Die 100 besten Musiker aller Zeiten: Sam Cooke – Essay von Art Garfunkel
Sein Tod war ein ungeheurer Verlust. Ich weiß, dass ich es damals kaum fassen konnte.
mNehmen wir an, Sie wollen „I love you for sentimental reasons“ singen. Wie gehen Sie den Anfang an, das I? Rutschen Sie da einfach rein? Mogeln Sie ein kleines, verstecktes, perkussives H hinein? Die Art, wie ein Sänger diesen Vokal nimmt, sagt viel über seinen grundsätzlichen Mut aus. Wenn du das von hinten aus der Kehle drückst, weiß der Zuhörer innerhalb einer Tausendstelsekunde, dass du kein Weichei bist. Dass dieser Sänger Selbstbewusstsein hat, den richtigen Ton trifft und den richtigen Sound hat.
Darin war Sam Cooke großartig: Er hatte Schneid als Sänger.
Außerdem bombardierte Sam einen mit einer Menge Noten. Heutzutage hört man dauernd diese koloraturartigen Sachen, die Mariah Carey populär gemacht hat. Sam war der Erste, den ich so singen hörte. Wenn er „I love you for sentimental reasons/ I hope you believe me“ singt, sollte die nächste Zeile eigentlich lauten: „I’ve given you my heart.“ Doch er singt: „I’ve given you my-my-mah-muh-my heart/ Given you my heart because I need you.“
Sam Cooke: „I Love You For Sentimental Reasons“:
Es ist, als wolle er sagen: Jetzt, wo ich das Wort gesungen habe, werde ich es noch einmal singen, weil dieses Gefühl unbedingt raus muss. Er hat uns mit seiner Musik so viel gegeben, dass er uns weit weniger hätte hinterlassen können, und es wäre immer noch genug.
Sam ließ all diese Extra-Noten in Songs wie „You Send Me“ einfließen, in dem er wie beiläufig zwischen die Zeilen streut: „I know, I know, I know, when you hold me.“ Dieser Mann hatte einen wunderbaren Ansatz, aber auch einen ziemlich guten Geschmack. Ich hatte nie das Gefühl, dass er es beim Singen übertrieb, wie das heute oft der Fall ist. Sam blieb stets rhythmisch, leicht und schwebend. Er bewies immer eine brillante stimmliche Kontrolle.
Ich habe „You Send Me“ beim Rauf-und Runtergehen von Treppen sicher tausendmal gesungen. Es kam heraus, als ich meine ersten kleinen Erfolge mit Paul Simon feierte. Unser „Hey, Schoolgir!“ war zusammen mit „You Send Me“ und „Jail-house Rock* in den Hitparaden. Ich war noch ein Kind und rief aus Werbezwecken bei Radiosendern an. Und alles, was ich hörte, war „You Send Me“.
Sam Cooke: „You Send Me“:
Sam war ein guter Mensch, das konnte man spüren. Sein Vater war Pfarrer gewesen, und er selbst hatte natürlich viel Zeit in der Kirche verbracht. Zuerst sang er nur Gospel, später kamen dann R&B und Pop dazu. Es sah so aus, als würde er immer die richtigen Entscheidungen in seinem Leben fällen. Bis zu dem Tag, an dem er vom Nachtportier eines Motels erschossen wurde. Man fragt sich, mit welchen Leuten er sich da eingelassen hatte.
Paul Simon, James Taylor und ich haben „Wonderful World“ gecovert, das stammt auch von ihm. Eine Teenager-Kurzgeschichte wie Chuck Berrys „Sweet Little Sixteen“ oder „School Days“, Songs, die jungen Leuten aus dem Herzen sprechen.
Sam war ein Meister dieses Stils. „Wonderful World“ ist ein im besten Sinne des Wortes naives Lied. Sam war berühmt, bevor das Album als Kunstform entdeckt wurde. An ihn denkt man in einzelnen Songs.
Meine Favoriten sind „Sad Mood“, „Wonderful World“, „Summertime“, „For Sentimental Reasons“ und „You Send Me“. Und „A Change Is Gonna Come“ zeigt, wohin er sich hätte entwickeln können. Er hätte sicher Marvin-Gaye-ähnliche Texte über die Gesellschaft geschrieben, in der wir leben.
Sein Tod war ein ungeheurer Verlust. Ich weiß, dass ich es damals kaum fassen konnte. Er war immer noch auf dem Weg nach oben. Ein wunderbarer, intelligenter Sänger. Und er hatte dieses strahlende Lächeln.