Die 50 wichtigsten Punk-Platten: Platz 41 bis 50

Die Redaktion hat die 50 wichtigsten Platten des Punk ausdiskutiert. Wir starten im Jetzt und arbeiten uns in den nächsten Wochen bis zu den Ursprüngen zurück. Hier sind die Alben...

In der Juli-Ausgabe des Rolling Stone hat sich die Redaktion dem Punk gewidmet. Neben Artikeln über die Helden und das Erbe des Punks, sowie der neuen Blondie-Platte als exklusive Beilage, gibt es auch eine chronologische Liste der wichtigsten Platten des Punk. Auf www.rollingstone wird man ab heute jede Woche zehn weitere Alben der Liste finden. Zunächst aber erst einmal die Plätze 41 bis 50:

Platz 41: NOFX – S&M Airlines (EPITAPH, 1989)

„Wir wussten noch nicht, wie man mehrstimmig singt“, behauptete Sänger Fat Mike später, „deshalb kam Greg Graffin vorbei und sang bei drei oder vier Nummern mit. Das war ultracool.“ Auch am Mischpult saß ein Bad-Religion-Mann: Brett Gurewitz, der schon das NOFX-Debüt produziert hatte. Die Kalifornier klingen also nicht zufällig wie lustige Brüder der Band, deren „Suffer“-Ernsthaftigkeit sie nun Albernheit entgegensetzen („You Drink, You Drive, You Spill“). NOFX kommen noch ohne poppige Hooklines aus, wildern beim Skate-Punk, Hardcore und Metal, verpassen „Drug Free America“ ein Zweiminuten-Intro, und Fat Mike hat nicht nur beim Fleetwood-Mac-Cover „Go Your Own Way“ Spaß daran, den Ton nicht zu treffen.

Platz: 42 Fugazi – Repeater (DISCHORD, 1990)

„I’m not playing with you“, schwört Ian MacKaye im Song „Blueprint“: Laut und deutlich warben Fugazi um die Herzen der Punk-Kids, und viele folgten ihnen. MacKaye hatte das patriarchalische Gehabe und die stumpfe Konsumhaltung von Teilen der US-Hardcoreszene hinter sich gelassen – auf „Repeater“ kehrten endgültig die Ernsthaftigkeit und Selbstkontrolle der Straight-Edge-Bewegung in den D.C.-Sound ein. Fugazi dekonstruieren auf dem Album die Punk-Hymne als solche und setzen sie derart neu zusammen, dass auch hier bald das Genre-Präfix „Post“ nötig wurde. Wegen der explosiven Spannung, der von Pose gänzlich abgelösten Heavyness und der Melodiesplitter gilt „Repeater“ als einer der ersten Vorboten von Emo.

Platz 43: Nation Of Ulysses – 13-Point Program To Destroy America (DISCHORD, 1991)

Klar, dass belesene Bürschchen-Punks irgendwann den alten Style vermissen würden, die Brothers-and-sisters-Schwüre der MC5, die dunkelblaue Coolness von Coltrane. Kleidung sei heute das Einzige, über das man als entmündigter junger Mensch noch Kontrolle habe, schrieben Nation Of Ulysses ins Pamphlet zu diesem Album. Die Mischung aus Mode- und Revolutionsideal, dämonischer Energie und intellektuellem show-off, Punkrock und Free Jazz irritierte – weil keiner recht wusste, ob Ulysses eine radikale Partei oder eher ein Witz sein sollte. Das dürfte aber die Absicht von Mastermind Ian Svenonius gewesen sein, der die Band später in die Garagen-Soul-Gang Make-Up ummodelte.

Platz 44: Rancid – Rancid (EPITAPH, 1993)

Fast unfair, dass es das einzige Rancid-Album in unsere Liste geschafft hat, bei dem Gitarrist und Sänger Lars Frederiksen noch nicht an Bord war: Er stieß erst während der Tour zu diesem hinzu, bereicherte die Band ungemein. Noch ohne ihn zelebrieren Tim Armstrong, Matt Freeman und Bret Reed auf „Rancid“ einen rotzigen, durchschlagskräftigen Streetpunk made in Berkeley, dem man die Vorbilder aus der kalifornischen Nachbarschaft deutlich anhört und – in Sachen Tempo – auch die Nähe zum Hardcore. Ska- und Reggae-Einflüsse lagen hier noch in weiter Ferne – manch einer wird sagen: zum Glück! Vor allem Armstrongs nasales Giften macht diese Platte so besonders, perfektioniert in „Outta My Mind“ und „Union Blind“.

Platz 45: Green Day – Dookie (REPRISE, 1994)

„Dookie“ wird gern für das Debüt von Green Day gehalten – unter anderem, weil es wie ein klassisches Erstwerk klingt: als habe sich eine Menge Zeug angestaut, das endlich rausmuss. Im Fall von Sänger Billie Joe Armstrong  war es jugendlicher Frust und viel Freude am Sich-selbst-Runtermachen. Er dichtete unverdrossen über Masturbation aus Langeweile („Longview“), Liebe aus Angst vor Einsamkeit („When I Come Around“) und das allgemeine Gefühl, demnächst verrückt zu werden. Weil die Melodien so unwiderstehlich waren, kam er damit durch, und „Basket Case“ wurde ein Hit. Alle hatten plötzlich Zeit, dem „melodramatic fool“ beim Jammern zuzuhören. Lustiger wurde US-Punkrock nicht mehr, von The Offspring mal abgesehen.

