Deutschstunde

August 1997 Mit „Sehnsucht“ von den bizarren Kraftrockern Rammstein und „Es ist egal, aber“ von der subversiven Indie-Band Tocotronic veröffentlichte die Firma Motor Music zwei deutsche Alben, die kaum unterschiedlicher sein konnten.

Sie sind die Schmuddelkinder deutschen Musikschaffens, und wie es sich für Schmuddelkinder gehört: erst belächelt, dann bespöttelt, dann beobachtet, schließlich beachtet. Nun sind Rammstein die Erfolgreichsten, ihnen kann keiner. Ihr Debüt-Album „Herzeleid“, vor zwei Jahren veröffentlicht, war eine kalkulierte Mischung aus Novelty-Gag und Marketing-Hybris: wilde Männer aus dem deutschen Osten als Nachfahren von Clawfinger, Prong, Nine Inch Nails und Popeye, dazu Schauerromantik, Gotik, Schwarze Messe, glänzende Muskeln und brennender Irrsinn, ein bisschen auch Sadomasochismus, Wehrsportgruppe und Stahlgewitter. Ach je.

Nach schleppender Rezeption fiel ein paar Bedenkenträgern auf, dass das alles irgendwie auch nach Blut & Boden & braunem Sumpf roch, wenn man nicht so genau hineinroch – man muss den Anfängen wehren: Laibach, Böhse Onkelz, Störkraft, lauter unschöne Affären, die für Aufregung sorgen im „Spiegel-TV“ und Schatten werfen auf die notorisch korrekt gesinnten deutschen Rockmusiker, die ja stets für den guten Zweck im Einsatz sind und im Zweifel für die Rettung des demokratischen Rechtsstaats, zur Linderung des Hungers in der Welt.

Die Rockmusikbeauftragten fanden das nicht gut, was die Firma Motor Music da angezettelt hatte – weiß man denn, ob nicht die Jugend verführt wird durch solche Gebärden, soviel Ingrimm und schlechte Laune? Und dann diese Assoziation mit dem Örtchen Ramstein in der Pfalz oder wo immer, wo doch bei einer Flugschau ein Flieger abstürzte und ein Inferno auslöste! Das ist böse Absicht, mögen die Burschen auch behaupten, man habe vielmehr an die altertümliche Verstärkung von Toreinfahrten gedacht – Rammsteine, hingewälzt, damit die Kutschenräder keinen Schaden anrichten konnten. Raffiniert.

Diese Typen aus Berlin, Schwerin und überhaupt drüben wussten recht genau, was wirkt und Wirbel macht. Nur sprechen konnten sie noch nicht so gut. Der Sänger und Texter Till Lindemann, ein mürrischer Brüter mit kantiger Hünenstatur, war lustigerweise in der DDR erst Leistungsschwimmer, dann Korbflechter, aber Körbe mussten dann nicht mehr geflochten werden, es gab ja Plastiktüten. Er erkannte im vereinten Deutschland eine Art von „Wildpark“, in dem das Wilde also nur zum Schein wild ist und das Ursprüngliche in Wahrheit domestiziert.

Ihn zog es dagegen heftig zum Wasser, zum Sumpf, zum kochenden Blut und zur rollenden Träne. Er sah Menschen brennen und Schmerzensgestalten um die Kirche schleichen, die Liebe sah er als Naturschauspiel, und die Natur, jawohl, ist grausam. „Dein weißes Fleisch erregt mich so“, geiferte er. „Sex ist eine Schlacht/ Und Liebe ist Krieg.“ Das muss pubertierende Bubis derart erregt haben, dass bierdimpfelnder Pöbel bei einem Konzert in Berlin die Vorsängerin Bobo zum Ausziehen aufforderte.

Das kommt davon. Es dauerte allerdings eine Weile, bis die Botschaft gehört wurde. Plötzlich stiegen Rammstein die Charts hinauf, rutschten wieder herunter und heraus und waren bald wieder da. Am Ende standen sie auf Platz 8. Und jetzt kommt „Sehnsucht“, nachdem schon die Single „Engel“ – ein Duett mit der zarten Frau Bobo – ein echter Hit war. Die Debatten können wieder beginnen, die Unken werden im Reflex „Faschistoid!“ rufen, obwohl sie nicht wissen, was sie damit meinen. Dass David Lynch an dem Ensemble Gefallen fand und die Plattenfirma, wie die Band gern erzählt, eine Ladung CDs zum Set von „Lost Highway“ schicken musste, mildert die Panik nur geringfügig. Der Soundtrack-Beitrag hat Rammstein nicht weniger suspekt gemacht. Denn Lynch, der verrückte Amerikaner, hat ja auch ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt – seine Filme sind nicht so schön gruselig wie die „Rocky Horror Picture Show“ und außerdem unverständlich.

Das kümmert aber die Jugendlichen nicht, die „Herzeleid“ nach der Schule hören und abends im Konzert das eigene unbewältigte Leid vergessen. Sie sind halt geil, diese strammen Kerle, und geil ist auch der Krach, den sie veranstalten, so glatt und geradeaus und metallen, ein Wahnsinn. Man fährt ja auch Inline-Skates und Snowboard, und dabei muss es krachen.

