Der Schülersprecher

Das ehrliche Gesicht der Talkshow: Günther Jauch lässt unter seiner Berliner Donnerkuppel staatstragende Themen von Staatsleuten verhandeln.

Als nach den üblichen Präliminarien, der Wichtigheimerei und wohlfeilen Spottlust die Marke Günther Jauch unter dem Titel „Günther Jauch“ tatsächlich auf Sendung ging, fanden das die meisten Beobachter solide und einige suboptimal. Beklagt wurde: 1. In dem Berliner Gasometer herrsche ein Hall wie in einem Gasometer. 2. Der Gasometer erinnere an ein Zirkuszelt oder an die Donnerkuppel in „Mad Max 3“ (mit Tina Turner). 3. Die Sendung wirke wie „stern tv“ ohne Tiere, Unfallopfer und Werbepausen. 4. Günther Jauch habe wieder Karteikarten in der Hand. 5. Günther Jauch frage wie Günther Jauch. Thema der Sendung war der Krieg in Afghanistan und ob die Bundeswehr zu Recht daran beteiligt sei. Ja, sagte Peter Struck. Nein, sagte Elke Heidenreich. So nicht, sagte Jürgen Todenhöfer. Die Amis, sagte Jürgen Klinsmann.

Über Twitter stänkerte die Freundin von Anne Will, der Jauch den Sendeplatz geraubt hatte, es sei ja gut, dass „stern tv“ jetzt auch im Ersten gezeigt werde. Seitdem herrscht Ruhe über dem Talk-Gasometer, die Einschaltquoten sind stabil – vor „Günther Jauch“ läuft „Tatort“ oder „Polizeiruf“ wie früher vor „Anne Will“, die Kulissen sind rot-braun statt braun-rot, und Jauch hatte schon zwei Scoops. Einmal befragte er wie der eifrige Schülersprecher die Kanzlerin, die keine Mühe hatte, ihm die Unverzichtbarkeit des Euro-Rettungsschirms und der Rettung der Griechen zu demonstrieren. Jauch machte dieses Zitronengesicht, über das die Kandidaten bei „Wer wird Millionär?“ so ausgiebig nachdenken, weil sie eine Antwort darin erkennen wollen. Die Merkel schaute gar nicht hin, sie kennt die Gesichtsausdrücke von Obama und Sarkozy; dies war nur ein weiterer Überzeugungstermin für eine Öffentlichkeit, die sowieso nichts davon versteht. Ein paar Wochen später deutete Merkel an, dass man Griechenland doch fallen lassen könne, auch dafür sei man gewappnet.

Jauchs zweiter Coup war die Verpflichtung des Weltweisen Helmut Schmidt, 92, und seines Schützlings Peer Steinbrück, 64. Die beiden Hanseaten haben ein hochnotpeinliches Dialogbuch veröffentlicht, „Zug um Zug“, auf dessen Titelbild sie an einem falsch aufgestellten Tisch angeblich Schach spielen. Tatsächlich war Schmidt gerade aus dem Mittagsschlaf gekommen, der Fotograf hatte schon alles vorbereitet, und Steinbrück hatte an Wichtigeres zu denken als an das „bescheuerte Schachbrett“, wie er später sagte. In der Sendung machte Schmidt Denkpausen, die wie einst bei Professor Hastig in der „Sesamstraße“ so wirkten, als wäre er bereits eingenickt. Die beiden Weltökonomen waren sich einig wie bereits in ihrem Schachbuch und in einem „Spiegel“-Gespräch, das am nächsten Tag erschien mit einem Foto von Schmidt und Steinbrück, aber ohne Schachbrett. Die beiden fanden sich gut an jenem Abend bei „Günther Jauch“, und Günther Jauch fand sie auch gut – es hätte auch nicht viel genützt, den Staatsmännern vitriolische Fragen zu stellen, denn Helmut Schmidt hört nicht mehr viel, und Peer Steinbrück schwadroniert einfach immer weiter. Aber irgendwann würde man gern erfahren, weshalb Schmidt die Todesurteile und Menschenrechtsverletzungen in China für eine Angelegenheit der Chinesen hält, in die man sich nicht einzumischen habe und die der Westen nicht recht verstehen könne.

Es ist nicht die Sache von Günther Jauch, um die Wahrheit zu kämpfen. Er ist ein Moderator, er ist skeptisch, er fragt nach. Manchmal insistiert er. Kürzlich hat er einfach nicht verstanden, weshalb Papandreou nicht gleich gesagt hat, dass er über den Schuldenschnitt für Griechenland das Volk abstimmen lassen wolle. Ursula von der Leyen antwortete nicht auf die Frage, sondern behauptete, das Volk der Griechen sei schon weiter als die Politik. Jauch fragte noch einmal. Von der Leyen sagte, sie sei nicht dabei gewesen, aber das müsse Papandreou wohl später eingefallen sein, als er schon wieder zu Hause war.

Als er das Licht ausstellte, vielleicht.

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