Der Zigeunerbaron

Wie Thomas Gottschalk auf Mallorca das Samstagabend-Ritual von „Wetten, dass..?“ inszenierte.

Fast noch schöner als das Ritual selbst ist es, über das Ritual zu schreiben. So lesen wir seit Jahren, dass eine Kindheit in den frühen 80er-Jahren im Wesentlichen darin bestand, am Samstagabend in die Badewanne zu steigen, dann in Muttis Kuschelhandtuch gewickelt zu werden und mit nassen Haaren und im Kreis der Familie „Wetten, dass..?“ zu gucken, wo Karlheinz Böhm wettete, dass nicht einmal jeder dritte Zuschauer eine Mark für Äthiopien überweisen werde – so kam es aber, woraufhin er das Geld nahm und in Afrika viele Brunnen, Krankenhäuser und Schulen bauen ließ. Frank Elstner moderierte die Show damals, und einmal turnten Demonstranten unter dem Hallendach, die dann ihr Anliegen vortragen durften, weil der liberale Gastgeber in seiner Sendung niemandem den Mund verbieten wollte – auch nicht, wenn er von der Hallendecke kam.

Das sind so die Erinnerungen. Von den Wetten blieb nur der Buntstift-Schummel von diesem „Titanic“-Typen, den keiner lustig fand. Von den Moderatoren blieb Thomas Gottschalk, der Frank Elstner 1987 ablöste. Für ein Jahr kam 1992 der Ossi Wolfgang Lippert, ein Grabscher und Schwätzer, der bald ersetzt wurde durch – Thomas Gottschalk. Der hatte die „Late Night“ für Deutschland erobern wollen, doch seine sinnlosen Fragen machten ihm das Publikum abspenstig, woraufhin er resignierte und befand, in Deutschland gebe es halt keine Stars, deshalb könne man solch eine Show gar nicht machen. Seitdem wurde sie natürlich immer wieder gemacht, und sogar Thomas Koschwitz machte sie besser als Gottschalk.

Bei „Wetten, dass..?“ ist der Hallodri in seinem Element, weil die Wetten noch absurder sind als sein Gerede. Gottschalk ist eine Plaudertasche, er hat ein einnehmendes Wesen und weiß von ein paar Dingen etwas, aber nichts genau. Er geht gern ins Kino, früher hörte er gern Rockmusik, die spielte er in den Siebzigern im Radio von Bayern 3, das soll sensationell gewesen sein. Gottschalk redet zwanghaft, alles geht durcheinander; seine eingeübten Witzeleien fanden manche Zuschauer früher „provokant“. Gefährlicher aber ist sein loses Mundwerk, das ihn mit Hans-Joachim Kulenkampff verband, der sich auch gern an Frauen heranwanzte und dümmliche Anspielungen machte. Beide glaubten fest daran, dass sie so umwerfend und geistreich sind, dass jede mehr oder minder berühmte Dame von ihnen blöd angequatscht werden will.

Als Gottschalk 50 Jahre alt wurde, fanden viele Leute den Stenz für eine Weile peinlich. Tatsächlich hatte er das Selbstverständliche verloren. Doch bald ging es wieder. Der „Bild“-Philosoph Norbert Körzdörfer vermutet, der Fernsehmann habe „den Marschallstab des Glücks im Tornister“. Gottschalk wanderte nach Kalifornien aus, ging weiterhin sehr gern ins Kino und freute sich darüber, dass er nun nicht mehr erkannt wurde – aber er freute sich auch, als er von einem Limousinen-Chauffeur doch erkannt wurde. Immer häufiger wurde er nach seinem Abschied gefragt, und stets antwortete er, er werde mit „Wetten, dass..?“ in den Hades fahren und die Sendung mit ihm. Das war also erledigt. Der Graf Koks von „Haribo“ lässt ihn weiterhin in Reklamefilmchen herumhampeln, obwohl Gottschalk aussieht wie der Onkel, dessen Bonbons die Kleinen nicht annehmen sollen.

Zu seinem 60. Geburtstag kürzlich gab er keine Interviews; Günter Jauch wollte sich über den alten Weggefährten nicht äußern, denn sie hatten mal beschlossen, dass der eine über den anderen frühestens wieder schreibt, wenn es an den Nachruf geht. Nach dem Geburtstag wurde Gottschalk zum ersten Mal Großvater. Und danach präsentierte er in der Stierkampf-Arena von Mallorca – zum dritten Mal – „Wetten, dass..?“. Vor einem Jahr musste Michaelle Hunziker an dieser Stätte in das kalte Wasser eines Plantschbeckens springen, danach wurde sie als Beistellblondine verpflichtet, die sich um die vernachlässigten Kandidaten kümmern soll, während der Chef sich auf dem Sofa um Kopf und Kragen redet.

In diesem Jahr reitet Gottschalk als Zigeunerbaron auf einem Pferd in die Arena, die Hunziker folgt auf einem Esel. Dann kommt Michael Ballack, der Applaus dafür bekommt, dass ihm jemand gegen den Fuß getreten hat, und es kommt natürlich Dieter Bohlen, und Gottschalk imitiert dessen breite Aussprache. Der notorische Zwirbelbartkoch Horst Lichter grillt Würstchen, Cindy aus Marzahn beißt zu. Lionel Richie singt „Dancing On The Ceiling“ und „Hello“, Peter Maffay singt „Sonne in der Nacht“ und, ,Über sieben Brücken musst du geh’n“, als wären die 80er-Jahre niemals vorbei. Nur Joe Cocker und Tina Turner fehlen an diesem herrlichen Abend. Eine fragile Frau schleudert mehrfach einen Traktorreifen um ihre Hüfte, sie wird Wettkönigin. Zwei Männer ordnen Lichters Bratwürste deutschen Fußballstadien zu.

Am Schluss säfteln Mark Medlock und Mehrzad den alten Schmier-Song „Sweat“. Die Arena tobt. Richie und Maffay reiten auf Eseln, der Wortwitz kennt kein Halten mehr. Über Mallorca ist die Sonne untergegangen.Horst Lichter und Jürgen Drews eröffnen die After-Show-Party.

Es muss mal wieder Gottschalks Marschallstab sein!

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