Bei der deutschen Filiale von MTV lässt man es nicht gern krachen, deshalb konnte man das Video zu „Engel“ leider nicht zeigen. Das ärgerte die Jungs von Rammstein so sehr, dass sie bei einem Festival den Statthalter des Senders an einen Stuhl fesselten, daran eine harmlose Fallschirmspringer-Rauchbombe applizierten und sie zündeten. Der arme Mann, eher ein Hänfling, musste krankgeschrieben werden. Das übliche Gezeter in der Presse konterte die Band mit einer „Erklärung“, in der sie den banalen Schabernack zum politischen Fanal gegen Zensur umdeuten wollte. So blöd wie ihre Gegner sind sie schon lange. Im Nachhinein senken sie das Drama nun doch auf die Höhe eines Kindergeburtstags: „Wir geben uns jeden Abend vier, der hat nur eine gekriegt.“

Die neue Platte ist wieder sehr amüsant und gut gemacht. Da möchte Lindemann auf einer Träne reiten, bis nach Afrika, auf der Suche nach dem Schnee vom letzten Jahr undsoweiter, da fordert er barsch „Bück dich!“ und spielt auf der Metaphernorgel, dass die Pfeifen glühen. Alles schon mal gehört und gelesen, doch für den Pflichtskandal müsste es reichen, wenn das Stück endlich in den Läden steht. Dass dieses zum Schreien komische Kasperletheater allen Ernstes in Musikzeitschriften diskutiert wird, wo ganze Leserforen eingerichtet werden, gehört zum Witzigsten an der Posse.

Denn tatsächlich sind Rammstein natürlich Poseure und Wendegewinnler, die ihren Ruhm zuallererst dem Unmut und der Frustration von Modernisierungsverlierern verdanken. Im Himmel keinen Gott, der Himmel die Hölle – und ihr wollt doch auch den Dolch ins Laken stecken! Wenn alles den Bach runtergeht, wendet sich die Menschheit dem außerirdischen Leben, Wasser auf dem Mars und aggressiv mystelndem Schwurbel zu. Rammstein sind die „Akte X“ der deutschen Rockmusik. ARNE WILLANDER

Jetzt geht wieder alles von vorne los. Wie voriges Jahr im Sommer und im Sommer davor (oder war es an einem Dienstag im April?) erscheint die neue Platte von Tocotronic. Nicht der letzte Schrei wie Rammstein zur Zeit, und auch für die Sache mit der Sommermode sind Dirk von Lowtzow, Jan Müller und Arne Zank noch nicht bereit. Fette Koteletten im blassen Jungengesicht, dürre Beine in Schlaghose oder weitem Gebrauchscord, dazu flache Turnschuhe und alte Trainingsjacke. Ein solcher Hänfling schilderte für das SZ-Jugendmagazin „Jetzt“ seine Hassliebe zu den in Freibädern und Werbung sichtbaren Waschbrettbäuchen, fast ein Tocotronic-Thema, das stets vom Zwiespalt zwischen sich und anderen handelt – und im Titel ihres aktuellen Albums „Es ist egal, aber“ gipfeln könnte. „Ich war schon im Freibad“, erzählt Arne, der drei Badehosen besitzt, „zwei gestreifte und eine mit maritimem Motiven. Und ich habe mich erkältet.“ Eben.

Nach dem Debüt „Digital ist besser“ und „Wir kommen um uns zu beschweren“ wurde das Trio aus Hamburg von der Presse als „Sexsymbole des Indie-Rock“ umworben, deren Songs „nicht immer schön, aber wichtig“ sind, und die, „wenn sie so weitermachen, nichts anderes können, als berühmt zu werden“. „Smells like teen spirit“ schwärmte gar die „Elle“ mit Mutterinstinkt. Viva hatte die Vision, die Drei von der Grungeecke als Trend zu seinem Motto „Jung, deutsch und auf dem Weg nach oben“ in seinen Schoß zu betten. Doch Tocotronic kamen, um sich zu beschweren, lehnten also auf der Bühne den „Comet“-Preis ab, was viele mehr erstaunte als der Hale-Bopp. Irgendwie süß, wie Jan mit schüchterner Bestimmtheit eines Klassensprechers nuschelte, sie seinen eben nicht stolz darauf, jung oder deutsch zu sein – in dieser Reihenfolge. Ja, die Hamburger Schule, die brennt.

