Der Morgen danach

Für Musik hatte er jahrelang weder Zeit noch Nerven. Jetzt kehrt Familienvater und Weltverbesserer Bob Geldof in die Öffentlichkeit zurück - allerdings nicht ganz ohne Angst.

Deya, Mallorca. Am Pool des teuersten Hotels der Insel sitzt Bob Geldof. Wieder mal fehl am Platze. Während schicke Menschen elegante Badeanzüge zur Schau stellen, hat sich der 47-Jährige weniger Mühe gegeben: ausgetretene Espandrillos, karierte Shorts, lila-weiß-gepunktetes Hemd, kaputter Strohhut Er gehört nicht hierher. Er macht Ferien, aber nebenan in einem gemieteten Haus: „Ich nenne es gerne rustikal, doch eigentlich ist es primitiv.“ Seine vier Kinder – Fifi (18), Peaches (12), Pixie (11) und Tiger Lily (5) – schlafen aus Angst vor dem alten Gasofen oft auf der Terrasse.

Bob Geldof geht es gut. Er hat seine neue Frau Jeanne dabei, testet jeden Abend Rotweine und ist entspannt. Bis er anfängt, über sich selbst nachzudenken. „Ich verstehe mein Leben nicht Es ist so extrem. Dabei tue ich doch gar nichts dafür. Ich bin eine personifizierte Seifenoper.“ Das Happy End sieht er nicht Zwar läuft sein Leben neuerdings wieder in ruhigeren Bahnen, aber Zufriedenheit kennt der Ire nicht „Zeig mir einen zufriedenen Menschen, und ich zeige dir eine verdammte Matschbirne. Wie könnte ein intelligenter Mensch das Gehirn dazu bringen, nicht mehr zu arbeiten? Wie?“ Geldof hat zu viel, über das er nachdenken kann, immer noch.

Man erinnert sich an all die Stationen seines Lebens, als wäre man dabei gewesen. Man hat alles gelesen. Boomtown Rats. „Live Aid“. Die lange Ehe mit Moderatorin Paula Yates. Die Trennung, weil sie sich in INXS-Sänger Michael Hutchence verliebte. Der Sorgerechtstreit um die drei Kinder. Der bizarre Tod Hutchences, später Yates‘ eigener durch eine Überdosis Alkohol und Drogen. Geldof adoptierte Tiger Lily, das Kind von Hutchence und Yates. Er verkaufte seine TV-Company Planet 24 für viele Millionen Pfund und steht jetzt finanziell besser da denn je. Sein Internet-Reisebüro und seine Medien-Firma laufen gut, vielen Dank. Das ist Bobs kleinste Sorge.

Dieser Tage veröffentlicht er mit „Sex, Age & Death “ zum ersten Mal seit 1992 wieder ein neues Album. Eines, auf dem er alles thematisiert, was in den letzten Jahren passiert ist Die Vorstellung, dass demnächst sämtliche Texte nach Bezügen zu Paula durchforstet werden, ist ihm ein GräueL „Die Platte ist schon lange fertig, aber ich wollte sie gar nicht rausbringen. Das Intenesse der britischen Presse war mir sowieso schon zu viel. Ich habe jetzt richtig Angst davor, was sie schreiben werden.“ Er erinnert sich daran, dass einst „50,60 Reporter vor der Tür“ standen und wünscht sich die Zeiten nicht zurück. Außerdem sorgt er sich um seine Kinder. „Sie haben das Album gehört, aber sie achten nicht so auf die Texte. Sie finden meine Musik eh scheiße, immer heißt es: You’re crup, dad.“

Dass die Platte Mist ist, findet Geldof nicht. Aber er kann verstehen, wenn manche Leute die Texte nicht mögen. Bei, Jxiside The Head“, ruft er – wohl in Richtung Hutchence – immer wieder „What the fuck’s going on inside your head“. Der „$6 000 000 Loser“ ist dagegen wohl eher er selbst. „Die Lyrics sind vielleicht derbe, aber sie sind nun mal wahr. Wer meine Musik kennt, weiß, dass ich immer über Persönliches schreibe. Ich kann nicht anders.“

Den Namen Paula kann er heute noch kaum aussprechen, die Trennung bezeichnet er stets nur als „the thing“. Und diese „Sache“ hat er längst nicht überwunden. “ Ich schäme mich für das, was mir passiert ist. Ich habe dieses schreckliche Gefühl, versagt zu haben.“ Er murmelt vom „großen Scheitern“ und „Bedauern“ und schüttelt den Kopf über das eigene Schicksal: „Es war so extrem. So extrem. Fast Shakespeare-haft Am liebsten hätte ich mich für ein paar Jahre in eine einsame Ecke am Ende des Planeten verzogen, aber ich musste ja für die Kinder da sein.“ Er erzählt von seinen „phantastischen“ Mädchen und welche Talente sie haben und wie glücklich sie ihn machen. Nur damals nicht so sehr, nach „the thing“: „Durch die Kinder war alles viel, viel, viel, viel schwerer. Wenn du nur Mann und Frau bist, verliebst du dich und irgendwann trennst du dich vielleicht und leidest. Man weiß, das kann passieren. Aber ich war so am Ende, konnte kaum atmen. Atmen war anstrengend. Man will weglaufen, doch man kann nicht“

