Diamond Life in der Mietskaserne

Wie Helen, die schweigsame Kunststudentin vom Land, die Londoner Jazzpopclubs eroberte -Rockjournalist und „Live Aid“-Moderator David Hepworth erinnert sich an die coolen Achtziger Junge, kunstsinnige, abenteuerlustige Briten, die nach London aufbrechen und sich dort neu erfinden wollten, wurden vom St. Martins College Of Art schon immer magisch angezogen. Und wenn man – wie die Frau, um die es hier geht – auch noch aus dem öden Holland-On-Sea in Essex stammt und immer von einer Karriere im Modebusiness geträumt hat, muss einem diese Kunstschule erst recht als magischer Ort erscheinen.

In den frühen 80er Jahren war London jedenfalls voll von Leuten, die zwar kein geregeltes Einkommen hatten, aber trotzdem genau wussten, dass sie bald berühmt sein würden. Damals arbeitete ich bei einer Zeitschrift in der Carnaby Street. Boy George, noch unbekannt, aber keineswegs unauffällig, jobbte in der Boutique gegenüber. Einer meiner Redaktionskollegen war Robert Elms, ein junger Journalist, der es ebenfalls bestens verstand, neben der täglichen Arbeit am eigenen Mythos zu basteln – zusätzlich schrieb er auch noch die Pressezettel für Spandau Ballet. Mit seiner Freundin Helen wohnte er in einem unscheinbaren Appartment in der Lymington Avenue in Wood Green, einer der unglamourösesten Ecken, in die die Piccadilly Line gerade noch fährt.

Helen war eine Schönheit. Ein Mädchen, das man nicht ansprechen, eher anbeten würde. Riesige Mandelaugen, hohe Stirn. Sie ging aufs St. Martins College und versuchte mehr schlecht als recht, in der Modeszene Fuß zu fassen: als Designerin einer eigenen kleinen Herrenmodelinie und als Model für die damals angesagten Stilbibeln „The Face“ und „Blitz“.

Sie wirkte still und wortkarg, hatte aber trotzdem den Mut, sich als Sängerin bei diversen Bands der Londoner Nightclubszene zu bewerben. Erst sang sie bei Arriva, dann, mit etwas mehr Erfolg, bei der zehnköpfigen Funk- und Latingruppe Pride. Zuerst nur als eine von mehreren Background-Damen, aber das sollte sich bald ändern.

Damals kamen bei den jungen modeaffinen Londondern die Kaffeehäuser in Mode. Man trank Cappuccino, Heß kennerhaft die Namen Miles und Lady Day fallen. Pride spezialisierten sich auf Musik mit Jazz-Einschlag. Dann tauften sie die Band – nach Helens nigerianischem Zweitnamen Folasade – in Sade um.

Die erste Plattenhülle zeigte nur ihr Gesicht, und viele vergaßen lieber, dass es in dieser Band auch männliche Musiker gab. London suchte eine Diva – und Helen Sade Adu schien den neuen, multikulturellen Geist der Metropole bestens zu verkörpern, in der Sophistication und Street Style endlich keine Gegensätze mehr waren. „Diamond Life“, das erste Album, war ein absolutes Phänomen: eine der Platten, die Leute gleich noch mitnahmen, wenn sie sich den ersten CD-Player kauften. Ein Jahr lang gab es keine Party, Vernissage und kein Restaurant, wo die Platte nicht lief – der Soundtrack für den Wohlstand, den Margaret Thatchers Deregulierung der Finanzmärkte der Stadt brachte.

Sade wollte Anerkennung für ihre Talente, für das, was sie tat – doch nach diesem Großerfolg liebten die Leute sie für das, was sie war. Noch heute sind die Londoner Revolverblätter wild auf alle Details aus ihrem Privatleben, was sie zeitweise sogar ins Exil nach Spanien und in die Karibik trieb. Es muss zur Zeit des zweiten Albums gewesen sein, als ich eines Nachmittags in einem kleinen Arthauskino in Nord-London saß. Als nach dem Film die Lichter angingen, bemerkte ich, dass die Frau, die alleine einige Reihen vor mir saß, Sade war.

Sie senkte den Kopf und wartete, bis alle anderen den Saal verlassen hatten. Und brachte sich vor all der Aufmerksamkeit in Sicherheit, die sie vorher doch so verzweifelt gesucht hatte.

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