Der WDR zeigt mit der Serie POP 2000 ein opulentes Kaleidoskop schwarzrotgoldener Musik-Identität in einem halben Jahrhundert

Kann man im Rahmen einer TV-Serie 50 Jahre Jugendkultur und Pop Musik in beiden deutschen Staaten erzählen, ohne in den derzeit hochbrodelnden Taumel der Jahrtausendchroniken zu verfallen? Und gibt es überhaupt eine Jugendkultur in Deutschland? Fragen, die vor zwei Jahren ein Redaktionsteam der Hamburger TV-Produktionsfirma Me Myself & Eye (MME) optimistisch mit Ja beantwortete. Tausende Arbeitsstunden später löst das Ergebnis der Idee, die zwölfteilige Dokumentation „Pop 2000“, seit der Ausstrahlung der ersten Folge Mitte September beim WDR erwartet heftige Reaktionen aus: Fernsehkritiker loben die in dieser Form einmalige Recherche in den Archiven der öffentlich rechtlichen Sender, und Pop-Theoretiker vermissen angesichts der Überfülle visueller Fundstücke im enormen Steinbruch der nationalen Jugendkultur ein durchgezogenes, klares Erklärungsparadigma.

Doch dieses war eben nicht das Ziel ihrer Macher. Stefan Kloos, Filmautor und Leiter des „Pop 2000“-Projektes, erläutert: „Am Anfang stand die Idee, erstmals die Geschichte der populären Musik in Deutschland zu erzählen. Die Idee, Musik einer Nation als Teil ihrer Identität zu begreifen, als Spiegel gesellschaftlicher und kulturgeschichtlicher Phänomene zu sehen, Musik als Soundtrack zum jeweiligen Zeitgeist und Zeitgeschehen zu verstehen.“ „Pop 2000“ erzählt – und das ist zugleich Stärke wie Schwäche dieser Reihe – dies alles in der Form eines Puzzles aus höchst unterschiedlichen Subjektiven. Die Informationen stammen aus zwei Hauptquellen. Zum einen wurden die kompletten Bestände der ARD-Anstalten so detailliert nach brauchbaren Versatzstücken der verschiedenen Zeitphasen durchforstet, bis ein Teil der Archivare mit Kündigung drohte. Und zum anderen führten die Produzenten und Autoren der Folgen insgesamt 100 Interviews mit einschlägigen Zeitzeugen.

Interviews, die zwar nicht viel mehr hergeben als die höchst individuellen Sichtweisen der Befragten, zusammen genommen aber eben durch ihre subjektiven, selbsterlebten Anekdoten erhellende Schlaglichter auf die jeweilige Zeit werfen. Neben den üblichen Verdächtigen (Niedecken, Kunze, Grönemeyer, Westernhagen) kommen mit Gesprächspartnern wie Til Schweiger, Heike Makatsch, Reinhold Beckmann, Esther Schweins oder Rolf Zacher allerdings auch Promis zu Wort, die sich eher durch ihre schiere Prominenz als durch substantielle Beobachtungen zu Zeitzeugen qualifizieren.

Dass „Pop 2000“ dennoch zu einer der besten TV-Dokus über diesen Themenkomplex geworden ist, liegt vor allem an dem Spaßfaktor. Egal, wann ein Zuschauer zwischen 1950 bis 1999 pubertiert hat – in einer der Folgen findet er garantiert seinen ganz persönlichen Einstieg in eine Serie, die einen allein durch ihre opulente Optik und nicht zu schnellen Schnitt auf eine Reise in die eigene Vergangenheit mitnimmt. Und dies gilt ebenso für alle diejenigen, die ihre Jugend auf der östlichen Seite der Mauer erlebt haben: Erstmals wird parallel zur bundesdeutschen Geschichte der Popmusik auch die in der DDR beleuchtet. Das bietet eine zweite, verspätete Chance des Zusammenwachsens. Die erste hat der Westen bereits, wie Kontstantin Wecker in einer der Folgen sagt, versiebt: „Es war arrogant und überheblich zu denken, dass wir hier ein paar arme Bürger zu versorgen haben, denen man mal eine Banane in die Hand drücken und ihnen dann zeigen muss, wo es langgeht. Diese Arroganz hat uns die einmalige Chance vermasselt, von unseren Mitbürgern aus der DDR etwas zu lernen.“

Für die 3. Programme der ARD gilt die Serie als Zentralereignis zum Thema Pop-Rückblick am Ende des Jahrhunderts – und wird dementsprechend behandelt: Bis ins Frühjahr 2000 werden die Folgen auf allen Kanälen der ARD insgesamt 96-mal ausgestrahlt. Gleichzeitig entwickelt „Pop 2000“ sich zu einer breiten Aufarbeitungsplattform: Der WDR sendet auf seinem Hörfunk-Programm „Eins Live“ seit Juli jeden Mittwoch drei Stunden lang die Musik zur Serie, Herbert Grönemeyer hat dazu eine CD-Box kompiliert, und im Hamburger ideal-Verlag erscheint ein Buch.

„Pop 2000“ berichtet vom halben Jahrhundert Popmusik und Jugendkultur im wesentlichen chronologisch, erlaubt aber zeitliche Überschneidungen der Folgen, um die phänomenologischen Einheiten nicht zu zerschneiden. Das so entstehende Bild kann – innerhalb der natürlichen Grenzen des Primats linearer Erzählweise im Medium Fernsehen – niemals vollständig sein, zeigt aber eine Kultur, die immer hin- und hergerissen war zwischen angloamerikanischem Import und eigenständigen Ideen, zwischen der Kraft des Undergrounds und einer vereinnahmenden Macht der Kommerzialisierung. Und es erlaubt Kritik an der beständigen Nabelschau der Branche: „Die Musikindustrie macht imjahr weniger Geld als die Weihnachtsbaumindustrie“, blinzelt Campino in einem seiner zahlreichen O-Tönen. „Da weiß man doch, wo man steht.“

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