Der neue Staat iPad

Bestseller-Autor und „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher liebt sein neues Spielzeug, warnt aber vor einer Apple-Politik, die Inhalte beeinflussen und Regeln nicht debattieren will.

Es hat keine 48 Stunden gedauert, bis ich vom iPad umprogrammiert wurde. Es ist eine ziemlich lückenlose Vernetzung von Phantasie, Hirn und Körper. Neu verschaltet wurden zunächst meine Nervenverbindungen zwischen Auge, Finger und Knie. Das hat damit zu tun, dass das iPad sich danach drängt, aufs Knie genommen zu werden. Das „Tableau vivante“ unserer Zeit wird in Cafés oder Zügen der Mensch sein, der auf sein Handy starrt. In den eigenen vier Wänden wird es der Mensch sein, der mit hochgezogenen Knien auf dem Sofa oder auf dem Sessel im iPad liest. Das iPad ist das anhänglichste Haustier, das man sich vorstellen kann.

Verlässt man ein Zimmer seiner Wohnung, um in das nächste zu gehen, will er mit. Man spürt das sofort, wenn man ihn einmal vergessen hat. Durch irgendeinen mir ganz und gar unverständlichen Mag- netismus ruft er einen zurück. Man nimmt es unter den Arm, wie man das vielleicht mit einer Katze tun würde, und die Amputation, die man spürte, als man es vergaß, ist sofort geheilt.

Natürlich kennt man so etwas auch vom Handy. Der Unterschied ist nur, dass es sich im Falle des iPad um eine häusliche Amputation handelt. Man spürt nicht, dass man sein Handy überall dabei hat. Dazu ist es zu klein und unscheinbar. Beim iPad ist es anders. Sein Wesen ist, dass man ständig spürt, dass man es im Arm hält. Und jedes Mal scheint es zu sagen: Ich bin da, aber ich bin so leicht, so anschmiegsam – und trage alles, was Du brauchst, mit mir herum.

Das ist der berühmte Spruch des Anaximander: Ich trage alles meinige mit mir herum. Anaximander meinte damit, der Mensch ist alles, was er braucht. Das iPad sagt das Gegenteil: Ich bin alles, was du brauchst, und darin, wen würde es wundern, besteht das Ansteckungsrisiko dieses wunderbaren Haustiers. Dennoch: Die Tricks, die das iPad kennt, um uns gefügig zu machen, sind bestechend, und sie werden erfolgreich sein.

Das iPad zitiert auf seiner glänzenden Oberfläche Metaphern. Das Bücherregal beispielsweise ist aus wunderbarem Holz. Und als Metapher, als die digitale Signatur von Holz, wird es auch die Zeitung zitieren. Ich werde sie dort lesen, und zwar als perfekt simulierte Version einer Papierzeitung. Sie wird rascheln, man wird sie umblättern können, man sollte sie falten können, man sollte auf ihr herumkritzeln können, und sie wird einen Anfang und eine Ende haben.

Diese perfekte Simulation ist nichts anderes als das Fell der Katze. Man wird immer ein echtes Lebewesen haben wollen. In unserem Fall ein Lebewesen aus Druckerschwärze und Papier. Aber das iPad wird dieses Leben verdoppeln können.

Schon vor der Auslieferung des iPad in die Hände der Nutzer zeigte die Debatte vor allem eines: Das iPad ist interessant in allem, was es nicht ist. Es ist kein Gerät, das die Grenzenlosigkeit moderner Kommunikation weiter vorantreibt. Im Gegenteil, es simuliert eine Insel im Strom des Geschehens. Natürlich ist die Geschlossenheit des Systems ein Zeichen für die Geschäftspolitik des Apple-Konzerns. Es könnte durchaus sein, dass Apple versucht, der autoritäre Herrscher auf dieser Insel zu werden. So faszinierend der Kontakt mit dem iPad ist – alles, was man aus den USA hört, klingt weniger nach der Entwicklung und Vermarktung eines Geräts, als vielmehr nach der Schaffung und Gründung eines Staates. Das fängt damit an, dass Apple auf Inhalte Einfluss nehmen will oder sich zumindest vorbehält, über sie mit zu entscheiden. Ein derartiges Ansinnen hätte noch vor wenigen Jahren zu einem Aufstand der öffentlichen Meinung geführt. Offenbar lesen wir aber heute solche Entscheidungen auch fast nur technisch. Es ist so, als würde Apple eine Art Straßenverkehrsordnung verkünden, an die man sich zu halten hat. Und über die nicht debattiert werden kann.

Das muss man wissen, wenn man das Haustier unter seinem Arm durch die Wohnung trägt. Es ist verführerisch und anschmiegsam, und an seinem Erfolg kann kein Zweifel sein. Aber während wir uns mit ihm in eine andere Welt begeben, tritt auch jemand in unsere Welt ein.

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