Der Teufel trägt Topshop

Kate Jackson von den Long Blondes ist die neue englische Stil-Ikone - und weiß Rat für alle Lebenslagen

Glaubt man alten Bücher-Mängelexemplaren, dann war es früher mal ein Zeichen gesellschaftlicher Girl-Power, wenn die Girls im bauchfreien Power-T-Shirt keck durch die steifen Reihen der Bankangestellten kurvten. Jetzt haben auch die ganz jungen Mädchen plötzlich Perlenketten um und knielange Röcke an. „Like some kind of Fifties housewife“, singt die Band The Long Blondes in einem Lied (wenn auch, zugegeben, in einem völlig anderen Zusammenhang).

Sonntagnacht, erster Termin der ersten großen Großbritannien-Oktober-Tour der Long Blondes im Arts Centre in Norwich, lange ausverkauft. Man fragt sich natürlich nicht ernsthaft, ob man hier in eine Studentenverbindungs-Party der 6oer Jahre geraten ist, aber man muss sich doch sehr wundern: Hä? Grüne Blusen mit weißen Punkten, seitengescheitelte Ponys, Unterröcke, Baskenmützen, Second-Hand-Geglitzer, Abschlussball-Schühchen, dazwischen die Jungs mit ihren Jeans klar in der Verlierer-Rolle. Wenn die Girls sich schon hier in East Anglia fürs Konzert so aufzwieseln, wie wird das erst in London sein?

Sie machen das nicht für jeden – in diesem Fall machen sie es wegen Kate Jackson, der 26-jährigen Blitzlicht-Frau und Sängerin der Long Blondes aus Sheffield, die schon vor einem Jahr – als die Band erst die England-typischen „paar Singles“ veröffentlicht hatte – in der Beilage der „Guardian“-Tageszeitung auf einem Mittelseiten-Fashion-Poster vorgestellt wurde und da auch die Frage gestellt bekam, wie sie es bloß so irrsinnig schnell in die Cool-Liste des „New Musical Express“ geschafft habe. „Vielleicht hatten die nicht genug Mädchen“, antwortete Jackson so cool wie versprochen. „Die Liste war derart überfüllt mit langweiligen Jungs, dass sie jemand brauchten, der ein bisschen Glamour hineinhaucht.“ Auf der Bühne in Norwich stöckeltänzelt Kate Jackson im goldgefaserten, schwarzgestreiften Pullöverchen, mit großzügig geschlungenem Geparden-Schal und einem schwarzen Pencil-Skirt, so unvorstellbar kurz, dass er die Hüftschwünge eben noch erträgt. Und trotzdem trauen sich die Männer kaum hinzuschauen, denn sie haben Angst. Die Long Blondes sind eine schroffe Band, die fünf bunten Herrschaften vermeiden jeden Eindruck, dass dieses Konzert eine Teeparty sein könnte. Es gibt die in der Pop-History viel zu seltenen Momente, in denen die Sängerin etwas singt und die Gitarristin auf der einen und die Bassistin auf der anderen Seite im Chor etwas anderes hinterherbrüllen. Kate Jackson ist mit ihrer dunkelbitteren Stimme und ihrer Iris-Berben-Haftigkeit viel, viel zu groß für die Art von Erotik, der sich das männliche Publikum hier noch gewachsen fühlen würde.

Es sind nämlich die Mädchen, die vor der Bühne hüpfen und wie übergeschnappt nach den Händen der Nachbarinnen greifen, als die Long Blondes ihren schnellen neuen Hit spielen, den Wahnsinns-Singalong „Once And Never Again“, in dem Kate Jackson mit 26 Jahren den unpopulären, aber altersweisen Frau-zu-Frau-Ratschlag gibt, dass man sich als Teenage-Girl mit den kleinen Jungs nur unnötigen Arger ins Haus holt: „You’re only 19, for God’s sake – you don’t need a boyfriend!“ Im Internet diskutieren Pop-Freunde ausführlichst, was der Liedtext, die enthaltenen Anspielungen auf Selbstmordversuche und lesbische Liebe genau bedeuten. Geschrieben hat den Song übrigens ein Mann, Gitarrist Dorian Cox. „Es kann doch kein Fehler sein, wenn sich die jugendfixierte Popmusik mit erwachsenen Sachen beschäftigt“, fordert der lockenköpfige Schlagzeuger namens Screech beim Interview im Norwicher „Pizza Express“, und Gitarrist Cox nimmt als Vergleich kaum zufällig die Arctic Monkeys her – die sind erstens die britische Band des Jahres, sind zweitens sprichwörtlich jung und drittens, wie die Long Blondes, aus Sheffield, der Uni-Stadt im nördlichen Dreieck zwischen Manchester und Leeds: „Die Arctic Monkeys singen über die Welt, die sie kennen, und das machen sie hervorragend. Wir sind halt ein bisschen älter, wir haben eher das Gefühl: Kennen wir alles, haben wir hinter uns – beschäftigen wir uns lieber mit anderen Dingen. Mit der Politik der Liebe zum Beispiel. Ich glaube, dass sich davon mehr Leute angesprochen fühlen, als wenn wir über bestimmte Chip-Shops in Sheffield singen würden.“

Die Long Blondes sind Mitte 20, haben alle Examen und fühlen sich so unendlich alt dabei, dass sämtliche Bandmitglieder jovial lachen, sobald das Thema aufkommt.

