns Beefheart-Schülern, die Lücken zu füllen“, so Cliff Martinez, der 1982 auf dem letzten Album „Ice Cream For Crow“ Schlagzeug spielte. „Er sagte Dinge wie:, Spiel das Ding mit den riesigen blauen Babys, die über die Berggipfel schweben‘, und dann spielte man irgendetwas und er sagte:, Ja, das ist das, was ich meinte.‘ Aber manchmal setzte er sich ans Schlagzeug, und es war erstaunlich. Es war sehr krude und stümperhaft, aber inspiriert. Es wirkte alles etwas zufällig und chaotisch, aber es gab eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass dabei etwas sehr Gutes herauskam.“

Es passt irgendwie, dass sein Alter Ego ursprünglich eine fiktive Figur aus einem von Frank Zappa geschriebenen Science Fiction-Film namens „Captain Beefheart Versus The Grunt People“ war, in dem Van Vliet die Hauptrolle spielen sollte, denn diese seltsame spontane Kompositionstechnik war nicht von dieser Welt. Van Vliets Intelligenz, seine rhetorischen Fähigkeiten und sein abseitiger Sinn für Humor brachten zudem einige der einprägsamsten Texte der Rockmusik hervor. Qenn er voll auf Captain Beefheart geschaltet hatte, wirkte er auf Fans und Musikkritiker gleichermaßen witzig wie einschüchternd.

Neben Bob Dylan verstand es wohl kein anderer Musiker, so mit der Presse zu spielen wie Van Vliet. Selbst seine abstrusesten Behauptungen, beispielsweise, dass er nie zur Schule gegangen sei – was nachweisbar falsch war – wurden nicht infrage gestellt. Er genoss es, den verblüfften Journalisten zu erzählen, er habe 400 Songs in einem Jahr geschrieben, er laufe jeden Abend in einer Bar sechs Meilen auf einem Mini-Trampolin, um die Schwerkraft in Zaum zu halten, alle Wege führten zu Coca-Cola oder er kommuniziere durch sein Saxofon mit Delfinen. Man kann sich geradezu das verständnislose Nicken der verwirrten Journalisten vorstellen, wenn er ihnen erzählte, „ein Psychiater ist jemand, der in deinem nächsten Leben sterben will“.

Das sorgte sicher für gute Geschichten. Allerdings führte diese Art des Rollenspiels auch zu unangebrachtem Verhalten gegenüber den Bandmitgliedern. John French, der zwischen 1967 und 1980 phasenweise Schlagzeug und ab und zu Gitarre spielte, erinnert sich: „Ich glaube, das Alter Ego Captain Beefheart war Dons eigene trout mask (Forellenmaske), durch die er die Welt aus sicherem Abstand beobachten konnte – frei von der Verantwortung für seine Entscheidungen und Taten. Er betrachtete die Welt wie ein Voyeur – mit Abstand, unerkannt und gewissermaßen körperlos. Er konnte sich der Öffentlichkeit gegenüber durch das Erfinden absurder Geschichten über sich selbst als exzentrisches Genie präsentieren und sein soziopathisches Verhalten gegenüber der Band als ’notwendig‘ rationalisieren und dabei jegliche Verantwortung oder Schuldgefühle von sich weisen.“

Don Van Vliet zog sich 1982 von der Musik zurück. Schon seit er ein Kind war, hatte er gemalt und Skulpturen geschaffen, oft beschrieb er Musik als Malerei und umgekehrt, und dies war nun sein neuer kreativer Weg. „Er sagte damals:, Ich habe mit der Musik alles gesagt, was ich sagen konnte; ich will Maler sein'“, erinnert sich Lucas.

Obwohl nach der Veröffentlichung von „Ice Cream For Crow“ eine ganze Reihe musikalischer Kollaborationen diskutiert wurden, darunter auch Sessions mit dem New Yorker Künstler Julian Schnabel und dem deutschen neoexpressionistischen Maler und Schlagzeuger AR Penck, verliefen sie allesamt im Sande. Van Vliet hatte immer noch musikalische Ideen, die er auf seinem Diktafon festhielt – darunter vielversprechende Songschnipsel wie „Pork Chop Blue Around The Rind“ und „Away From Survival“ -, aber als Lucas ihn 1984 mit dem Ziel besuchte, gemeinsam an Musik zu arbeiten, schien Van Vliet abgelenkt und unkonzentriert. Letztlich beendete Lucas seine Managertätigkeit und entließ seinen anstrengenden Klienten in die Kunstwelt. „Ich fand, es war Zeit, das hinter mir zu lassen“, sagt er. „Natürlich wäre ich weiter da gewesen, wenn er noch Platten aufgenommen hätte. Ich war von Don übersättigt und trotzdem vermisste ich ihn noch sehr. Alles, was er tat, hatte einen poetischen Aspekt. Er war die am stärksten künstlerisch orientierte Person, die ich je traf.“

Van Vliet verdiente nicht schlecht am Verkauf seiner Bilder. Ein weiterer Grund, das Musikbusiness hinter sich zu lassen, war laut Lucas sein sich verschlechternder Gesundheitszustand. Im Rückblick wird klar, dass die Symptome der Multiplen Sklerose ab Mitte der Achtziger auftraten. Seine Mobilität war immer stärker eingeschränkt – zunächst benutzte er einen Gehstock, dann einen Rollstuhl; ab 1990 lebte er völlig zurückgezogen. Später veröffentlichte Film- und Tonaufnahmen enthüllten, dass er schwach war und es ihm Mühe bereitete, sich verständlich zu artikulieren; in offiziellen Verlautbarungen war jedoch von „guter Gesundheit“ die Rede.

Als Vollzeitkünstler produzierte er eine Reihe sehr lebendiger, figurativer, expressionistischer Gemälde. Er hatte den spontanen und nahezu stetigen Fluss musikalischer und textlicher Ideen stets als „wie zur Toilette zu gehen“ bezeichnet, nun beschrieb er seinen ähnlich instinktiven Ansatz bei der Malerei als „wie ein Esel, der mit dem Schwanz wedelt“. Leider fehlten ihm jedoch am Ende die Mittel, um seine Ideen umzusetzen; im neuen Jahrtausend versiegte der Strom neuer Gemälde. Am 17. Dezember starb Don Van Vliet im Mad River Community Hospital im kalifornischen Arcata an den Folgen der Multiplen Sklerose.

Im Jahr 1980 hatte er sich bei dem „New Musical Express“-Journalisten Paul Ramball über seinen mangelnden kommerziellen Erfolg beklagt: „In 50 Jahren wünscht ihr euch, ihr hättet damals gesagt ‚Wow!'“ Sehr viele haben das allerdings schon immer gesagt.

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