Platz 46: Social Distortion – White Light, White Heat, White Trash (EPIC, 1996)

Der Titel zitiert natürlich Velvet Underground, doch Mike Ness betonte dann vor allem den „White Trash“-Aspekt – und kam mit „I Was Wrong“ so weit in die Nähe eines Hits, wie ihm das möglich war. „It was me against the world, I was sure that I’d win/ The world fought back, punished me for my sins“, blökt er, und man ahnt: Er hatte vielleicht unrecht, aber die Welt noch mehr. Dass Social D nie so richtig groß wurden, liegt vielleicht an ihrer Unentschlossenheit. Sie liebäugelten mit Rockabilly, häufiger mit Blues – nur normalen Punkrock wollte Ness nie machen. Mit „When The Angels Sing“ schrieb er sogar eine Hommage an seine Oma – kein klassisches Sujet in diesem Genre.

Platz 47: Sleater-Kinney – Dig Me Out (KILL ROCK STARS, 1997)

Sie begannen als angriffslustige Riot Grrrls an der Seite von Bikini Kill und Team Dresch, spätestens mit „Dig Me Out“ kamen sie einer der wichtigsten Zielprojektionen der feministi-schen Jugendkultur sehr nahe: der Auflösung der alten Geschlechterhierarchie im Rock. Sleater-Kinney spielen auf ihrem dritten Album mit zwei Gitarren und ohne Bass einen so leidenschaftlichen, technisch versierten und entfesselt produzierten Punkrock, dass selbst Typen wie Led Zeppelin in Deckung gegangen wären. „Dig Me Out“ ist ein Aufbruch: Corin Tucker, Carrie Brownstein und Janet Weiss gleiten aus der Riot-Schublade, finden den Pop im Punk und feiern im finalen „Jenny“ die Emanzipation: „I am the girl/ I am the ghost/ I am the wife/ I am the one.“

Platz 48: At The Drive-In – Relationship Of Command (GRAND ROYAL, 2000)

Und irgendwann verzweifelten die Geschichtsschreiber an den Begriffen, die sie selbst erfunden hatten: At The Drive-In, die Spargeltypen mit den Afro-Büschen, waren möglicherweise Post-Hardcore, vielleicht auch Emo – oder nur eine extrem aggressive Progrock-Band. Stilistisch hatten sich alle Punk-Abkömmlinge um 2000 so weit übers Feld verteilt, dass man es einer Platte nicht mehr mit Sicherheit anhören konnte, wo sie hingehörte. At The Drive-In aus El Paso nahmen sich genau diese Freiheit heraus, ließen sich von Wut und künstlerischer Besessenheit treiben. Und traten mit ihrem dritten Album dann plötzlich auch bei Letterman auf. Klar, dass man sich danach trennen musste. 

Platz 49: Die Goldenen Zitronen – Lenin (BUBACK, 2006)

Vom Pogo-Spaß der „Am Tag, als Thomas Anders starb“-Jahre war längst nichts mehr übrig. Ausgerechnet die Goldenen Zitronen aus Hamburg führten exemplarisch vor, in welche unterschiedlichen Maßanzüge eine attitude wie Punk passen kann, wenn die Protagonisten älter werden. Auf „Lenin“ zelebriert die Band mit Agitpop und Electroclash ihre Narrenfreiheit – und ist dabei subversiver und unbequemer denn je. Und theatertauglicher. Sänger Schorsch Kamerun, selbst an diversen Bühnen tätig, spielt in „Mila“ den manischen Souffleur, der sich selbst die Stichworte gibt: „Die Nummer der Auskunft, die könnt ihr euch selber merken, ihr Wichser!“ Ihr Evergreen „Für immer Punk“ passte nie schlechter und besser zugleich.

Platz 50: Gallows – Orchestra Of Wolves (EPITAPH, 2006)

Es gibt ein Video von Sänger Frank Carter, in dem er während eines Konzerts von der Bühne gezogen wird, sich im Graben prügelt, nach zwei Minuten und ein paar direkten Treffern wieder auf die Bühne kriecht, mit Blut im Mund in die Kamera grinst, sich das Mikro schnappt – und weitersingt. Einen Song später springt er dann wieder in die Menge. Genau diese rohe Live-Energie war es, die das Gallows-Debüt zu einem Bestseller machte. Musikalisch eher Punk als Hardcore, erreichten sie mit durchaus extremen Songs wie dem Titelstück oder „In The Belly Of A Shark“ sogar das „NME“- und Indiepublikum, selbst Metalhörer fanden Berührungspunkte. Eine Konsens-Band? Seltsamerweise ja – obwohl Konsens anders klingt …

Nächste Woche geht es dann weiter mit den Plätzen 40 bis 31 auf www.rollingstone.

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