Aber Obacht: Letzte Woche haben wir noch darüber gejubelt, wie die Arctic Monkeys oder Mike Skinner von The Streets den sozialen Realismus in den weißen englischen Pop zurückgebracht haben, den die schwarzen HipHop-Kids schon seit Jahrmillionen singen. Das wäre jetzt etwas zu wohlfeil, gleich wieder das Gegenteil zu behaupten – dass man den Ärger mit dem Chef, den Bar-Türstehern, den Boy- und Girlfriends nicht auch noch in der Musik hören will, mit der man den Feierabend feiert, und dass Pop doch ein glamouröser Gegenentwurf sein soll.

Das Spezielle, möglicherweise Erwachsene an der Band Long Blondes ist ja, wie sie aus diesen Kampfzonen berichtet und trotzdem den hohen Ton bewahrt, den man höchstens von großen Sixties-Singles der Shangri-Las oder Dusty Springneids und von modernen Meistern wie den Smiths und Pulp kennt. Wie Kate Jackson mit höchster Contenance im wangenknochigen Funk „Giddy Stratospheres“ vor einer fressgierigen Herzensbrecherin warnt („She will never take you higher than her attic room“), in der überstürzt skandierten Ausbrecher-Fantasie „Separated

By Motorways“ die Freundschaft zwischen Frauen preist („Wipe your eyes, darling, it’s okay/ Meet me on the dual carriage way“) und in „Heaven Help The New Girl“ dem 19-jährigen Mädchen auf dem Hit-Song zugesteht, dass es nach reiflicher Überlegung auch ruhig mal mit dem falschen Mann mitgehen könne.

„Romantischer Realismus“ nennt Kate Jackson die Strategie: „Kein reiner Eskapismus. ,Motorways‘ zum Beispiel handelt genau davon, wie ich als Teenager in Norfolk immer davon geträumt habe, ‚.n die große Stadt zu ziehen, wie ich die Stadt in meinen Gedanken idealisiert und romantisiert habe. Als ich dann in Sheffield war, fühlte ich mich dort noch viel entfremdeter und einsamer. Was allerdings dazu führte, dass ich mir vorgestellt habe, mit meinen Freundinnen von Zu Hause irgendwohin abzuhauen, wo es besser und schöner ist.“ Am Ende potenzieren sich die Fantasien doch nur.

Weil Jackson und Gitarrist Cox abwechselnd die Texte schreiben, geht geschlechtermäßig in den Songs der Long Blondes schon einiges durcheinander. Sie seien auch abseits vom Biologischen eine feminin klingende Band, sagt Drummer Screech. „Das schönste Kompliment, das ich je bekommen habe, war: ,Du trommelst wie ein Mädchen!'“ Selbst beigebracht haben sie sich ihre Instrumente erst, nachdem im Frühjahr 2003 die erste Gründungsphase in Sheffielder Kneipen abgeschlossen war – Student war zu dem Zeitpunkt keiner mehr, alle hatten Arbeit. Was sie für den Geschichts-Abschluss gelernt hat, nützt Kate Jackson heute noch anflugweise beim Konzipieren und Malen der Cover-Ikonenbilder. Für das Debütalbum „Someone To Drive You Home“- produziert von Ex-Pulp-Bassist Steve Mackey, weil die Plattenfirma Rough Trade Jarvis Cocker als zu großes Risiko sah – lehnte sie die Amerikanerin Faye Dunaway an den typisch britischen Ford Cortina.

Eine solche Collage ist die ganze Band, ein Ding aus Dichtung und Wahrheit, aus weiblich und männlich, Großstadt und Provinz, erziehungsberechtigt und unmündig, Sixties-Posiererei und Fußtritten in die Gegenwart. Und auf einmal versteht man, warum es gar nicht so neokonservativ ist, wie die Mädchen mit Abendgarderobe und lackierten Nägeln bei den Long Blondes in die erste Reihe springen: weil sie ihre eigenen Models sind, weil sie sich das Zeug doch im Charity-Shop selbst zusammengesucht haben, für zehn Pfund pro Kleidungsstück. Das hat Kate Jackson im „Guardian“-Style-lnterview als Richtpreis für die eigene Auswahl angegeben. Es wird nicht mehr lange dauern, bis britische Designer vor ihr herumkriechen und den Rocksaum abstecken werden. Sie wird nicht nein sagen, wäre ja auch blöd.

Auf die große Tournee der Long Blondes durfte Kate Jackson übrigens, wie alle anderen, nur einen einzigen Koffer mitnehmen. Im Bandbus war nicht mehr Platz.

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