Das Gefeixe und Gegreine der Freunde und Feinde störte den Amüsierbetrieb im Abenteuerland letztlich nicht „Wären wir nicht gekommen“, meint Arne, „hätte den Preis halt eine andere Band erhalten und wäre es egal, was wir davon denken.“ Dirk: „Wir dachten, wir suggerieren den Leuten sonst, dass wir im Kontext von Viva nicht vorkommen, was so ja nicht stimmt – ach, das ist doch ein alter Hut.“ Sagt man so, sagt er, der Thomas Bernhard gelesen hat. Der Grantler hat mit einer bitteren Rede einmal den Bremer Literaturpreis angenommen, da der alte Fuchs das Geld brauchte, den Fehler jedoch nie wieder gemacht. Und Uwe Kopf hatte Tocotronic zu „Bernhardrockern“ erklärt, da sie Songs wie „Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst“ singen. Sind wir denn hier in Wien, Dirk? Gerade sei es wieder schwierig mit Viva, stöhnt Jan, mit dem Video, die Nachwehen wegen damals. Wollt ihr bei Viva gesendet werden? Dirk: „Klar, rauf und runter. Wenn man ein Video macht, gibt es ja nichts anderes als Viva.“ Ihr müsst ja keine Videos machen. Dirk: „Nee, klar, ja … machen wir jetzt auch nicht mehr.“ Jan: „Aber uns interessiert ja diese Pop-Art. Wir sehen das nicht vom Punk-Standpunkt aus.“ Dirk: „Ja, ist nett.“

„Es ist egal, aber“ komplettiert eine Trilogie, in der jedes Album für sich steht, aber auch ein Schritt ist und Kommentar und einen Zyklus bilden mit Texten und Titeln. Erst ist alles gut, dann wird gemotzt, schließlich ist es egal, aber eben aber. Seine sarkastische Melancholie „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ schließt Dirk zum Schlagzeugstakkato im knapp eine Minute langen Song „Alles was ich will, ist nichts mit euch zu tun haben“, lässt dem Refrain jedoch lakonisch die Zeile „Das ist natürlich leicht gesagt“ folgen. Das hat mit Erwachsenwerden nichts gemeinsam, sondern mit Wandel in ihrer Kontinuität. Statt „Bravo“ haben sie Bernhard gelesen oder sich hinterm Plattenstapel verschanzt statt auf Partys herumzustehen, da ja sowieso kein Mädchen guckt, einem Disco und Sport fremd sind. Sind auch zu doof, die anderen. „Wer mit den Leuten nichts anfangen kann, versucht sich auf seiner Außenseiterposition etwas aufzubauen“, sagt Dirk. „Die Wut dabei ist ungerecht. Doch alleine will man auch nicht sein.“ Das ganze Elend halt.

Ihre Unschuld haben sie bereits auf der ersten Platte verloren. Da Tocotronic der reinen Niedlichkeit entronnen sind, ist ein unscharfer Schnappschuss von Enten anstelle der falsch belichteten Polaroids von ihnen auf dem Cover. Das Profil verdeutlicht sich in den Songs. Anfangs wäre es nicht so wahnsinnig ausformuliert, skizzenhaft gewesen, sagt Dirk, nun habe man mit Produzent Hans Platzgumer alles liebevoller arrangiert. „Unsere Fähigkeiten waren früher auch begrenzt.“ Also Punk? „Damit sind wir aufgewachsen, klar“, meint Jan. Dirk: „Na, so klar ist das nicht. Es gab schon früher eine laute Rockgeschichte, die das Unfertige eingesetzt hat, auch fanden wir schon immer Verzerrer toll.“ Die Atmosphäre blieb erhalten, doch schwingt „Es ist egal, aber“ geschlossener, wie bei „Nach Bahrenfeld im Bus“: Die Gitarre schwillt an und ebbt ab zur melancholischen Melodie, kippt ins Feedback, tröpfelt aus. Das Titellied bauen sie mit Streichern und feinem Konzentrat aus Gitarre, Bass, Drums zur schmollenden Hymne auf: „Es ist mir egal, aber so will ich’s doch nicht haben.“ Nicht genauso, aber ähnlich den Smashing Pumpkins.

Man vertrete auch nicht wie andere Bands der Hamburger Schule den Antirockismus, sagt Dirk. „Es sollte persönlich, auch etwas parodistisch sein, sonst wird es peinlich.“ Auf der Single „Sie wollen uns erzählen“ gniedeln sie kongenial zu den Zeilen „Sie wollen uns glauben machen, es gäbe was zu lachen/ (…) Unsere Leidenschaft ist ihnen rätselhaft“, ein kleines Meisterstück nach Neil Young. Auch verknüpfen sie veritables Rockpoltern mit Country. Dirk: „Wir poltern nicht.“ Jan nennt es Rockpop. Egal. Dirks Refrains jedenfalls kann man allgemein als Slogans an die Toilettenwand kritzeln, doch seine einzigartige simpel-sinnstiftende Lyrik über Herzeleid, die Monarchie des Alltags, gerechten Zorn und interessante Gedanken ist gerade so speziell verhandelbar. Er wolle nicht künstlich intellektualisieren, „aber sonst rutscht man in eine Muckerhaftigkeit ab, die wir verachten“. Dafür sind es wieder 18 Songs, wo soll das hinführen?

Die Single in den Charts, ja wo war sie denn noch mal? Von 0 auf 65. Eine Woche später ist Blümchen an dieser Stelle; wir haben nur geträumt. Tocotronic sind trotzdem die beste deutsche Rockband zur Zeit. Auch im nächsten Sommer, wenn wieder alles von vorne losgeht. OLIVER HÜTTMANN

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