Um sich irgendwie von sich selbst abzulenken, engagierte sich Bob Geldof mit Bono bei der „Drop The Debt“-Kampagne, reiste mehrmals nach Afrika und arbeitete beim Londoner Radiosender XFM ein paar Monate lang als DJ. Eine komische Aufgabe für einen, der mit niemandem reden wollte und sich am liebsten zu Hause verkrochen hätte. „Ich habe den Job gehasst, aber dadurch konnte ich wahnsinnig viel anhören, Demo-Tapes und so. Das war aufregend, denn Musik bedeutet mir immer noch alles.“ Die Sounds, die er im Radio hörte, hatten jedoch kaum Einfluss auf seine eigenen Lieder: „Nach so langer Zeit schreibe ich einfach Bob-Geldof-Songs.That’s it.“

Fünf Jahre lang konnte er allerdings gar keine Songs schreiben, „wegen der persönlichen Umstände“. Er konnte eigentlich überhaupt nichts mehr. „Ich schlief nicht. Ich stand nicht auf. Ich lag einfach da. Freunde haben für mich gekocht.“ Geholfen hat ihm vor allem Bassist Pete Briquette, der schon bei den Boomtown Rats dabei war. „Er spielt seit 25 Jahren meine Songs, kennt mich also sehr gut Er brachte Equipment mit und meinte, wenn ich soweit sei, könne ich jederzeit anfangen zu spielen.“ Manchmal schnappte sich Bob Geldof eine Gitarre, aber ihm fiel nichts ein. Ein bisschen Krach fabrizierte er, mehr nicht Briquette fing an, mit Sounds zu experimentieren, er hatte ja sonst nichts zu tun. Langsam gewöhnte sich Geldof wieder an Musik und begann, auf einem Block zu notieren, was ihm gerade in den Sinn kam. Erste Song-Fragmente entstanden. Sehr, sehr langsam ging das

Leben wieder los: „Ich musste mit allem neu anfangen. Als Mann habe ich überhaupt nicht mehr funktioniert, als Mensch auch nicht Es ging gar nichts. Ich war in einer Art Koma – auch als Musiket Alles war tot Meine Freunde haben die letzten Reste von Lebendigkeit langsam wieder aus mir herausgekitzelt“

„Sex, Age &Death“erinnert nur in den melancholischen Momenten an die vorherigen Folkpop-Werke „The Vegetariaw OfLwe“ und ,Jhe Happy Club“. Es ist schon ein deprimierendes Werk, klingt müde und erzählt von „Trauer und Schmerz und Verlust und Leere und Wut und Bitterkeit“, aber es endet mit einem Funken Hoffnung. „Es ist ein Album für zwei Uhr morgens – wenn du alleine bist, keine Flasche Wein hast, nichts Romantisches.“ In der Tat. Als es fertig war, hörte Geldof es nie wieder an, und doch kann er sofort sämtliche Songtexte rezitieren. Sie sind ja sein Leben. „Natürlich habe ich Angst, dass ich zu viel offenbart habe. Oder dass keiner versteht, worum es geht, wenn er mich nicht kennt Butfuck it, anyway.“

Geldof sagt gerne „fuck“ und „shit“ – vor allem, wenn es um Politik geht oder um die Rezeption seiner selbst in der britischen Presse. Letztere ärgert ihn oft, denn seit „Live Aid“ bekommt er dauernd Stempel aufgedrückt, die er nicht mag. Trauerkloß. Wundervater. TV-Tycoon. Am schlimmsten aber war „Saint Bob“. Natürlich sei er stolz auf „Live Aid“, aber zu sehr suhlen möchte er sich nicht in der Vergangenheit. Doch dann kommt er noch einmal auf das Thema „Glück“ zurück. Obwohl Geldof keine Matschbirne ist, gab es damals diesen einen Moment in dem er absolut zufrieden war: „Der komplette ‚Live Aid‘-Tag war chaotisch. Ich hatte Angst, dass alles schiefgeht, kein Geld reinkommt Irgendwann musste ich mit der Band auf die Bühne. Ich sah scheiße aus, wie üblich – hatte nicht mal Zeit, anständige Klamotten anzuziehen. Dann spielten wir ‚I Don’t Like Mondays‘, ich sang die Worte ,The lesson today is how to die‘, stoppte – und in dem Moment brach alles über mich herein. Da spürte ich die Größe dieses Ereignisses. Erst dann. Da fühlte ich für ein paar Sekunden absolute Ruhe, Konzentration und Kontrolle über mich selbst. Einmal in meinem Leben. Dann habe ich geblinzelt, und es war vorbei. Danach habe ich so was nie wieder erlebt“

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